„Die grosse Verschwendung“

Wo immer ein Rechnungshof bei Bund, Ländern und Gemeinden zu suchen beginnt wird er fündig. Der unbeteiligte Zuschauer ist stets auf´s Neue verblüfft wie grosszügig oder besser gesagt sorglos die öffentliche Hand mit dem Geld der Steuerzahler umgeht. In vielen Fällen bleibt es leider bei den Beanstandungen der Rechnungsprüfer, ohne dass sich etwas zum Besseren ändert.

Auch Industrie und Wirtschaft haben ihre „Rechnungshöfe“, dort nennt man sie allerdings neudeutsch „Controller“. Und im Gegensatz zu deren Kolleg:innen im öffentlichen Dienst haben diese Controller weitgehende Befugnisse, die dafür sorgen, dass kein unnützes Geld ausgegeben wird. In der Hörgeräte-Industrie allerdings scheint der Job des Controllers noch weitgehend unbekannt oder zumindest unbesetzt zu sein.

Anders lässt sich kaum erklären warum dort mit dem Geld teilweise so sorglos umgegangen wird. Sie glauben das nicht? Kommen Sie bitte mit in die Firma X in Y, die auch zu Ihren Lieferanten gehört. X liefert u.a. auch Custom ImOhr-Geräte, deren Herstellung mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Und obwohl man sich bei X im Labor grösste Mühe gibt perfekte Arbeit zu liefern geschieht es immer wieder, dass die sorgfältig gearbeiteten Hörgeräte vom Kunden zurückgesandt werden: zur Gutschrift bitteschön. Ansonsten „no comment“.

Weil vor Jahren mal einer damit angefangen hat solche Gutschriften ohne Ansehen der Person und ohne Ansehen des Gerätes zu erteilen haben die Mitbewerber dieser altruistischen Firma keinen anderen Einfall gehabt als das gleiche Verfahren zu praktizieren: Sie können bestellen was Sie wollen ohne je ein Risiko einzugehen, denn alles wird anstandslos und ohne lästige Fragen zurückgenommen.

Was geschieht wenn jemand so grosszügig ist? Man dankt es ihm. Falsch! Man nützt es aus!

Wenn man mit Vertretern der Hörgeräte-Industrie vertraulich über deren Rücknahme-Quoten spricht erfährt man Zahlen, die einen entweder am Verstand der Industrie oder am Können der Hörsystemakustiker zweifeln lassen. Anders ist es kaum erklärlich wieso die Rücksende-Quoten im Schnitt bei ca. 18% liegen. Der Verdacht, dass hier eine Risikominimierung auf Kosten der Industrie betrieben wird, indem man bei 3 verschiedenen Lieferanten je ein Gerät fertigen lässt und die beiden Geräte, die nicht so gut sitzen oder sonstwie durch den Rost fallen einfach zurückschickt ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Über den dabei entstehenden Schaden wird vermutlich kaum nachgedacht. Die Industrie handhabt es so – also wird sie ihre guten Gründe dafür haben und wohl damit zurechtkommen.

Allmählich allerdings reift bei der Industrie die Erkenntnis, dass man hier augenscheinlich des Guten zuviel getan hat. Und wenn man mal den Rechenstift zur Hand nimmt und überschlägig die Kosten für diese Art von Kulanz ermittelt fangen die Alarmglocken unüberhörbar an zu läuten. Jemand aus der Industrie hat sich die Mühe gemacht einmal akribisch aufzulisten was alles zu tun ist wenn ein Hörgerät, von dem man glaubte man habe es verkauft, zurückkommt:

Gutschriften-Bearbeitung IO-Gerät

•   1 min. Versandabteilung
•   3 min. Gerätelager
•   1 min. EDV-Bearbeitung
•   5 min. Labor Produktion
•   2 min. EDV-Bearbeitung
•   5 min. Buchhaltung
•   9 min. EDV-Bearbeitung
•   3 min. Gerätelager
•   0 min. Buchhaltung
• 30 min. Labor Technik
•   8 min. Gerätelager
•   1 min. EDV-Bearbeitung
•   0 min. Reparatur-Abteilung
• Ende: 69 Minuten

Im Detail sieht das so aus:

Gutschriften-Bearbeitung IdO-Eigenfertigung

• Auspacken; Stückzahlkontrolle / Originalbeleg; Beschriftung Gerätebox; Aufteilung IdO/HdO; Weitergabe an Gerätelager
• Geräte aus Umverpackung nehmen; Verpackung und Beilagen entsorgen; Nummernkontrolle Gerät / Originalbeleg; EDV-Abfrage Auslieferdatum; Eintrag Auslieferdatum auf Originalbeleg; Gerätebox mit Originalbeleg an EDV-Bearbeitung
• Kontrolle Fremdfertigung / Eigenfertigung; Gutschriftswert feststellen und eintragen; Weitergabe an Labor Produktion
• Kunde anrufen wg. Begründung; Begründung auf Originalbeleg notieren; Weitergabe an EDV-Bearbeitung
• Trennung Originalbeleg / Gerätebox; Kopie für Aussendienst herstellen; Gerätebox an Gerätelager; Originalbeleg an Buchhaltung; Kopie in Aussendienst-Briefkasten
• Originalrechnung raussuchen; Gutschrifts-Vermerk auf Rechnungsformular; Bearbeitungsformulare herstellen (doppelt); DM-Aufteilung Gerät/Otoplastik notieren; Weitergabe an EDV-Bearbeitung
• Gutschrifts-Erfassung; doppelter Lieferschein-Druck; Lieferschein Kunden-Vorordner; Begründungs-Eingabe EDV; Ablage Lieferschein, Originalbeleg und Bearbeitungsformular; Tagesabschluss Rücknahme-Liste; Tagesabschluss Laufzettel; Tagesabschluss Prüfprotokoll; Weitergabe Rücknahme-Liste / Laufzettel an Gerätelager; Weitergabe Prüfprotokoll an Buchhaltung; Monatsende Begründungs-Listen
• Geräteboxen raussuchen; Nummern- und Typenkontrolle; Geräte eintüten; Gerät an Laufzettel heften; nach Typen sortieren; Rücknahme-Liste kopieren; Kopie, Laufzettel und Geräte an Labor Technik geben; Rücknahme-Liste in Bearbeitungsordner
• Preiskontrolle des Prüfprotokolls; Prüfprotokoll ablegen
• Geräteboxen in Retourenregal einräumen; Geräte-Aufarbeitung durch Techniker; Laufzettel ausfüllen; Geräte und Laufzettel an Sammelstelle; Nachkontrolle Geräte; Bestätigungs-Vermerk auf Laufzettel; Ablage Kopie Rücknahme-Liste; Laufzettel und Geräte an Gerätelager
• Doppeletiketten erstellen; Garantiekarten und Umkarton kleben; einkasteln; umbuchen; Laufzettel mit Gerät prüfen; Laufzettel mit Rücknahme-Liste abhaken; Rücknahme-Liste ablegen; Laufzettel in EDV geben; Geräte ans Labor zur Neuproduktion
• Material-Verwaltung im ET-Stammsatz; Laufzettel an Reparaturabteilung
• Laufzettel ablegen

Die dabei entstehenden Kosten würden jedem Controller den Schlaf rauben:

Gutschrift IdO

1.   81.88 Arbeitskosten Verwaltung und Technik (69 Minuten)
2.   10.62 Verlorenes Zubehör
3.   71.– Ersatzteile
4. 107.50 Verlorene Laborleistung (Herstell-Kosten)

271.– Gesamtkosten für ein IdO

Das sind Zahlen über die man nicht einfach hinweggehen kann sondern mit denen man sich äusserst gründlich auseinandersetzen muss. Denn hier wird schlicht und einfach Geld verschwendet. Die Begründungen für die Rückgaben sind oft banal, selten stichhaltig, in vielen Fällen fehlen sie ganz. „Zurück zur Gutschrift“, das muss doch genügen.

Es sind aber nicht nur monetäre Aspekte, die hier betrachtet werden müssen. Wie ist dem Mitarbeiter im Labor einer Industriefirma wohl zumute wenn er das Hörgerät, das er unter Einsatz seines ganzen Könnens gefertigt hat wieder auf den Tisch bekommt? Hat er versagt? Versteht er sein Handwerk nicht? Ist das was er tut nichts wert? Wer macht sich darüber wohl Gedanken?

Das hier aufgezeigte Problem ist – leider – nicht auf Custom-ImOhr – Geräte beschränkt sondern geht gewissermassen quer durch den Garten. Auch HdO-Geräte werden in zunehmendem Masse bestellt und irgendwann zur Gutschrift zurückgegeben. Wir wollen uns hier die Auflistung der gesamten Gutschriften-Bearbeitung sparen, doch sei zumindest gesagt dass auch beim HinterOhr-Gerät nicht unerhebliche Kosten entstehen!

Gutschrift HdO

1. 68.83 Arbeitskosten Verwaltung und Technik (58 Minuten)
2.   6.07 Verlorenes Zubehör
3. 16.55 Ersatzteile

91.45 Gesamtkosten

Was ursprünglich von der Industrie als kulante Geste gedacht war hat sich zu einem Millionengrab entwickelt, dessen Dimensionen immer noch zunehmen. Können wir da einfach so weitermachen wie bisher? Wohl kaum! Oder was meinen Sie dazu?

Quelle: Gerhard Hillig

 

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