Günter Habermann:
Stimme und Mensch,
Beobachtungen und Betrachtungen; Median-Verlag Heidelberg 1996, 276 Seiten; ISBN 3-922766-24-2; gebunden, zahlreiche, teils 4-farbige Illustrationen.
Zwar haben wir diese Produktion des Median-Verlages bereits vorgestellt, doch schien uns die nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Rezension besonders geeignet, die „bibliophile Kostbarkeit“ (O-Ton Prof. Dr. K.) in Erinnerung zu rufen…
Schon der erste Überblick verspricht eine interessante Lektüre: das Buch ist ausgesucht geschmackvoll und kongenial illustriert, handwerklich und von der Papierqualität verdient es ein Qualitätssiegel. Das Inhaltsverzeichnis verspricht den grossen Bogen eines umfassenden und vielfältig interessierten Gelehrten, dem offenbar treue Helfer zur Ordnung der verarbeiteten Materialien zur Verfügung stehen (M. Spieker-Henke und W. Behrendt).
- In der Einleitung wird der grosse historische und fachliche Rahmen ausgespannt, der das Thema beleuchten soll. Auch der Dank an die fachkundigen Helfer des Buches ist hier eingearbeitet. Wer allerdings neben anthropologischen und medizinhistorischen Zeugnissen noch eine methodische Reflexion erwartet wird enttäuscht: die Kapitel und ihre Reihenfolge werden nicht eigens begründet. Das
- Kapitel widmet sich der Stimme als Ausdrucks-Mittel, das
- dem Zusammenhang von Stimme und Persönlichkeit, das
- erörtert Besonderheiten von Sing- und Sprech-Stimme aus naturwissenschaftlicher Sicht – und das
- entwickelt eine Kulturgeschichte von Sängern und Schauspielern. Ein
- Kapitel behandelt Kopf und Hals in der Kulturgeschichte, ein
- die Stimme als Darstellungs-Objekt der bildenden Kunst und ein Ausklang (und
- Kapitel) diskutiert den Wandel des Stimmgebrauchs in neuerer Zeit. Den Schluss des Buches bilden Erstveröffentlichungen des Autors und Literatur-Hinweise.
Im 2. Kapitel wird v.a. auf
- grundlegende Ausdrucks-Äusserungen,
- das Lachen,
- das Weinen und
- den Schrei eingegangen,
die literarisch, kunsthistorisch und vor allem medizinhistorisch erörtert werden.
Das 3. Kapitel veranschaulicht den engen Zusammenhang zwischen Stimme und Person an herausragenden Persönlichkeiten:
- an Demosthenes, dessen stimmkräftigende Bemühungen geschildert werden,
- an Kaiser Nero und seinem Darstellungs-Talent,
- an Goethe und der zeitgenössischen Rezeption seiner Stimme (wobei man sich wundert, dass die Reihe „Dichter lesen“ aus den Marbacher Schriften nicht berücksichtigt ist) und endlich an dem phoniatrisch ambitionierten Autor Arthur Schnitzler.
Das 4. Kapitel wird zunächst den Sängertypen und ihrer differenzierten Unterteilung gewidmet, die mit einem ebenso aufschlussreichen wie detaillierten Erklärungs-Ansatz über Entstehung und Wirkung der Sängerstimme angereichert ist. Steuerungs- und Kontroll-Mechanismen werden ausführlich erklärt. Danach wird dem exakten Messen des Atems und seiner Vervollkommnung nachgegangen und die Möglichkeit der Gehör-Wahrnehmung von kranken Stimmen wird diskutiert.
Beim 5. Kapitel interessiert v.a. das Problem der antiken Schall-Übertragung – trotz Maske und Freiluft-Bühne. Die Geschmeidigkeit und Leistungsbreite der Stimme des antiken Mimen, vermittelt über regelmässige Übungen, ist bewundernswert. Des Weiteren geht Habermann der Frage der Gesundheit von Schauspielern im späten 18. Jahrhundert nach. Interessant sind die Therapien der Stimme, die aus dem 19. Jh. und zur Zeit Goethes bekannt sind, über die Habermann ausführlich berichtet und natürlich erörtert er das Problem der Kastratensänger, die vor allem im England und Italien des Barock und Rokoko bejubelt wurden. Stets werden die Schilderungen mit Bildern und Stichen illustriert.
Sehr interessant und anschaulich werden Erfindung und Anwendung des Kehlkopf-Spiegels beschrieben, übergehend in eine Beschreibung der medizinischen Erkenntnisse über die medizinischen Kenntnisse des Halses. Wie ist der Wissensstand von Malern, z.B. der Renaissance über den anatomischen Bau des Halses, fragt der Autor. Auch der Zunge widmet er eine medizinhistorische Betrachtung. Dabei werden sowohl die Strafe des Zungenverlusts durch Herausschneiden als auch zu lange und zu kurze Zungen in ihren Folgen für die Stimme betrachtet. Das Zungenbändchen und Schall- bzw. Hör-Rohre beenden das interessante kulturgeschichtliche Kapitel, das eine Fülle eindrucksvoller Illustrationen aufweist.
Das letzte Kapitel resümiert einen historischen Querschnitt zur Stimme in der bildenden Kunst, indem herausragende Bild-Dokumente und anschliessend Sängerkarikaturen zu kundigen Kommentaren verdichtet werden, die vom jeweiligen Wissensstand und dem jeweiligen Blick des Betrachters angeregt sind. Nicht ganz einleuchtend scheint mir, dass dies Kapitel so weit hinten plaziert wurde; m.E. sollte es nach dem 3. Kapitel folgen, wo es besser aufgehoben wäre.
Zweifellos handelt es sich bei dem Buch um eine sehr lesenswerte Übersichts-Darstellung, die zwar eigenwillige Auswahlen trifft und Ordnungen stiftet aber für seine spezielle Thematik recht spannend verfasst und illustriert ist. Der Autor ist jedenfalls ein breitfundierter Universalist mit hohem Allgemeinwissen. Es lohnt sich, das Buch in Büchereien einzustellen.
Quelle: Prof. Dr. Eberhard Ockel in „Muttersprache“ 1/98
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