Als ich letztes Jahr in der „Hörakustik“ einen Artikel über die Hörgeräte-Versorgung von Kindern in Russland las schlug mein Herz höher. Da ich sehr gern mit Kindern und Jugendlichen arbeite und ausserdem Russland für mich eines der interessantesten Länder ist, schrieb ich sofort Peter Gsinn einen Brief, ob es möglich wäre, dass ich das nächste Mal mitfahren könnte.
Ich bekam eine Zusage. Nach einigen Monaten war der Papierkram abgewickelt und der Termin für die Fahrt stand fest. Meine Chefs, Mike und Sören Lorsbach, gaben mir für diese Reise zwei Tage Sonderurlaub.
Im Betrieb hatten wir noch einige, zum Teil zwar defekte aber durchaus funktionsfähige Powergeräte. Ich schickte sie mit einem Brief, in dem ich um kostenlose Reparatur bat, an die Hersteller. Und habe zu meiner grossen Freude – auch an dieser Stelle nochmals ein herzliches Dankeschön – alle Geräte repariert und gereinigt zurückerhalten.
Im Mai ging es los. Von Tutzing aus starteten zwei Kleinbusse, voll beladen mit den verschiedensten Dingen, wie z.B. Schokolade, Spielzeug, Kinderkleidung, Batterien, Brillen und vielem mehr – und vor allem mit 4 lustigen Bayern („kreuzfidel“ sagt man dazu wohl im Süden) in Richtung Osten.
Nach langer Fahrt erreichten wir endlich die für uns an scheinbar grenzenloses Reisen gewöhnte Mitteleuropäer ungewohnt „dichte“ russische Grenze, an der viele Formulare hin- und hergereicht, von sämtlichen Beamten abgestempelt werden mussten, während unsere Dolmetscher nur noch in Panik herumliefen, teilweise niemand mehr wusste, wo welches Formular gerade war, was drauf stand welcher Stempel jetzt wieder fehlte und ob die Schokoladeneier wirklich echt und erlaubt waren – deutsche Bürokratie in der Zehnerpotenz! Endlich war die Prozedur vorüber. […]
Im Schulinternat in Kaliningrad angekommen wurden wir herzlich begrüsst und verköstigt. Als einzige Frau bekam ich ein Einzelzimmer: das Krankenschwestern-Zimmer mit Waschbecken, ein absoluter Luxus! Sonst gab es nämlich nur eher sehr bescheidene Waschgelegenheiten und abends ab 21 Uhr wurde das Wasser überall abgestellt, auch auf der Toilette!
Am Morgen pünktlich nach dem Frühstück standen die ersten Kinder erwartungsvoll vor der Tür. Wir führten Luft- und Knochenleitungs-Messungen durch. Die vorhandenen Hörgeräte kontrollierten wir oder tauschten sie aus. Fast alle Kinder in der Kaliningrader Schule haben einen hochgradigen Hörverlust und waren teilweise nur monaural versorgt. Wir haben bei jedem Kind zwei Abdrücke genommen und vom Abend bis spät in die Nacht daraus Otoplastiken gefräst. Unsere bayrischen Begleiter S. Tetzlaff, F. John und W. Thoma sowie der Hamburger Jan Wolters, die keine Hörakustiker sind, halfen uns ganz ausgezeichnet beim Schläuchebiegen, Fräsen, Lackieren und natürlich mit viel Humor. In nur zwei Nächten schafften wir es, fast 100 Ohrstücke anzufertigen und 78 Hörgeräte anzupassen.
Die größte Belohnung für uns war die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Kinder, und ebenso die der Lehrer und Küchenfrauen. Ich nahm mir gerne zwischendurch Zeit und spielte mit den Kindern auf dem Schulhof Fussball oder fuhr die Kleinen mit einem neuen Roller durch die Gegend. Mit den Größeren versuchte ich mich zu „unterhalten“, was wirklich nur mit Händen und Füßen, Stift, Papier und lustigen Zeichnungen funktionierte.
Sie stellten viele Fragen über schwerhörige bzw. gehörlose Kinder und Jugendliche in Deutschland: ob sie Arbeit bekommen, Auto fahren dürfen usw.
Eine große Attraktion war mein Walkman. Ein fast gehörloser 13-jähriger Junge, dessen Eltern arbeitslos und, wie so viele, alkoholabhängig sind freute sich ganz besonders über die Zuwendung und ist jetzt grosser Hip-Hop-Fan. Alle Kinder hörten bzw. spürten so oft es ging den Bass der Musik und das teilweise zum ersten Mal in ihrem Leben.
Diese Tage von Kaliningrad waren für mich die beeindruckendsten seit langer Zeit. Durch die Blicke und das Lächeln der Kinder, die wieder hören können, wurde mir bewusst, warum ich eigentlich gerade diesen Beruf gewählt habe.
Leider gibt es noch sehr viele Kinder, nicht nur in Russland, die Hörgeräte dringend benötigen. Ohne eine rechtzeitige Versorgung ist deren berufliche Zukunft gleich Null. Aus diesem Grund möchte auch ich noch einmal um Spenden bitten. Vor allem werden sehr lautstarke Hörgeräte gebraucht. Oftmals haben Kunden noch Altgeräte zu Hause, die so noch einem guten Zweck dienen würden. Die nächste Fahrt mit Peter Gsinn ist für Herbst geplant, und vielleicht könnten Sie Ihre Kunden in der nächsten Zeit einfach mal darauf ansprechen. Ich bedanke mich schon jetzt für Ihre Unterstützung.
Autorin: Viola Rudolph
Frei, unabhängig und anspruchsvoll – so soll Ihr Hörsystem in der neuesten Generation aussehen: