Klaus Schulte, Hans-Christoph Strauß, Gertrud Lehmann-Tremmel „Verbesserung der beruflichen Weiterbildung für gehörlose und schwerhörige Erwachsene“ Symposionbericht; Neckar-Verlag 1997, WB XL V, 440 Seiten.
Bereits seit über 30 Jahren verbindet sich der Name Klaus Schulte mit dem Anliegen der sprachlichen Bildung und Rehabilitation jugendlicher Gehörloser. Seit Anfang der 80er Jahre befasst sich die Forschungsstelle (FST) Heidelberg unter seiner Leitung u.a. verstärkt mit dem bis zu diesem Zeitpunkt stark vernachlässigten Stiefkind pädagogischen Bemühens, der beruflichen Qualifikation Hörgeschädigter. Wenn nun mit dem vorliegenden Bericht im Rahmen eines Forschungsvorhabens des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie zu obigem Thema erste Ergebnisse einer bundesweiten Datenerhebung, gepaart mit über 50 Beiträgen zu Entwicklung, Empirie, Praxis, Didaktik – Methodik – Kommunikation und Zukunft aus unterschiedlichster Sicht zusammengetragen werden konnten, ist dies zweifelsfrei vorrangig das hohe Verdienst konsequenter analytischer und z.T. akribischer Recherchen der FST durch ihre engagierten Mitarbeiter.
Auf den zweiten Blick wird die Ausweitung der Thematik deutlich. Nicht allein die Weiterbildung gehörloser und schwerhöriger Erwachsener wird angesprochen, sondern ebenso neuere Strukturen in der beruflichen Ausbildung, vor allem aber in Fortbildungs- und Umschulungs-Massnahmen.
Ein 3. Blick – diesmal auf die Liste der Referenten – zeigt erwartungsgemäss einen beinahe traditionell zu nennenden Stamm von Vortragenden; bedingt durch die Breite und Tiefe der Beiträge erfreulicherweise auch, zumindest bundesweit gesehen, neue Namen und neuere Titel.
Den meisten Themen vorangestellt ist die Erfassung und grösstenteils auch Auswertung der bereits erwähnten Erhebung, dem die weiteren Beiträge folgen. Mehrere Schwerpunkte zusammenfassend, schliessen sich die wörtlich niedergelegten Diskussionsbeiträge an.
Neben sich verändernden politischen und marktpolitischen Bedingungen sowie der Vernachlässigung berufsorientierter Belange im Insgesamt der Angebote wird, wie durchgängig in beinahe allen weiteren Beiträgen, hingewiesen auf die sprachliche und kommunikative Situation Hörgeschädigter; hier aber auch auf die häufig mangelnde Bewusstseinsbildung bezüglich beruflicher Anforderungen und die fehlende Einsicht zur Anpassung an notwendig neue Bedingungen. Deutlich negativ gezeichnet erscheint nicht zuletzt der sich nur schleichend (vorwärts?) bewegende Prozess der gesellschaftlichen Akzeptanz von Behinderten.
Eine Aussage sollte noch hervorgehoben werden, eine Aussage, die unseren vermeintlich so fortschrittlichen Bildungsprozess tief treffen muss: „Weiterbildung gehörte bislang nicht zum System der Hörgeschädigten-Pädagogik.“ (Ansätze einer Anbindung der beruflichen Rehabilitation befinden sich jedoch wenigstens auf der Ebene von Vorgesprächen.)
Untersuchungsergebnisse zur beruflichen Weiterbildung für gehörlose und schwerhörige Frauen und Männer bilden den 2. Komplex dieses Berichts, in dem
- Aspekte einer systematischen Qualitätssicherung,
- didaktische Überlegungen und
- Empfehlungen zur Konkretisierung weiterbildender Massnahmen vorgestellt werden. Angesprochen sind wiederum sowohl berufsorientierte als auch sozial-kommunikative Aufgabenfelder. Deutlich herausgestellt wird zudem neben äusserst heterogenen Forderungen der ebenso äusserst heterogenen »Gruppe« der Hörgeschädigten die Problematik eines sinnvollen methodischen Vorgehens nach innen und aussen zur Reduzierung von sonst konsequenten Fehlleistungen.
Zum Ist-Stand leiten die Ausführungen weiter. Bildungsmaßnahmen werden hier typisiert, sich teilweise überschneidende Qualifikationsziele genannt. Erschreckende Daten zum Weiterbildungsanteil von erwachsenen Gehörlosen untermauern weitgehend Skizzierungen aus dem 1. Kapitel.
Abgehoben von inhaltlichen Aspekten sei zu den letzten Ausführungen die hohe Qualität der grafischen Umsetzung erwähnt.
Der Praxis widmet sich der 3. Themenkomplex. Mit insgesamt 182 Seiten am breitesten angelegt wird die berufliche Weiterbildung beleuchtet im Hinblick auf
- Anpassungs-Fortbildung,
- Fortbildungen nach Schwerbehindertenrecht,
- arbeitsplatzbezogene Information und Kommunikation,
- Aufstiegsfortbildung und
- Weiterbildungs- angebote der Volkshochschulen,
- Hörbehinderten-Zentren und
- -Verbände.
Kurze, prägnante Statistiken sowie terminologische Abklärungen und gesetzliche Grundlagen und Richtlinien bilden die wesentliche Basis zum besseren Verstehen der Vielfalt und Vielfarbigkeit der folgenden Aussagen.
Die Anpassungs-Fortbildung wird exemplarisch dargestellt anhand von Massnahmen in 4 Institutionen. Rein angebotsorientierte Fakten eröffnen neben organisatorischen und finanziellen Aspekten, teils unter Berücksichtigung standortgebundener Merkmale, ein gut strukturiertes kleines und doch weites Spektrum von realen Angeboten.
Weiterbildungs-Massnahmen zum Erhalt des Arbeitsplatzes und Einarbeitungsmassnahmen werden schwerpunktmässig thematisiert unter der Überschrift „Fortbildung nach Schwerbehinderten-Recht“. Bewusst wird dabei u.a. wieder verstärkt eingegangen auf die Dringlichkeit kooperativer Massnahmen; bemerkenswert und/oder bedenkenswert erscheint die Palette der Angebote und der organisatorischen Facetten bereits in der zwangsläufig beschränkten Auswahl an Referaten.
Neben der Frage um Kollegenseminare – auch mit dem Hintergrund, gehörlose Mitarbeiter als kompetente Partner zu erfahren – und der damit intendierten Präferenz für innerbetriebliche Massnahmen wird die Erweiterung der Kommunikationskompetenz zum zentralen Anliegen der Auseinandersetzung um arbeitsplatzbezogene Information und Kommunikation. Schwerhörige scheint es hier übrigens nicht zu geben.
Für die Weiterbildungs-Angebote der Volkshochschulen, Hörbehinderten-Zentren und -Verbände gilt bundesweit der gleiche Tenor. Berufsbezogen reicht die Schere der ohnehin mageren Angebote vom PC-Führerschein bis zu Absehkursen und Rechtsfragen. Anders als bei den vorausgegangenen Beiträgen wird nun jedoch wieder vorwiegend inhaltlich diskutiert, wobei Fragen der Kompetenz der Ausbilder ebenso reflektiert werden wie Möglichkeiten aber auch Grenzen der Volkshochschulen bezüglich der Belange Hörgeschädigter.
Zum Nachdenken noch einige wenige (sind es kontroverse?) Ausführungen in Stichpunkten:
- Forderung eines „gesetzlichen Gebots zur Beseitigung von Benachteiligung und Diskriminierung“
- geringes Interesse Gehörloser an weiterführenden Kursen
- zu geringe Teilnehmerzahl bei der Einführung ins Internet
- keine Zeit, sich auf Hörende zu konzentrieren, diese müssen ihren Dolmetscher mitbringen
- „Deutschland ist im Bereich der akademischer Förderung hörbehinderter Menschen ein Entwicklungsland.“
Mit der einem Vortrag entnommenen Aussage, dass 45 % der Schwerhörigen ihre Dozenten kaum oder gar nicht verstehen, ist der beinahe nahtlose Übergang zum Kapitel Didaktik – Methodik – Kommunikation gelungen, in dem, abgehoben von schulorientierter Bildung, die Notwendigkeit eines zielgruppenorientierten Angebots verstärkt deutlich gemacht wird. Wenn Sprachbarrieren je nach Angebot entweder für Gehörlose oder für Hörende erwachsen wird die Notwendigkeit professioneller Organisation und Koordination für ein tragendes didaktisch-methodisches Bildungskonzept wieder einmal von kommunikations-theoretischer Seite verdeutlicht.
Was neben dem Gesagten zum genannten Schwerpunkt auffällt sind nicht unbedingt neueste Erkenntnisse, aber, konkret und kompakt dargestellt, die Empfehlungen zu technischen Kommunikationshilfen für Beruf und Weiterbildung. Geradezu bestechend und beinahe exotisch im Labyrinth von greifbaren Daten und Fakten wirkt die Aufforderung zur „Didaktik einer neuen Erwachsenenbildung“ unter Einbeziehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse über zentrale Vorgänge – zukunftsorientiert?!
Realiter zurück zur Zukunft führt das letzte Kapitel mit dem Untertitel „Verbesserung der Weiterbildung“. Von der inhaltlichen und regionalen Ausweitung des Angebots über den Boykott von Veranstaltungen bis hin zu fehlendem Fortbildungswillen reichen die Problemfelder, die eingangs motivierend angerissen und in 12 weiteren Vorträgen veranschaulicht werden. Spätestens hier wirken – bei der Vielzahl von Beiträgen unvermeidbar – sich wiederholende Aussagen ermüdend, und doch sind es ausser informativen Details auch immer noch Aspekte, die aufhorchen lassen.
Trotz mancher sich überschneidenden Darstellungen in der Fülle von Fakten,
trotz bereits bekannter, teils bereits veröffentlichter Daten,
trotz vielleicht künftig notwendiger Überlegungen zu eher ergebnisorientierten Diskussionsbeiträgen,
trotz der hier nicht thematisierten offenen Frage zu einem effizienteren Bildungskonzept im Frühförder-, Vorschul- und Primar-Bereich, das künftig günstigere Einstiegsmöglichkeiten in den weiterbildenden Sektor eröffnen muss, bietet wohl kaum eine andere Veranstaltung und damit kaum ein anderer Bericht einen derart umfassenden Einblick in vergangene, derzeitige und zukunftsorientierte Strukturen wie dieses (Nachschlage-)Werk.
Quelle: Gerlinde Renzelberg
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