Eltern hochgradig hörgeschädigter Kinder dürfen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken: internationaler Auditory-Verbal – Kongress
Teilnehmer aus 11 europäischen Ländern
Nahezu 650 Hörgeräte-Akustiker:innen, Hörgeschädigten-Pädagog:innen, Logopäd:innen, Ärzt:innen, Psycholog:innen, Elter:n hörgeschädigter Kinder und lautsprachlich hervorragend geschulte junge hörgeschädigte Erwachsene waren vom 8. bis zum 10. Oktober 1999 zum vierten auf deutschem Boden durchgeführten Auditory-Verbal – International-Kongress in Berchtesgaden zusammengekommen, um sich von bedeutenden amerikanischen und europäischen Fachleuten in neue Erkenntnisse über die auditiv-verbale Erziehung hochgradig hörgeschädiger Kinder einführen zu lassen. Besonders erfreulich war, dass viele der Teilnehmer – sie kamen aus insgesamt 13 Ländern (Belgien, Deutschland, Großbritannien, Italien, Kanada, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Schweiz, Slowenien, Tschechien, Ungarn und den U.S.A.) – junge Studierende u.a. der Universitäten Hamburg, Köln und München waren.
Wer alle bisher in Europa stattgefundenen AVI-Kongresse als Teilnehmer oder auch als Referent miterlebt hat (1989, 1995 und 1999 in Berchtesgaden, 1992 in Essen und 1994 in Budapest), wird der Feststellung zustimmen, dass dieser letzte grosse Kongress der zukunftsorientierten, päd-audiologisch ausgerichteten Lautsprach – Erziehung im ausgehenden 20. Jahrhundert die bisher wohl bedeutendste Veranstaltung ihrer Art auf deutschem Boden gewesen ist. Das war neben den mit grosser Sorgfalt ausgewählten Referenten nicht zuletzt der umsichtigen Vorbereitung des Kongresses durch die Schweizerinnen Susanna Schmid-Giovannini und Dr. Marianne Vogel vom internationalen Beratungszentrum in Meggen/Luzern zu verdanken, das als europäische Aussenstelle des amerikanischen Hauptquartiers von Auditory-Verbal – International gilt, aber auch der Tatsache, dass sich Berchtesgaden wie kaum eine andere Stadt als in jeder Hinsicht idealer Kongressort auszeichnet.
Ehemalige Schüler von Susanna Schmid-Giovannini kommen zu Wort
Die ersten Beiträge – wie sollte es auf einem Kongress der Kinderaudiologie auch anders sein – kamen von Jugendlichen, von zwei ehemaligen Schülern Susanna Schmid-Giovanninis. Beide wurden nach vorausgegangener intensiver Hör-Erziehung mit grossem Erfolg in Regelschulen unterrichtet. Ihr jeweiliges Thema lautete: „Was bedeutet mir die Lautsprache?“ Carol Hartmann, die seit Geburt hochgradig hörgeschädigt ist und neben deutsch auch noch englisch, italienisch und französisch spricht, beginnt nach dem Abitur in diesen Wochen ihr Studium der Heilpädagogik. Beat Ulrich hat nach seiner Schulzeit zunächst in Meggen und dann in Regelschulen Elektrotechnik studiert und wird seit einigen Jahren von seinem Arbeitgeber (ABB) dank seiner guten Beherrschung auch der englischen Laut- und Schrift-Sprache immer wieder einmal auf internationale Einsätze geschickt. Die Eröffnungsvorträge dieser beiden voll in die hörende Welt integrierten Hörgeschädigten waren vor allem für die vielen anwesenden jungen Eltern hörgeschädigter Kinder eine überaus tröstliche Botschaft.
Antonius van Uden, der grosse Reformator der Hörgeschädigten-Bildung des 20. Jahrhunderts
Vor allem für die vielen jungen Kongressteilnehmer wird die Begegnung mit dem niederländischen Priester Dr. Antonius van Uden ein unvergessliches Erlebnis bleiben. Trotz seines hohen Alters – van Uden ist 1912 geboren – hat dieser grosse Reformator der internationalen Hörgeschädigten-Bildung unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts (ihm hat die Fachwelt nicht nur die rhythmisch-musikalische Erziehung gehörloser Kinder, sondern vor allem auch die auf intensive Ausnützung selbst der kleinsten Hörreste und auf die Erziehung zum Gespräch hinarbeitende muttersprachlich reflektierende Lautsprach-Methode zu verdanken) in Berchtesgaden ein lebendig vorgetragenes und mit vielen Anregungen für die Erziehungspraxis angefülltes Referat über „Empathie und kognitive Erziehung gehörloser Kinder“ gehalten. In ihm hat van Uden u.a. aufgezeigt, dass die katholische Jüdin und Philosophin Edith Stein (1891 bis 1942) der Hörgeschädigten-Pädagogik der Gegenwart viel zu sagen hat. Nachdrücklich wies van Uden darauf hin, dass zwischen Empathie (= Einfühlungsvermögen) und Gesprächsentwicklung, Spracherwerb und sozialer Persönlichkeitsentwicklung, welche als Ziel aller Erziehung anzusehen ist, ein enger Zusammenhang besteht.
Zur Geschichte der frühen Hör-Sprach – Erziehung
Als erster deutscher Pädagoge kam dann Armin Löwe, emeritierter Professor für Pädaudiologie und Gehörlosenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, in Berchtesgaden zu Wort. Ihm war die Aufgabe gestellt, anhand von Beispielen aus der nun schon vor mehr als 450 Jahren begonnenen Lautsprach-Erziehung für hörgeschädigte Kinder nachzuweisen (sie begann mit der Arbeit von Pedro Ponce de León, 1510 – 1584, im 16. Jahrhundert in einem spanischen Benediktinerkloster), dass die noch heute in manchen deutsch- und anders-sprachigen Sonderschulen praktizierten konstruktiven Methoden der Sprachanbildung und des Sprachaufbaus nicht nur die sprachliche, sondern auch die kognitive Entwicklung vieler hörgeschädigter Kinder mehr hemmen als voranbringen. In seinem Vortrag konnte Löwe mit zahlreichen Beispielen aus seinen in mehr als 35 Ländern gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnissen belegen, dass eine konsequent durchgeführte Hör-Sprach – Erziehung immer auch eine optimale Förderung des Denkens, der emotionalen Entwicklung und des sozialen Verhaltens aller auf diese Weise zur Beherrschung der Lautsprache geführten hörgeschädigten Kinder bedeutet. Vor allem bei früherfassten, frühversorgten und wirklich umfassend frühbetreuten hörgeschädigten Kindern gebe es überhaupt keinen Zweifel daran, dass diese Kinder später in ihrer kognitiven Entwicklung hörenden Kindern weitgehend gleichen können.
Daniel Ling und Warren Estabrooks, Kanada
Das Nachmittagsprogramm des 1. Kongresstages wurde von den beiden kanadischen Hörgeschädigten-Pädagogen Prof. Dr. Daniel Ling und Warren Estabrooks gemeinsam bestritten. Eingehend legten sie die Prinzipien der auditiv-verbalen Erziehung hörgeschädigter Kinder dar. Hierzu zählen u.a.:
• Früherfassung aller Hörschäden
• Umgehende audiologische Versorgung, sei es mit Hörgeräten oder mit Cochlea-Implantaten
• Anleitung der Eltern zur Sprachentwicklung
• Ergänzung der Arbeit im Elternhaus durch Einzelunterricht
• Gleichzeitige Schulung der Kinder im Hören, Sprechen und Denken
• Bereitstellung von Begleitdiensten zur Erleichterung der sozialen und schulischen Eingliederung der Kinder in die Klassen der Regelschule.
Selbstverständlich sei die Entwicklung des Hörens und der lautsprachlichen Kommunikation von Kind zu Kind unterschiedlich, da in der Erziehung im Allgemeinen und in der Hör-Sprach – Erziehung im Besonderen jeder Fortschritt von einer Vielzahl von Faktoren abhänge. So seien für Fortschritte in der Hör-Sprach – Erziehung folgende Faktoren ausschlaggebend:
• Alter bei der Diagnose
• Ursachen der Hörschädigung
• Grad der Hörschädigung
• Effektivität der Hörgeräte oder des Cochlea-Implantats
• Effektivität der audiologischen Versorgung
• Hörpotenzial des Kindes
• Gesundheitszustand des Kindes
• Emotionale Situation der Familie
• Mitarbeit der Eltern
• Fähigkeiten des Therapeuten
• Fähigkeiten der Eltern
• Lernstil des Kindes
• Intelligenz des Kindes.
Schon heute, das wurde aus den mit grossem Beifall aufgenommenen Ausführungen sowohl von Daniel Ling als auch von Warren Estabrooks deutlich erkennbar, erweisen sich die jüngsten Entwicklungen der Hörgeräte-Technik sowie die in den zurückliegenden Jahren immer wirksamer gewordenen neuen Cochlear Implants für eine von Jahr zu Jahr stürmisch zunehmende Zahl von hörgeschädigten Kindern als eine grossartige Hilfe. Die auditiv-verbale Praxis, die sich als angewandte Wissenschaft versteht, deren Ergebnisse jederzeit objektiv messbar sind, ist deren natürlicher Begleiter.
Neue Erkenntnisse der Neuro-Physiologie und der Psychologie im Spiegel auditiv-verbaler Erziehung
Dass die auditiv-verbale Erziehung mit ihren Prinzipien ein für viele hörgeschädigte Kinder wirklich erreichbares Ziel ansteuert, das wurde am 2. Kongresstag in den brillanten Vorträgen des Luzerner Neurophysiologen Dr. med. Gino Geschwend und des Osnabrücker Universitäts-Professors Dr. Gerhard Schusser eindeutig bejaht. Beide unterstrichen mit neuen Erkenntnissen ihrer Wissenschaftsgebiete, nämlich der Neurophysiologie und der „Psycho-, Neuro-, Endokrino- und Immunologie“, den hohen Wert einer konsequent angelegten frühen Hör-Sprach – Erziehung inmitten der sprechenden Umgebung eines natürlichen Elternhauses. So ist es nach Geschwend für Erfolge in der Erziehung hörgeschädigter Kinder entscheidend, dass diese Kinder möglichst viele Sprachinformationen über das Gehör angeboten bekommen, aus dem sie dann spielerisch und von alleine – gleichsam beiläufig das herausholen, was sie in die verschiedenen Teilsysteme ihres Gehirns hineinnehmen und dann speichern können. Diese strategische Empfehlung ist eine klare Absage an die in manchen Sonderschulen noch immer zur Anwendung gelangenden konstruktiven Sprachaufbauverfahren und ein Bekenntnis zur „beiläufigen Hörerziehung“ (Löwe 1966).
Schusser ergänzte die wegweisenden Ausführungen seines Vorredners mit „neuen Befunden zu Struktur und Funktionsweise des Zentralen Verarbeitungssystems“ und zog daraus u.a. diese Folgerungen für die Praxis von Lehr- und Lern-Prozessen mit hörbeeinträchtigten Kindern:
• Gefühle sind für den Vernetzungsprozess auch der kognitiven Schaltkreise von hoher Bedeutung.
• Das lernende Kind muss spontan und aktiv sein können in der Initiierung, Weiterführung und Anwendung des Zu-Lernenden bzw. -Gelernten.
• Alles Gelernte muss möglichst schon während seiner Aneignung mit anderen Erfahrungen und Tätigkeiten verknüpft, zugleich aber auch reversibel gemacht werden. Das heisst: Die Prozesse, die zu Lernergebnissen geführt haben, müssen frühzeitig reflektiert werden.
• Das Kind muss den Sinn des Lernens, des von ihm erwarteten oder spontan gewollten Tuns, einsehen können.
Nur unter Einhaltung dieser Lernprinzipien, so Schusser, werde sichergestellt, dass das jeweils zu Lernende sich in den bereits bestehenden Schaltkreisen ausreichend vermehrt, abrufbar bleibt und aktiv verfügbar wird zur Initiierung eigener Lernimpulse. Das aber sei letztlich nichts anderes als „selbständig werden“.
Wer sowohl mit der muttersprachlich-reflektierenden Lautsprach – Erziehung nach van Uden als auch mit den Prinzipien der auditiv-verbalen Erziehung vertraut ist, wird unschwer erkennen, dass beide durch die von Geschwend und Schusser vorgetragenen neuen Erkenntnisse als wissenschaftlich gut begründete und wirklich verheissungsvolle Vorgehensweisen bestätigt worden sind.
„Mit zwei hörgeschädigten Söhnen durch die Vorschul-Zeit und die Regelschule“
Wie eine exemplarisch durchgeführte auditiv-verbale und kognitive Erziehung in der Praxis aussehen soll und kann, das wurde den Kongressteilnehmern von dem Münchner Kinderarzt Dr. med. Peter Pietsch und seiner Frau Brigitte Pietsch sowie von seinen beiden hochgradig hörgeschädigten Söhnen Florian und Markus mit vielen, in langjähriger Arbeit erprobten Beispielen überzeugend dargelegt. Beide Söhne sowie ihre Eltern hatten das grosse Glück, während der mehrjährigen Berufstätigkeit von Dr. Pietsch an einer Zürcher Klinik von Susanna Schmid-Giovannini, damals in Zollikon am Zürichsee ansässig, betreut zu werden. In diesem Sommer haben beide Söhne im Alter von 19 und 20 Jahren ihre Regelschulzeit an 2 verschiedenen bayerischen Gymnasien mit so guten Noten abgeschlossen, dass sie ohne Zeitverlust unmittelbar nach dem Kongress in Berchtesgaden an der Ludwig-Maximilians – Universität München das von ihnen erstrebte Medizinstudium antreten können. Mit lang-anhaltendem Beifall dankten die den grossen Saal des Kongresshauses bis zum letzten Platz füllenden vielen Zuhörer dem Ehepaar Pietsch, die wahrhaftig allen Grund haben, voller Stolz auf die von ihnen erbrachte überaus erfolgreiche Lautsprach-Erziehung ihrer beiden Söhne zurückzublicken. Diese stellten sich mit je einem Kurzvortrag aber auch selbst vor. Darin kamen Sätze wie die folgenden vor: „Ein Leben ohne Lautsprache kann ich mir nicht vorstellen“ und „Sorgen Sie dafür, dass Früherkennung, frühe Hörgeräte-Versorgung und frühe Hör-Sprach – Erziehung überall Realität werden, damit alle hörgeschädigten Kinder die Chance einer optimalen Entwicklung erhalten!“
Zwei zentralschweizerische Audio-Pädagoginnen
Mit Dagmar Böhler-Kreitlow von der kantonalen Sonderschule in Hohenrain und Steffi Klauser-Strebel von der Schule Stiftung für hörgeschädigte Kinder in Meggen traten 2 erfahrene Audio-Pädagoginnen an das Rednerpult. Während Dagmar Böhler in ihren Ausführungen die Zusammenarbeit mit den Eltern unter dem Aspekt der Beziehungsgestaltung betrachtete, ging es bei Steffi Klauser um die kognitiven Voraussetzungen für die schulische Integration und um die kognitiven Anforderungen während der Schulzeit. Als wichtigste Voraussetzungen für die Regelbeschulung nannte sie die bereits vorhandene Fähigkeit zu lesen und zu schreiben sowie das Vorhandensein eines annähernd gleichen Wortschatzes, wie ihn hörende Kinder bei Schuleintritt haben. Diese Forderung, u.a. auch von Prof. Löwe in seinem Buch „Pädagogische Hilfen für hörgeschädigte Kinder in Regelschulen“ erhoben, ist schon lange kein utopisches Ziel mehr, sondern wird dank früher Hör-Sprach – Erziehung von immer mehr hörgeschädigten Kindern erfüllt.
Hörgerichtete Frühförderung ist lernbar
Dass dem so ist, ist nicht zuletzt der Tatsache zuzuschreiben, dass die hörgerichtete Frühförderung hörgeschädigter Kinder lernbar ist. Wie Prof. Dr. Gottfried Diller von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg nachweisen konnte fällt dieses Lernen allerdings Eltern als Laien oft leichter als Pädagogen, deren Lerntempo zuweilen bei der Umstellung zu neuen Wegen von bereits erworbenen traditionellen Vorgehensweisen verzögert wird. Darum aber tut eine Neuorientierung in der Ausbildung vor allem des in der Frühförderung eingesetzten pädagogischen Personals not.
Wie diese Ausbildung konzipiert sein sollte wurde von Prof. Dr. Yvonne Csanyi von der Bárczi, Gusztáv – Hochschule für Heilpädagogik in Budapest dargelegt: unerlässliche Grundlage der Ausbildung in der Praxis der Früherziehung ist in Ungarn die Entwicklungsbegleitung eines guthörenden Kindes von seiner Geburt bis zum Alter von 18 Monaten. Nur wer sich in der Entwicklung hörender Säuglinge gründlich auskennt kann sich in Ungarn für die Ausbildung als Früherzieher für hörgeschädigte Kinder qualifizieren.
Hören, eine kognitive Leistung
Eine wertvolle Ergänzung der vorausgegangenen Ausführungen von Dr. Geschwend und Prof. Schusser war der Beitrag des an der Universität Köln lehrenden niederländischen Prof. Dr. Ir. Frans Coninx. Er sprach über das Thema „Vom Hören zum Wahrnehmen: eine kognitive Leistung.“ Nach Coninx ist ein Verständnis der Prozesse, die an der auditiven Wahrnehmung beteiligt sind, wichtig, um die unterschiedlichen Aufgaben in der Hörerziehung definieren und ausführen zu können. So sei das „Hören im engeren Sinne“ durch geeignete medizinische und technisch-medizinische Massnahmen zu optimieren. Pädagogen und Eltern falle die ergänzende Aufgabe zu, diese Massnahmen im Alltag zu überwachen und optimal umzusetzen.
Die Cochlea-Implantat – Versorgung als interdisziplinäre Aufgabe
Wer würde hierbei nicht sofort an die nur interdisziplinär lösbare Aufgabe, der Cochlea-Implantat – Versorgung auf dem Fusse zu folgen habenden Aufgabe der Hörerziehung zuvor gehörlos gewesener Kinder denken? Hierüber referierte in Berchtesgaden nach Prof. Dr. med. Roland Laszig von der Universitäts – HNO-Klinik Freiburg, der in bewundernswerter Weise auch Nichtmedizinern in verständlicher Sprache die „Re-Implantation bei Cochlea-Implantationen“ zu erklären verstand, Dr. Bodo Bertram als pädagogischer Leiter des Cochlea-Implant – Centrums (CIC) „Wilhelm Hirte“, Hannover, das, weltweit gesehen, vor allem dank der langjährigen Pionierarbeit von Prof. Dr. med. Ernst Lehnhardt heute als eines der bedeutendsten Zentren seiner Art in der Welt gilt. Übrigens: Von den heute fast 13’000 bereits mit einem CI versorgten gehörlosen Kindern in der Weit leben rund 2’000 in Deutschland. Damit aber nimmt Deutschland eine Spitzenposition in der Welt ein, um die uns Eltern gehörloser Kinder in manchem Nachbarland, wie z.B. in den Niederlanden oder in Polen, mit Recht beneiden.
Die Ausführungen von Dr. Bertram wurden sodann durch einen anschaulichen Bericht über die Praxis der Hörerziehung bei Cochlea-Implantat – Kinder von Frau Schmid-Giovannini ergänzt und vertieft.
Auch Ärzte leiden zuweilen an der Unzulänglichkeit ihrer Kollegen
Mit bewegten Worten schilderten als betroffene Eltern die Klagenfurter Ärzte Dr. med. Johann Klocker und Dr. med. Ursula Klocker-Kaiser, welche Hürden sie zu nehmen hatten, bevor ihre hochgradig hörgeschädigte Tochter im Alter von 10 Jahren endlich mit einem Cochlear Implant versorgt werden konnte: „Schon am Tage der Diagnoseeröffnung bemühten sich Ärzte, uns mit pessimistischen Aussagen und dem Hinweis auf die Unmöglichkeit, dass sich noch eine Hörbahn ausbilden könne, zu informieren. Ähnliche Aussagen wurden permanent von mehr oder weniger kompetenten Stellen gemacht. Letztendlich hilfreich und unterstützend war eine gut funktionierende Selbsthilfegruppe und das positive Beispiel von betroffenen Eltern und Kindern.“
Ergänzung der Hör-Sprach – Erziehung durch Montessori-Therapie
Dass sich für die Hör-Sprach – Erziehung auch andere als bisher eingeschlagene Vorgehensweisen als wegbahnend erweisen können, darauf verwies Lore Anderlik, Leiterin der Montessori-Therapie – Fortbildung an der Deutschen Akademie für Entwicklungsförderung und Gesundheit des Kindes und Jugendlichen e.V. in München, einem mehrstündigen Seminar. In dessen Verlauf konnte sie dank ihrer reichen Erfahrungen deutlich machen, dass Montessori-Pädagogik und Montessori-Therapie sehr wohl den Boden bereiten können, auf dem sich Sprache entwickeln kann.
Hohe Auszeichnung für Warren Estabrooks
Wie schon bei den vorausgegangenen AVI-Kongressen fand auch diesmal ein Festabend statt. Er zeichnete sich durch einen Höhepunkt besonderer Art aus. Erstmals wurde der neugestiftete Susanna Schmid-Giovannini – Preis verliehen, und zwar an den kanadischen Hörgeschädigten-Pädagogen Warren Estabrooks, der neben Helen Beebe, Doreen Pollack, Judith Simser, Daniel Ling u.a. zu den Pionieren der modernen Hör-Sprach – Erziehung in Nordamerika zählt.
Am Rande sei noch dankbar vermerkt, dass sowohl Päd-Akustiker als auch Herstellerfirmen von Cochlea-Implantaten mit mehreren Ausstellungsständen auf dem Kongress vertreten waren. Deren umfassendes Informationsangebot wurde stark beansprucht.
Der 4. AVI-Kongress – ein „Schmid-Gioviannini – Festival“
Dass innerhalb von nur 10 Jahren bereits 4 hervorragend besuchte, glänzend organisierte, inhaltlich lebendig gestaltete und praxis- wie zukunfts-orientierte AVI-Kongresse auf deutschem Boden durchgeführt werden konnten und schon jetzt gefragt wird, wann wohl der nächste Kongress dieser Art stattfinden wird, dafür sprach am Ende dieser unvergesslichen Veranstaltung in Berchtesgaden Dr. Antonius van Uden als ältester Teilnehmer mit bewegten Worten Susanna Schmid-Giovannini den Dank aller Teilnehmer aus. Seine Worte waren so ergreifend, dass sich alle Anwesenden spontan von ihren Plätzen erhoben und Frau Schmid-Giovannini minutenlang mit einer „standing ovation“ huldigten. Wahrhaftig: der 4. AVI-Kongress im Oktober 1999 in Berchtesgaden war ein „Susanna Schmid-Giovannini – Festival“ und der (bisherige) Höhepunkt des beruflichen Lebens einer Frau, die mit ihrem Werk bereits zu Lebzeiten einen Spitzenplatz in der Geschichte der Hörgeschädigten-Pädagogik des 20. Jahrhunderts einnimmt.
Autor: Prof. Dr. med. Armin Löwe
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