Inzwischen ist er in Fortaleza / Brasilien glücklich mit seinem Einbaum gelandet, hat ein Segel vor den wartenden Fotografen aufgespannt, auf dessen 30 m² Fläche zu lesen stand »Schützt die Ureinwohner — respektiert ihre Landrechte«. Die Rede ist von Rüdiger Nehberg. Noch auf hoher See sprach Thomas Glaue vom Forum Besser Hören mit ihm über Satelliten-Telefon – Red.
Ein weiteres Mal rüttelt Rüdiger »Sir Vival®« Nehberg, Bäckermeister, Abenteurer, Buchautor und ein in der Hörakustik-Branche sicherlich jedermann bekannter und bedeutender Hörgeräteträger, der auch schon des öfteren auf den internationalen Hörgeräte-Akustiker – Kongressen präsent war, durch seine aktivierenden Aktionen im Rahmen der Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Menschen wach. Und wieder einmal wollte er, nun schon zum 3. Male mittels einer imposanten Unternehmung ein Exempel statuieren. Denn noch immer sind die Ureinwohner Brasiliens in ihrer Existenz bedroht bzw. werden ihres Lebensraumes beraubt. Hiergegen protestiert er – und das nicht nur mit Worten.
Am 21. Januar 2000 brach er auf einem zwei Tonnen schweren und 17 Meter langen Baumstammfloß mit dem Namen »The Tree« von der afrikanischen Westküste aus quer über den Atlantik gen Südamerika auf, wo das wundervolle Brasilien seinen 500. Jahrestag feiert. Der Atlantik, zu Recht auch als »Wilder Ozean« bezeichnet, ist wohlbekannt für seinen etwas rauhen Charakter. So musste auch Rüdiger Nehberg auf seiner Abenteuerfahrt so manchen Stürmen und Wogen die Stirn bieten – und meisterte diese mit Bravour.
Thomas Glaue: Bom dia, Senor Nehberg, guten Tag. Wie geht es Ihnen mitten auf dem Atlantik am Äquator?
Rüdiger Nehberg: Muito obrigado, muito bem, danke sehr gut, saugut. Aber ich habe hier leider totale Flaute seit gestern und komme kaum von der Stelle. Nur ein wenig mit der Strömung.
Thomas Glaue: Sie sind unterwegs zur 500 – Jahr-Feier nach Brasilien. Wie steht’s mit Ihrem Portugiesisch?
Rüdiger Nehberg: Ich muss es auffrischen, weil ich längere Zeit nicht drüben war.
Thomas Glaue: Was essen Sie heute Mittag?
Rüdiger Nehberg: Es gibt Haifischsteak mit Sauce Hollandaise. Die habe ich als Fertiggericht mit, und gestern ist mit ein kleiner Hai an die Angel gegangen. Den habe ich gleich angebraten, damit mir das Fleisch in der Tropenhitze bei 30°C nicht verdirbt.
Thomas Glaue: Sie sind schwerhörig und tragen Hörgeräte. Macht Ihnen die Geräuschkulisse auf dem Meer zu schaffen?
Rüdiger Nehberg: Ja, es sind vor allem die Geräusche in der Hütte. Sie wirkt wie ein Resonanzkörper bei den Wellen, die von unten dagegen schlagen. Ich hatte einen Sturm zu überstehen und Höllenangst – aber nur, weil ich die großen Wellen nicht sehen, nur hören konnte. Es war nachts, stockfinster, und ich hatte Schräglage. Es war, als wollten sich die weißen Giftzähne der Wellen in meine Ausleger verbeißen und den Baum umstürzen. Da habe ich die Hörgeräte in ihre Schutzhülle gepackt, denn das ewige Salzwasser lässt vor allem die Batterien schnell oxidieren. Am Tag wirken die Wellen ganz anders. Eher so, als würde mich meine Freundin mit Shampoo einschäumen…
Thomas Glaue: Woher haben Sie Strom, z.B. zum Telefonieren?
Rüdiger Nehberg: Ich habe zwei Solarplatten auf dem Dach meiner 2 m² großen Hütte. Die versorgen zwei Batterien: ein ganz einfaches System ohne Schalter, so dass nichts kaputt gehen kann. Ich habe Außen- und Innen-Licht.
Thomas Glaue: Sie sind Abenteurer und Überlebenskünstler – aber das ist nicht Selbstzweck…
Rüdiger Nehberg: Auf meinem 30 m² großen Segel steht in Englisch und Portugiesisch u.a. »500 Jahre Brasilien – Zeit zum Handeln – Schützt die individuellen Rechte der eingeborenen Völker – Respektiert ihre Landrechte – Rettet den Regenwald – Denn Vielfalt ist die Garantie für eine lebenswerte Zukunft«. Das ist mein Anliegen. Dafür werbe ich um Aufmerksamkeit. Aber es gibt auch andere Dinge, für die ich eintrete. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung rate ich z.B. allen Menschen mit Hörproblemen, frühzeitig etwas dagegen zu unternehmen. Ich habe mit meinen Hörgeräten ein neues Lebensgefühl bekommen. Vorher habe ich viele Veranstaltungen gemieden, weil ich sowieso nichts mehr mitbekam.
Thomas Glaue: Sie haben Indianerstämme schon mehrfach besucht. Was sagen einfache Naturmenschen wie die Indianer zu Ihren Hörgeräten?
Rüdiger Nehberg: Zunächst einmal – die Indianer in der Amazonas-Region kennen den Umweltschmutz Lärm nicht und können durchweg gut hören. Sie brauchen keine Hörgeräte. Aber es war für mich doch eine interessante Erfahrung. Sie haben sofort festgestellt, dass ich »Zaubergeräte« in den Ohren hatte. Mangels gemeinsamer Sprache wurde ich eingehend gemustert und sie sahen sofort, dass ich was im Ohr hatte. Es ist schwer, ihnen die Funktion von HighTech-Geräten klar zu machen. Ich nahm die Geräte dann raus, zeigte sie. Dann versuchte ich zu demonstrieren, dass diese Geräte für die Ohren das sind, was die Brille für die Augen ist. Das können sie verstehen, denn sie haben früher bei den Missionaren Brillen kennengelernt. Ich sage dann, wenn ich die Geräte nicht hätte, dann wäre es so, als ob jemand mir die Ohren zuhielte. Das wird dann akzeptiert.
Thomas Glaue: Danke für das Gespräch, adeus, e boa viagem. Auf Wiedersehen und weiterhin gute Reise…
…und die Reise verlief auch weiterhin gut. In der Nacht vom 3. auf den 4. März 2000 wurde Nehberg von einem Fischerboot in den Hafen im brasilianischen Fortaleza geschleppt, wo er putzmunter und mit bloßen Füßen von seinem »Hausfloß« hüpfte, das er in den letzten sechs Wochen sein Heim genannt hatte. Ganz in seinem Element rief er die Umstehenden dazu auf, sich doch einmal vorzustellen, es würde jemand auf ihrem Grundstück einfallen, die dicksten Bäume abhacken und damit wieder verschwinden oder gar Waffengewalt ausüben und so eine Flucht erzwingen. Dies rüde Verhalten sei nämlich in Teilen Brasiliens gegenüber den Ureinwohnern immer noch an der Tagesordnung. Hut ab vor solch mutigem Engagement!
Thomas Glaue / tv