Er hat eine Vision, der Andy Rihs, seines Zeichens Präsident des Verwaltungsrates der Phonak Holding AG: „Im Idealfall könnte der Betroffene zum Überlegenen werden, der Normalhörende zum Betroffenen… So jedenfalls artikulierte er sich anlässlich einer internationalen Pressekonferenz seines Hauses in Zürich, an der mit »Claro« ein in Fachkreisen mit großem Interesse aufgenommenes neues Hörsystem für die Medien präsentiert wurde.
Etwa 90 Teilnehmer, Journalisten, Verbandsvertreter, Abgesandte sozialer Einrichtungen etc. hatten sich bereits am Vorabend des 7. Februar in Zürich versammelt, um bei einem originellen »Italiener« (Restaurant »Latino« in der Seegartenstrasse – sehr zu empfehlen) untereinander und mit einer starken Mannschaft der Gastgeber Kontakte zu knüpfen und bei exzellenter Atzung sowie einem süffigen Toscaner die Entwicklung moderner Hörsysteme zu diskutieren. Draußen ging derweil ein Schneeschauer nieder, der Stadt und See in eine Märchenlandschaft verwandelte.
Während des »Apéro« musizierte der Solo-Saxophonist Roland Graf, Absolvent der Swiss Jazz School, Bern, und Solist des renommierten Tonhalle-Orchesters. Auch für den späteren Abend hatten sich die Organisatoren angesichts der Internationalität ihrer Gäste – wir zählten Medienvertreter aus 9 Nationen – spezifisch schweizerische Unterhaltung mit der Kabarettistin Andrea Drux und dem ganz ausgezeichneten »schweizerart ensemble« ausgedacht. Letzteres besteht aus 4 klassisch geschulten Sängern (Tenor, Bariton und Bass), die Schweizer Volksweisen in origineller Bearbeitung a cappella präsentierten und enormen Applaus entgegennehmen durften.
Informationen und Visionen
Der nächste Morgen brachte nach der Busfahrt gen Stäfa im Auditorium der Phonak zunächst ein einstimmendes futuristisches Ballett der Power Dancers zum Thema »Visionen«, bevor Andy Rihs die Gäste begrüßte, die vor 6 Jahren artikulierte Aufgabenstellung zitierte (»Wir wollen einen ultimativen Hör-Computer bauen«) und darüber spekulierte, ob nicht eines Tages der Hörbehinderte mit optimalem Hörsystem in bestimmten Situationen besser verstehen werde als der dann zum Betroffenen werdende Normalhörende…
Namens der deutschen »Division« begrüßte sodann Peter David Schaade die Medienvertreter und führte auch durchs weitere Programm der Pressekonferenz. Das mit einem Kurzreferat von Prof. Dr. Jürgen Kießling (Universität Gießen) zum derzeitigen Schwerhörigkeits- und Versorgungs-Status fortgesetzt wurde.
Unter dem Titel »Digitale Technologien heute« führte er u.a. folgendes aus: »… Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland mindestens 14 Millionen Menschen – zumeist beidohrig – unter einer interventionsbedürftigen Hörstörung leiden, von denen ca. 12 Millionen für eine Versorgung mit Hörgeräten in Frage kommen, andererseits aber nur etwa 2,5 Millionen Betroffene tatsächlich Hörgeräte besitzen, kommt der Einführung innovativer Hörgeräte-Technologien eine besondere Bedeutung zu.
So stellt sich zunächst die Frage nach den Ursachen dieser auffälligen Diskrepanz. Sicherlich sind die Gründe dafür multipler Natur: Zum einen ist das Phänomen Schwerhörigkeit und damit auch das Tragen von Hörgeräten in unserem Kulturkreis schon von Alters her mit einem Stigma behaftet, das trotz aller Bemühungen offenbar nur sehr langsam abgebaut werden kann. Als Konsequenz dessen findet man in unserer Gesellschaft ein nur schwach ausgebildetes, geradezu unterentwickeltes Hörbewusstsein, obwohl die Notwendigkeit, möglichst perfekt kommunizieren zu können, heute in allen Lebensbereichen stärker gegeben ist als je zuvor. Zum anderen stellt die Kompensation von Hörstörungen eine überaus komplexe Aufgabe dar, die von Hörgeräten bisher nur partiell erfüllt werden kann. So leidet die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen unter sogenannten Innenohr-Schwerhörigkeiten, die nicht nur leiseres, sondern auch falsches, verzerrtes Hören zur Folge haben. Dies verursacht besondere Probleme beim Verstehen von Sprache, was von den Betroffenen in erster Linie beklagt wird und was häufig zu einer sozialen Isolation führt. (…)
Was also können innovative Technologien und digitale Signalverarbeitungs-Strategien in Hörgeräten heute leisten, um diese Grenzen zu verschieben und Hörgeräteträgern signifikant verbesserte Kommunikations-Hilfen zur Verfügung zu stellen? Die Beschäftigung mit dieser Frage führt unmittelbar zu der Erkenntnis, dass sich innovative Lösungsansätze an den typischen Bedürfnissen und Wünschen des Endverbrauchers orientieren müssen. Diesbezüglich wurden weltweit zahlreiche Studien durchgeführt, die weitgehend einheitlich eine Reihe von Ansprüchen zu Tage gefördert haben, die man bei der Weiterentwicklung von Hörgeräten zu Grunde legen muss. Dabei ergibt sich in aller Regel etwa folgende Prioritätenliste:
- natürliches Hören von Sprache,
- Musik und
- Umweltgeräuschen,
- gutes Hören und Verstehen in geräuscherfüllten Hörsituationen,
- gutes Kommunikations-Vermögen bei mehreren Gesprächspartnern,
- »intelligente« Hörgerätefunktionen,
- keine akustische Rückkopplung,
- hoher Tragekomfort,
- attraktives Design und
- hohe Zuverlässigkeit.
Eine Analyse derzeit realisierbarer Lösungsansätze zeigt, dass Hörgeräte der jüngsten Generation diesem Anforderungsprofil deutlich besser gerecht werden können, als das in der Vergangenheit möglich war. Welche Hörgeräte-Features tragen zu diesem Fortschritt bei?
- Wahrnehmungsgerechte Signal-Verarbeitung: Mit Hilfe mehrkanaliger Equalizer- und Kompressions-Systeme, deren Kompressionswirkung in benachbarten Frequenzbändern in intelligenter Weise verkoppelt ist gelingt eine differenzierte Abbildung der Eingangsdynamik in die individuelle Restdynamik. Insbesondere wenn man die Verarbeitungsstrategien des normalen Innenohres, der Cochlea, im Hörgerät modelliert und implementiert kann man eine lautheitsgerechte, natürliche Schallwahrnehmung im gesamten Frequenzbereich realisieren. So werden nur diejenigen Schallkomponenten für den Nutzer hörbar gemacht, die auch vom Normalhörenden wahrgenommen werden.
- Hochauflösende Störgeräusch-Unterdrückung: In geräuscherfüllten Hörsituationen kann man auf der Basis einer kontinuierlichen Modulations-Analyse in den gehörrelevanten Frequenzbändern (Frequenzbereichen) eine Anhebung der Sprach-Komponenten gegenüber unerwünschten Störschall-Anteilen erreichen, da Sprache durch typische Modulationen (Intensitäts-Schwankungen) gekennzeichnet ist, während Hintergrund-Geräusche eher gleichbleibenden, also stationären Charakter haben. So können Sprachanteile als solche erkannt und selektiv verstärkt werden. Auf diese Weise kann ein angenehmer Klang, und in speziellen akustischen Situationen auch eine gewisse Störschall-Reduktion erzielt werden. Erfolgt diese Form der Signalverarbeitung mit hoher Frequenzauflösung, also gehörgerecht in einer ausreichenden Zahl von Frequenzbändern, so wird der damit verbundene unerwünschte Verlust von Sprachinformation insbesondere bei solchen Störschallen minimiert, die auf einen engen Frequenzbereich begrenzt sind.
- Adaptives Multi-Mikrofon – System: Noch wirkungsvoller kann unter der Annahme, dass sich der Gesprächspartner in der Regel gegenüber dem Hörgeräteträger befindet, unerwünschter Störschall von hinten oder von der Seite durch Aktivierung eines effizienten Richtmikrofons (Multi-Mikrofon – Technologie) unterdrückt werden. Bei Nutzung nur eines Mikrofons ist die Aufnahmecharakteristik annähernd kugelförmig, d.h. die Schallereignisse werden weitgehend unabhängig von der Einfallsrichtung übertragen und hörbar gemacht. Schaltet man zwei (oder im Fall einer Hörbrille mehrere) Mikrofone in geeigneter Weise zusammen, können verschiedene Richtcharakteristiken verwirklicht werden, so dass bevorzugt der Schall (Sprache) von vorn verstärkt wird, während seitlicher und rückwärtiger Schall unterdrückt wird. Im einfachsten Fall kann der Hörgerätenutzer die Richtwirkung bei Bedarf manuell aktivieren oder deaktivieren. Sofern ein wirkungsvoller Algorithmus zur Identifikation und gegebenenfalls Klassifikation des Störschalls im Hörgerät implementiert ist, kann die Aktivierung bzw. die Deaktivierung der Richtcharakteristik heute sogar schon automatisch erfolgen. Die Richtung maximaler Störschall-Unterdrückung (von der Seite, hinten, schräg hinten, etc.) kann entweder manuell durch den Hörgeräte-Akustiker im Rahmen der Anpassprozedur permanent voreingestellt werden, oder das innovative Hörsystem erkennt die Richtung der dominierenden Störschallquelle und optimiert fortlaufend die Richtcharakteristik entsprechend der jeweiligen Störschallsituation.
- Last but not least ist es mit der heute verfügbaren Technologie möglich, durch vorbeugende Maßnahmen im Rahmen der Hörgeräteanpassung wie auch durch adaptive Signalverarbeitungs-Strategien in der individuellen Nutzungssituation die Neigung zu unerwünschten akustischen Rückkopplungen signifikant zu reduzieren. Damit stellen die hier präsentierten Innovationen einen Meilenstein in der Entwicklung moderner Hörsysteme dar, der uns dem Ziel eines möglichst natürlichen Hörens und Sprachverstehens ein gutes Stück näher bringt.«
Nachdem Dr. Stefan Launer, Abteilungsleiter System und Technologie der Phonak Holding AG, am Beispiel von »Claro« Ausführungen zum bionischen, volldigitalen Hör-Computer gemacht hatte referierte der Hörgeräte-Akustiker Beat Weber aus Zofingen über erste Anpass-Erfahrungen mit »Claro«. Er beleuchtete zunächst kritisch seinen Berufsstand: »Drei Jahre Ausbildung sind gut und schön, aber eigentlich hätte ich zunächst Psychologie studieren müssen, um den Schwerhörigen zu motivieren. Die meisten Patienten haben Hemmschwellen, wollen erst einmal kein Hörgerät…« Seiner Meinung nach öffnet da bereits ein aufregendes Design manche Türen. Für ihn ist, auch und gerade angesichts der so leistungsfähigen Hörsysteme von heute die Anpassung auch eine ethische Aufgabe – nur das Einfühlungsvermögen und die Erfahrung des Hörgeräte-Akustikers garantiert die optimale Anpassung.
Peter Schaade interviewte dann zwei Claro-Trägerinnen – die 34-jährige Nicole Loppacher ist Hörgeräte-Akustikerin und schwerhörig. Sie trägt seit 1993 Hörgeräte (mit Fernbedienung) und gab »Claro« gute Noten hinsichtlich Verstehen im Störgeräusch und beim Telefonieren, auch mit Handy. Martina Nicolai kommt aus Oldenburg und ist Musiktherapeutin. Seit der Geburt ihres ersten Kindes 1968 begann ein schleichender Hörverlust. Erste Bekanntschaft mit Hörgeräten machte sie 1988. Die Mono-Versorgung erbrachte jedoch nur geringe Erfolge. Claro verglich sie als Musikerin mit einem ausgezeichneten Instrument. Bei ihr löste das Hörsystem die Inspiration aus, Querflöte zu spielen bis in den dreigestrichenen (sehr hohen) Bereich mit »ganz wunderbaren Hörerfahrungen«.
Bei der nachfolgenden, sehr angeregten Diskussion, in der sich bei manchen Journalisten noch elementarer Informationsbedarf auftat (»Wird die Schwerhörigkeit, die doch eine ganz normale Alterserscheinung ist, nicht künstlich zu einem Mode-Ereignis stilisiert, weil das einen lukrativen Markt bedeutet?!«), postulierte Prof. Kießling eindeutig die Aufgabenteilung zwischen HNO-Arzt (Diagnostiker) und Hörgeräte-Akustiker (Versorgung): »Das ist für den Erfolg obligatorisch, da gibt es kein Vertun!«
Wer von den Journalisten wollte (und Zeit hatte), konnte sich dann noch in der Fertigung bei Phonak umtun und die ja nun wirklich imponierenden Räumlichkeiten in Stäfa inspizieren. Voller Eindrücke und nicht ohne Sympathie für die so liebenswürdige Gastfreundschaft ging man auseinander…
Autorin: Christina Osterwald
Unser Versprechen: wieder stärker verbunden als normalhörend!