Hörst Du schlecht?
Der Untertitel „2000 Jahre Hören und Hörhilfen“ des Werks zur Geschichte der Hörakustik zeigt schon, dass das Thema den Menschen seit alters her berührt. Wer nicht hören kann, ist ausgeschlossen aus der Gemeinschaft, und um das zu verhindern, hat der Mensch schon früh versucht, die Technik zur Überwindung seines Handicaps einzusetzen. Bereits auf altägyptischen Bildern sind Menschen zu sehen, die sich zur Verstärkung des Schalls die Hand hinters Ohr legen, mit Sicherheit die erste Hörhilfe des Menschen – ob mit oder ohne Kenntnis der Zusammenhänge. Die Kugelperücken der Pharaonen und die gewölbten Baldachine am Thron des Königs verstärken ebenfalls den Schall, indem sie den Ton hinter dem Ohr reflektieren. Über technische Hilfen ist freilich bis zum Mittelalter nur wenig überliefert, wenn man von primitiven Formen des Hörrohrs einmal absieht. Das ist erst im 17. Jahrhundert verbürgt, krankt aber am mangelnden anatomischen Wissen der Zeit. Erst 200 Jahre später kommen wissenschaftliche Impulse für die Otologie, und das 19. Jahrhundert ist dann das «goldene Zeitalter» für das Hörrohr. Die vielen Fotos dokumentieren nicht nur den Variantenreichtum dieser Hilfen, sondern auch, dass sich die Menschen schon damals bemühten, diesen Mangel zu kaschieren – und das ist bis heute so geblieben. Hörrohre gab es in Form von Spazierstöcken, Fächern, Pfeifen und Büchern; wer sich die Serienprodukte nicht leisten konnte, baute sich sein Hörrohr mit Hilfe gängiger Trichter eben selbst. Man hatte bereits erkannt, dass Hören eine beidseitige Angelegenheit ist, und auf 1875 ist das erste Hörinstrument datiert, das an einen individuellen Hörverlust angepasst werden kann. Der große Sprung in der Entwicklung kam nach dem 2. Weltkrieg nach der Erfindung des Transistors. Seither hat die Miniaturisierung und Digitalisierung Hörcomputer und Implantate hervorgebracht, die noch das geringste vorhandene Hörvermögen optimieren können und sich ferngesteuert auf die unterschiedlichsten Hörumgebungen einstellen. Interessant ist die Feststellung, dass Hörgeräte immer ein Nebenprodukt des Fortschritts auf anderen Gebieten waren, so haben sie vom Telefon, den Batterien und der Radiotechnik und natürlich den Computerchips profitiert. Während der erste Teil des aufwändig hergestellten Werks auch für interessierte Laien eine Fundgrube für alle Aspekte des Hören an sich einschließlich der philosophischen ist, beschäftigt sich der zweite Teil mit der Hörgeräte-Akustik und dort mit der Entstehungs-Geschichte des Berufsstands. Der Autor hat nichts weniger als ein Standardwerk für die Branche vorgelegt.
Autorin: Monika Schramm
Die Geschichte der Hörakustik. Von Rainer Hüls. Median-Verlag, Heidelberg, 528 Seiten, 40 Abbildungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Mai 2000