Rund 190 Interessenten meldeten sich zum 5. Cochlea-Implantat – Forum des CI-Zentrums der Sprachheilschule St.Gallen an, das am 15. November 2002 im Weiterbildungszentrum der Universität St.Gallen stattfand. Das Thema lautete »Befindlichkeit mit einem CI«.
Bruno Schlegel, Direktor der Sprachheilschule St.Gallen, verzichtete in seiner Einleitung auf die Vermittlung von Basisinformationen über das Cochlea-Implantat, da dieses inzwischen zum Berufsalltag der Schwerhörigen-, Gehörlosen- und Audio-Pädagog:innen geworden sei. Während man 1980 noch von einer Pionierphase gesprochen habe, befinde man sich jetzt in einer Ausweitungsphase.
Verändert, nicht erleichtert
Er wies darauf hin, dass sich durch das CI das Leben der Hörbehinderten, der alltägliche Umgang mit ihnen und die pädagogische Arbeit in vielen Teilen verändert, aber nicht unbedingt erleichtert habe. Geblieben seien – trotz hochstehender Technologie – die Ängste, Sorgen, Befürchtungen, der Druck, allerdings auch hier in einer sich verändernden Qualität. Alle seien aufgefordert, sich zusammen mit den Eltern in den Fachbereichen Medizin, Technik und Psychologie, die für das Cl relevant seien, kundig zu machen. Das Zusammenspiel der verschiedensten Komponenten beeinflusse heute die Befindlichkeit aller Betroffenen, der Eltern und der Fachleute.
Psychosoziale Belastung
Dr. Bernhard Richter von der Universitätsklinikum Freiburg für HNO-Heilkunde referierte über die psychosoziale Belastung bei den Eltern schwerhöriger Kinder, und er wies dabei auf eine entsprechende Studie hin, die im Auftrag seiner Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie erstellt worden war. Danach wurden Einschränkungen in den Bereichen psychisches Befinden, Lebensqualität und soziale Unterstützung festgestellt. Diese Einschränkungen schienen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und des Behandlungsbeginns deutlicher ausgeprägt zu sein, als im Verlauf der weiteren Rehabilitation. Trotz gleichzeitig geäußerter Zufriedenheit mit der erlebten Betreuung durch die verschiedenen Berufsgruppen wünscht sich etwa die Hälfte der Eltern mehr Information, Beratung und Aufklärung.
Möglichkeiten und Grenzen
Dr. Rolf-D. Battmer, Leiter der Audiologie an der HNO-Klinik und Poliklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, sprach über die beidseitige Cochlea-Implantation sowie über deren Möglichkeiten und Grenzen. Das normale Hören sei ja das binaurale Hören. Viele Hörsituationen im täglichen Leben, wie das Sprachverstehen im Störgeräusch oder die Lokalisation von Schallquellen, seien nur mit Hilfe zweier Ohren zu bewältigen. Dass dies auch für Hörgestörte gilt, sei bereits vor vielen Jahren bei der Hörgeräteversorgung nachgewiesen worden. Inzwischen hat sich die Cochlea-Implantation als effektive Hilfe bei Patienten mit hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit etabliert, und es stellt sich die Frage, ob solchen Patienten nicht ebenfalls mit einer bilateralen Versorgung noch besser geholfen werden könnte. Wissenschaftliche klinische Studien haben ergeben, dass ein verbessertes Sprachverständnis und ein verbessertes Richtungshören, somit eine bessere Lebensqualität, möglich sind. Diesen Vorteilen stehen die Nachteile eines doppelten Risikos durch zwei Operationen und von höheren Kosten gegenüber.
Hörschädigung als Stigma?
Harry de Maddalena von der Universitäts-HNO-Klinik Tübingen berichtete von einer Elternbefragung über die psychische Belastung von Familien mit hörgeschädigten Kindern. Dabei habe sich die Annahme bestätigt, dass diese Belastung mit der sozialen und sprachlichen Entwicklung des Kindes zusammenhängt. Die Beziehungsfähigkeit des Kindes und das Rückzugsverhalten von anderen, normalhörenden Kindern sind für die erlebte Beeinträchtigung der Eltern bedeutend. Eltern, deren Kinder einen Regelkindergarten oder eine Regelschule besuchten, seien deutlich weniger beeinträchtigt, als Eltern, deren Kinder eine Sondereinrichtung besuchten.
Probleme einer Reimplantation
Dr. Bodo Bertram, Leiter des Cochlear Implant Centrums Wilhelm Hirte, Hannover, äußerte sich zur beeinträchtigten Befindlichkeit infolge Reimplantation. Solche Reimplantationen würden notwendig bei technischen Unzulänglichkeiten oder aus medizinischen Gründen wie Entzündungen oder Infektionen. Aus der Sicht der HNO-Ärzte stellten Reimplantationen zwar kein besonderes Problem dar, aber die Eltern sähen das kritischer, da sie für das Kind eine Reihe von neuen Belastungen brächten. Aber trotz einiger Bedenken hätten sich die Eltern in der Regel für eine erneute CI-Versorgung ihrer Kinder entschieden.
Die familiäre Situation
Verschiedene Referentinnen und Referenten sprachen über die familiäre Befindlichkeit nach einer CI-Implantation. Agi Gasser, Mutter einer Tochter mit CI aus Haldenstein / Schweiz, versicherte, dass ihre Familie nicht so glücklich mit ihrem Kind wäre, wenn dieses kein Cochlea-lmplantat hätte. So könne sie zum Beispiel mit ihrer Manuela wirkliche Gespräche führen. Als hörende Familie, denke sie, habe sie für ihr Kind das Richtige getan.
Gabriele Thierbach aus Basel ist einerseits Mutter eines Sohnes mit CI und andererseits Mitarbeiterin der Cochlear AG. Weltweit gebe es jetzt bereits über 50’000 CI-Träger:innen. Der Trend zeige, dass das Implantationsalter bei Kindern immer jünger werde. Die guten Hör-Sprachergebnisse der Kinder, die bereits mit ein oder zwei Jahren implantiert wurden, rechtfertigten diesen Entschluss.
Prof. Ursula Horsch von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg wies auf eine vergleichende Studie hin und konnte bestätigen, dass das CI tatsächlich die familiäre Situation entlaste. Die Kinder stellten zwar mehr Anforderungen an ihre Eltern, aber die meisten Väter und Mütter könnten mit dieser Belastung konstruktiv umgehen. Die Elternbegleitung spiele allerdings in diesem Erfahrungsprozess eine große Rolle.
Autor: Ralph A. Ottinger