Im Discount-Zeitalter scheint der Hörgeräte-Akustiker – Branche eine weitere Konkurrenz zu erwachsen. Auf Werbeblätter, die uns besonders an Wochenenden zuhauf ins Haus flattern, konnte man unlängst auch ein Hörgerät entdecken, das als Angebot der Woche neben Herren – Thermo-Socken, Haarspray und Waschmittel platziert war. Die Krönung des Ganzen – gemeint ist hier natürlich nicht die Kaffeemarke – war der Preis. SHG, der Hersteller dieses sogenannten Hörverstärkers HG 300, verlangte für sein Produkt ganze 12.78 €.
Aber auch im Euro-Zeitalter gibt es entsprechende Angebote, z.B. über Versandhandels-Unternehmen für Elektronik im Internet – hier kostet der Hörverstärker nach der Euro-Umstellung 24.95 € (übrigens eine hundertprozentige Währungsumstellung) – oder über große Versandhäuser wie OTTO. Bei diesem kostet der Hörverstärker HV 100 19.99 €.
Schauen wir uns doch ein solches Angebot einmal etwas näher an: Das Modell HG 300 von SHG überrascht zunächst durch seine Ausstattung. In einer schönen stabilen Aufbewahrungsbox werden neben dem Gerät selbst drei Batterien und drei so genannte Ohrpfropfen sowie eine kurze Bedienungsanleitung mitgeliefert. Optisch besticht der Hörverstärker durch seine nostalgisch robuste und kantige Bauform im hautfarbenen Outfit. Bei den mitgelieferten drei 1.5 V-Knopfzellen handelt es sich leider um mittlerweile für Hörgeräte nicht mehr zugelassene Quecksilber-Batterien. 3 unterschiedlich große Ohrpfropfen komplettieren die Ausstattung und sollen neben einem verstellbaren Tragebügel die individuelle Passform garantieren. Das sechsstufige Lautstärkerädchen sowie das ausklappbare Batteriefach bedürfen unbedingt eines feinfühligen Benutzers, der mit seinem Hörgerät (Entschuldigung – Hörverstärker) sorgsam umgeht. Robust hingegen ist der Ein-/Aus-Schalter, da er vermutlich bei diesem Gerät sehr häufig genutzt wird. Das Mikrofon ist nach hinten ausgerichtet, wahrscheinlich mit dem Ziel, Störgeräusche dadurch besser zu übertragen.
Und wie sieht es mit den technischen Möglichkeiten des HG 300 aus? Eine Kontrolle in der Messbox zeigt, dass wir es hier mit einem klassischen Tieftongerät zu tun haben. Der Verstärkungs-Schwerpunkt liegt zwischen 250 und 500 Hz, so dass man eher von einem »Maskierungsgerät« sprechen sollte. Die für das Sprachverstehen so wichtigen höheren Frequenzanteile werden sträflich vernachlässigt, sogar unterdrückt. Darüber hinaus ist eine Klangregulierung nicht möglich, d.h. eine gezielte Frequenzanpassung schließt sich aus. Bis zu diesem Punkt kann man sicher noch ganz jovial sagen, na ja, bei diesem Preis muss man ein paar Abstriche schon hinnehmen. Aber im Hinblick darauf, dass kein Begrenzungssystem vorhanden ist, muss man eher von Fahrlässigkeit sprechen. Im Frequenzbereich von 250 bis 500 Hz wurde am 2 ccm-Kuppler ein Schalldruck von sage und schreibe 120 dB erreicht. Die Gefahr von Lärmschädigungen des Gehörs werden hier billigend in Kauf genommen.
Die Hersteller haben sich ganz geschickt mit ihrer sprachlichen Begrifflichkeit auf sicheres Terrain begeben. So sprechen sie beispielsweise nicht von einem Hörgerät, sondern von einem Hörverstärker, von Ohrpfropfen und nicht von Ohrpassstücken. Ein qualitativer Vergleich mit dem technischen Niveau heutiger Hörgeräte mit ihren vielfältigen Einstell- und Anpass-Möglichkeiten wird damit vermieden. Es liegen nun einmal Welten zwischen einem in jeder Hinsicht einfachen Hörverstärker und einem hochentwickelten digitalen Hörgerät.
Um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen: Kaufen wir bald Hörgeräte im Supermarkt? Sicher nicht. Natürlich wird es hin und wieder jemanden geben, der sein größer werdendes Hörproblem mit einem solchen Gerät aufzufangen versucht und der Werbung auf der Verpackungsbeilage glaubt, dass der Hörverstärker für Kino, Fernsehen, Musikgenuss und nette Unterhaltung geeignet und ein Überhören der Türklingel nicht mehr möglich ist. Ein konsequentes Tragen dieser Hörverstärker im Alltag aber macht keinen Sinn, da das Sprachverstehen dadurch bestimmt nicht verbessert wird. So wird der billige Hörverstärker schnell wieder beiseite gelegt oder entsorgt. Die drei Knopfzellen wird man aber sicher noch verwenden können. Sie sind ohnehin das Wertvollste an diesen Geräten.
Autoren: Manfred Drach / Werner Mörler