„Schule neu denken“ (To be Insider in 12 Minute n)

Vom 33. B-D-H Bundes-Kongress

Motto: Bausteine der Hörgeschädigten-Pädagogik

Nur alle 3 Jahre kommen die Hörgeschädigten-Pädagogen zu ihrem Bundes-Kongress zusammen. Diesmal fand er in Essen statt – hervorragend organisiert von Dipl.-Ing. Erst Schulte, emeritiertem Direktor des Rheinisch-Westfälischen Berufskollegs Essen, und – vor allem – von Susanne Keppner, ihres Zeichens Studienrätin und Direktorin der LVR-Gerricus-Schule für Gehörlose aus Düsseldorf, mit ihrem Team. Die Veranstaltung stand unter dem Motto »Bausteine der Hörgeschädigten-Pädagogik« und verriet in ihrem Verlauf mit dicht gedrängtem Programm – in 3 Tagen 8 Fachvorträge, 2 Podiumsdiskussionen und nicht weniger als 18 teils parallel laufende Workshops, dazu die allfällige Mitgliederversammlung mit Wahl des/der Vorsitzenden – gehöriges Engagement der BDH-Pädagogen.

Start im »Haus der Technik e.V.«

Wer hätte gedacht, dass man in Essen, im von Arbeitslosigkeit gebeutelten »Kohlenpott«, derart brillant »kongressen« kann!? Wir waren vom Ambiente, von den Tagungsmodalitäten, von der herzlichen Gastfreundschaft der regionalen Organisatoren über alle Maße angetan. Und saßen ohne Murren in den Vortragsräumen, obwohl draußen eine Art Bilderbuch-Frühling mit Sonne und Wärme an den Baldeneysee oder eines der vielen weiteren Ausflugsziele gelockt hätte.

Im gut besetzten Hörsaal des zentral gelegenen »Haus der Technik« begrüßte die BDH-Vorsitzende Christiane Hartmann-Börner alle Tagungsteilnehmer und als Ehrengast die persönlich erschienene »Schirmherrin«, Ute Schäfer, Ressort-Ministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, die trotz des Feiertages (Christi Himmelfahrt) gekommen war und sich in ihrem Grußwort sogar erstaunlich informiert zeigte. Sie verglich die Tradition des heutigen BDH mit der Geschichte der Schwerhörigen-Betreuung in Essen – seit 1871! Heute kann man als Hörgeschädigter in Essen an der Schwerhörigen-Schule Abitur machen und bei der Berufswahl unter 140 Möglichkeiten aussuchen. Einmalig für Europa gibt es in Essen eine »virtuelle Fachschule« mit dem Ziel »Betriebswirt«. In »NRW« existieren derzeit 11 pädaudiologische Beratungsstellen und sind ab dem 3. Lebensmonat Untersuchungen des Hörvermögens für Säuglinge obligatorisch. Die Kommunikation wird in Nordrhein-Westfalen nach Angaben der Ministerin gleichermaßen hinsichtlich Laut- wie Gebärden-Sprache gefördert.

Anschließend erstattete die BDH-Vorsitzende einen umfassenden Tätigkeitsbericht mit den Schwerpunkten Spracherwerb und Frühförderung, bevor die Theatergruppe der Westfälischen Schule für Gehörlose und Schwerhörige Bochum unter Leitung des Theaterpädagogen Smock ein pantomimisches Stück aufführte, in dem 5 dunkel gewandete Knaben das Rollenspiel als »Baustein einer ganzheitlichen Menschwerdung« symbolisierten, um Hörbehinderte aus dem Nischen-Dasein herauszuführen.

Den 1. Fachvortrag des Kongresses hielt Prof. Dr. Rainer Klinke vom Univ.-Klinikum Frankfurt/Main, der mit der ihm eigenen Eloquenz zum vorangegangenen Theaterstück anmerkte,

Nur action bringt satisfaction!

Professor Klinke

um sich dann dem Thema »Neuere Erkenntnisse der Physiologie des Hörvorgang« u.a. den otoakustischen Emissionen und dem Ohr als empfindlichstem Sinnesorgan unseres Körpers – zehnmal sensibler als der visuelle Apparat – zuzuwenden.

Die Pädagogen Prof. Dr. Ursula Horsch, Heidelberg, und Prof. Dr. Frans Coninx, Köln, untersuchten dann »Die Beziehung zwischen Dialog und Hörförderung«.

Als Gast aus Oxfordshire/Großbritannien war Edward Moore gekommen und zählte auf, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten von einem Pädagogen erwartet werden, der hörbehinderte Kinder in allgemeinen Schulen unterrichtet.

Praxisnah referierte Rudolf Kroker aus Würzburg dann ausführlich über »Beratung als grundlegende Kompetenz und ständige Aufgabe in der Schule für Hörgeschädigte«. Anhand eines eklatanten Beispiels um den zehnjährigen, an Taubheit grenzend schwerhörigen Steffen zeigte der Referent die Möglichkeiten und Grenzen der eigentlich obligatorisch notwendigen Beratung auf, warnte gleichzeitig vor falscher Selbstsicherheit und betonte, dass Beratung einer Vertrautheit mit verschiedensten Lebenswelten bedarf, die mit der eigenen Lebenserfahrung zunimmt.

In Abänderung des Programms folgte darauf Frau Dr. Antje Aschendorff von der Uniklinik Freiburg i. Br. – Klinik für HNO-Heilkunde mit »Cochlea-Implantierte Kinder – Erwartungen an die Hörgeschädigten-Pädagogik«. In diesem komprimierten, exzellenten Vortrag subsummierte sie eingangs, was der Pädagoge in Sachen CI wissen/kennen sollte: Kontinuierliche Informationen, Indikationen, Grundzüge der OP (schon, um Ängste der Eltern abzubauen), Komplikationen (zum Beispiel die Post-Implant-Meningitis), technische Weiterentwicklungen. Unter den aktuellen Indikationen nannte die Referentin Resthörigkeit bei älteren Kindern und prognostische Faktoren wie Alter bei Implantation und Restgehör, erläuterte die minimal-invasive CI-Operation, die es ihrer Meinung nach noch gar nicht gibt(!), gleichgültig ob mit C-, J- oder S-Schnittführung. Zur Marktverteilung erfuhren wir: 71 % Nucleus®, 14 % MED-EL, 14 % Advanced Bionics und 1 % MXM. HdO- Prozessoren gebe es von allen Herstellern. Zur bilateralen CI-OP merkte Dr. Aschendorff an, dass eine diesbezügliche Entscheidung noch nicht wissenschaftlich abgeklärt sei, und zwar sowohl bei simultaner wie bei sequentieller Vorgehensweise. Ziel sei besseres Sprachverstehen im Lärm – Richtungshören – und eine bessere Lokalisation. Probleme bereiteten die Verdoppelung des chirurgischen Risikos, das Aufheben des 2. Ohres zwecks Reifung der Hörbahn und die Kosten-/Nutzen-Analyse. Auch vor dem scheinbaren Horror-Thema der Post-Implant – Meningitis (PIM) scheute sich die Referentin nicht: Weltweit sind 60’000 CI-OP’s dokumentiert, dabei gab es 91 Fälle von PIM, davon verliefen 17 tödlich. Und einen Trend erfuhr man auch: In Freiburg erfolgen 2/3 der Implantate bei Kindern, das Alter der Patienten sinkt stetig.

Jürgen Walter aus Nürnberg beschloss den 1. Kongress-Tag mit Ausführungen zur »Fort- und Weiter-Bildung für Hörgeschädigte am Berufsbildungswerk Nürnberg«.

Workshops bis zum Abwinken

Der folgende Tag brachte die teilweise gleichzeitig laufenden 18 Workshops, die mit Themata von
»Neugeborenen-Hörscreening«,
»Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungs- Störung«,
»Schule für Hörgeschädigte neu denken«,
»Soziale Integration« bis
»Erwartungen der Eltern an die Hörgeschädigten-Pädagogik« (exzellent: Prof. Dr. Dieter Brosch, von Hause aus Jurist),
»Pädagogische Audiologie« (Referent mit hoher Kompetenz: Manfred Drach aus Friedberg) oder
»Möglichkeiten der Technik bei der Förderung Hörgeschädigter« (Kollege Erich Bayer aus München vertrat sachkundig die Hörgeräte-Akustik).

Revirement im BDH-Vorstand

Bei der Mitgliederversammlung des Berufsverbandes Deutscher Hörgeschädigten-Pädagogen gab es einige Abschiede: So stand der – in Euro und Cent nachweisbar – erfolgreiche Schatzmeister Michael Schneider aus persönlichen Gründen für den neuen Vorstand nicht mehr zur Verfügung und wurde mit dankbarem Beifall verabschiedet. Und einen weiteren – auch die Hörakustik tangierenden – Abschied gab es von Werner Salz, der über 20 Jahre dem BDH-Vorstand angehört hatte, den Verband in dieser Zeit souverän bei zahlreichen Veranstaltungen (u.a. unseren Kongressen) vertreten hat und nun, da seine Pensionierung als Direktor des Pfalzinstitutes für Hören und Kommunikation in Frankenthal naht, seine Position als 2. Vorsitzender in jüngere Hände legen wollte. Der Bundesvorstand, überwiegend Damen, dankte ihm, jede einzeln, mit einer Rose…

Christiane Hartmann-Börner, Hamburg, kandidierte nochmals als 1. Vorsitzende und konnte sich über ein überzeugendes Votum ohne Gegenstimmen freuen. Sie kann und wird nun innerhalb 8 Wochen ihren Vorstand berufen. Schlussendlich wurde eine aktualisierte Revision der Satzung im Detail vorgestellt und mehrheitlich genehmigt.

Bleibt uns nur noch, den Veranstaltern herzlich für die Unterstützung unserer Arbeit – und der 2. BDH-Vorsitzenden Maria Wisnet für die vielen Informationen und Hinweise – zu danken.

Kein Zweifel, die Hörgeschädigten-Pädagogik muss wie viele andere Berufe nach neuen Zielen und einem reformierten Selbstverständnis Ausschau halten. Dass dies nicht schmerzfrei geht, war auch bei diesem Kongress spürbar. Doch die positiven Eindrücke, das Engagement der jüngeren Generation sollten Mut machen…

Autorin: Christina Osterwald

 

 

Autor: Thomas Keck

Thomas Keck ist durch seinen Beruf als Hörsystemakustiker bestens mit der Präzision und Sorgfalt vertraut, die sowohl für die technische Arbeit als auch für den direkten Kundenkontakt erforderlich sind. Sein Werdegang zeugt von einer kontinuierlichen Entwicklung und einem hohen Maß an Fachwissen, unterstrichen durch den Meisterbrief und die Selbstständigkeit. Er verfolgt seine Interessen mit Leidenschaft und widmet sich einer Vielzahl von Aktivitäten, von Musik über die Beschäftigung mit Oldtimern bis hin zur Werteschätzung der Bibel. Thomas bewundert Menschen, die in ihrem Feld Spitzenleistungen erbringen, wie diverse Musiker und Schauspieler. Dies deutet auf eine hohe Wertschätzung für Expertise und handwerkliches Können hin.

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