„Anstrengend, aber schön…“
In der Leipziger Landesschule mit dem Förder-Schwerpunkt Hören – der ältesten Schwerhörigenschule Deutschlands – war bei den Jubiläums-Feierlichkeiten zum 225-jährigen Bestehen der Bär los. Vor und in dem imposanten, frisch renovierten Schulgebäude wimmelte es von Schülern, »Ehemaligen«, Lehrern und Gästen aus nah und fern, die das strahlend sommerliche Wetter genossen, Erinnerungen und Erfahrungen austauschten. Für uns berichten Hörakustik-Meisterin Beate Gromke (Vorsitzende des Vereins zur Förderung von Kunst und Kultur an der Samuel-Heinicke – Schule e.V., Leipzig), Brigitte Liebe, Cornelia Ketboga und Carmen Seifert.
Bewahren der Tradition sowie Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber prägten das Programm der perfekt organisierten Festveranstaltung in der Aula. Schulleiterin Gabriele Fechner begrüßte die Ehren- und anderen Gäste, darunter Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, Prof. Dr. Gerhard Lindner sowie die BDH-Vorsitzende Christiane Hartmann-Börner, bevor die schuleigene Pantomimengruppe anschaulich darstellte, wie Samuel Heinicke seine pädagogische Arbeit in Leipzig begann. Zu den aufmerksamen Zuschauern gehörten übrigens auch Martin Kind und Peter David Schaade.
Und nun geben jetzige und einstige Schulangehörige ihre Eindrücke zum Jubiläum kund:
Das Jubiläum aus der Sicht einer Lehrerin…
Preussischer Reformator und Pädagoge Samuel Heinicke gründete im April 1778 die erste deutsche Taubstummen-Anstalt in Leipzig. Als erster Lehrer unterrichtete er Gehörlose in der Lautsprache. Anlässlich des 225-jährigen Bestehens des Förderzentrums Samuel Heinicke wurde das Schuljubiläum vom 14. bis 16. April 2003 mit einer Festveranstaltung, einem wissenschaftlichen Symposium und dem Schülertreffen ehemaliger Schüler der Schule begangen.
Ministerpräsident Prof. Dr. Georg Milbradt richtete in einem Grußwort seinen Dank an die hier beschäftigten Pädagogen und die zahlreichen technischen Mitarbeiter: Sie seien es, »die Ihren wichtigen Auftrag beharrlich und engagiert nachkommen, die in einer langen Tradition stehen und jungen Menschen, die ein Recht auf besondere Zuwendung haben, einen zuverlässigen Weg der Integration in die Gesellschaft bereiten«.
Das Jubiläum wurde mit einer Festveranstaltung, zu der zahlreiche Gäste geladen waren, feierlich eröffnet. Nach der Begrüßung der Gäste durch die Schulleiterin Gabriele Fechner waren Grußworte des Staatsministers für Kultus des Freistaates Sachsen, Prof. Dr. Karl Mannsfeld, wie auch des Oberbürgermeisters der Stadt Leipzig, Wolfgang Tiefensee, zu hören. Der Kultusminister verlieh der Landesschule mit dem Förderschwerpunkt Hören den Titel »Förderzentrum für Hörgeschädigte«. Den Festvortrag hielt Dr. Elmar Schaar, Ministerialrat, aus München.
Die Festveranstaltung wurde durch das Schülerorchester der Samuel-Heinicke – Schule unter Leitung der Pädagoginnen Ingeborg Benndorf und Lucyna Grzybowska-Petermann feierlich umrahmt. Ebenso trugen die Pantomimengruppe der jubilierenden Schule unter Leitung von Horst Bormann und die Ballettgruppe der Musikschule Leipzig «Johann Sebastian Bach» unter Leitung von Gisela Witt zur Feierlichkeit der Festveranstaltung bei.
Im Anschluss an den offiziösen Teil lud die Schulleiterin alle Gäste, die Pädagoginnen und Pädagogen und Mitarbeiter der Schule zu einem Empfang in die neu gestaltete Bibliothek Hör- und Sprachgeschädigtenwesen ein.
Am folgenden Tag fand ein wissenschaftliches Symposium anlässlich des 225-jährigen Bestehens der Landesschule statt. An diesem Smposium nahmen das Kollegium der Schule und interessierte Gäste aus nah und fern teil. Folgende Themen standen auf der Tagesordnung:
- Projekt »Schule für Hörgeschädigte neu deuten« (Christiane Hartmann-Börner, Prof. Dr. Ursula Horsch, Prof. Dr. Frans Coninx und Direktor Karl Wollmann)
- »Spracherwerb im Kontext einer dialogischen Hörgeschädigten-Pädagogik«,
- »Pädagogische Audiologie als systemische Grundlage in der Schule für Hörgeschädigte«,
- »Organisatorische Neugestaltung der Schulen für Hörgeschädigte«,
- »Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungs-Störungen (AVWS)« (Prof. Dr. Rainer Schönweiler),
- »AufmerksamkeitsDefizitSyndrom (ADS)« (Prof. Dr. Christine Ettrich)
Den Abschluss der Feierlichkeiten bildete das Treffen ehemaliger Schüler:innen der Samuel-Heinicke – Schule. Zahlreiche Teilnehmer:innen hatten sich zu diesem Treffen angemeldet. Für Lehrer:innen und Schüler gab es ein herzliches Wiedersehen und viele intensive Gespräche. Die »Ehemaligen« bestaunten das Schulgebäude, das renoviert und modernisiert werden konnte. Seit 1997 flossen über 12.5 Millionen Euro in Unterrichtsräume und Unterkünfte im Heimbereich, das Haupttreppenhaus, die Fassade, die Räume für die Bibliothek und die einmalige Kunstsammlung.
Autorin: Brigitte Liebe
(seit 1986 Lehrerin für Deutsch, Französisch und Geschichte
an der Samuel-Heinicke – Schule)
…einer »Ehemaligen«…
Am 16. April 2003 trafen sich zum 3. Mal ehemalige Schüler:innen mit ihren Lehrer:innen und Erzieher:innen. In den 225 Jahren Samuel-Heinicke – Schule wurden dort Tausende gehörlose und schwerhörige Schüler unterrichtet. Sie sind nach Schulentlassung ganz unterschiedliche Berufswege gegangen.
Auch ich profitierte 10 Jahre lang von der Zuwendung und den spezifischen Lehr- und Lern-Methoden an dieser Schule, in der man sich integriert, gefördert und unterstützt fühlte.
Beim Betreten des Schulgebäudes fühlte man sich sofort wieder in alte Zeiten zurückversetzt, hier und da traf man bekannte Gesichter von Lehrern, Erziehern und Mitarbeiten. Ein Erkennen und man blieb hier und da stehen, um Neuigkeiten und Schicksale untereinander auszutauschen, versprach, den verlorenen Kontakt wieder neu zu festigen und zu besiegeln. Man freute sich, wenn Lehrer und Erzieher sich noch an einen erinnern konnten.
Zum Beispiel traf ich auf meinen Rundgängen durch das Schulgebäude auf Frau Fechner, die heutige Schuldirektorin, meine damalige Chemielehrerin. Noch einmal wollte sie von mir die Geschichte hören, wie sie damals einen riesigen Eindruck auf mich hinterlassen hatte, als ich sie im Lehrer-Vorbereitungszimmer dabei »erwischte«, wie sie ganz gelassen in eine Zitrone biss, als wäre es nur ein Apfel… Beide mussten wir darüber herzlich lachen.
Auf allen Etagen, Treppen, Sälen und Unterrichtsräumen traf man hauptsächlich auf gehörlose Schüler. Schwerhörigen Schülern begegnete ich, zu meiner großen Enttäuschung, sehr wenigen. Nur zwei Schüler aus meiner eigenen Klasse. Schade! Schade auch, dass kein Kulturprogramm geboten wurde, was den Rahmen des Treffens erhöht hätte, so auch die Meinung vieler Anwesender. Pantomime wäre doch mal eine Sache für das nächste Treffen.
Nachdem ich mir noch einmal alle interessanten Räume der Schule angesehen hatte – darunter begeisterte mich persönlich auch das neue Schwimmbad im Hause -, trat ich teils nachdenklich, teils wehmütig, in alten Erinnerungen schwelgend den Heimweg an, zusammen mit meiner besten Schulfreundin, die in eine Klasse über mir gegangen war. Gemeinsam mit ihren engsten Schulkameraden, die aus unterschiedlichen Regionen angereist waren, fuhren wir zu einem Umtrunk zu ihr nach Hause und schwelgten in alten Schul-Erinnerungen und werteten den Abend mit seinen hinterlassenen Eindrücken aus…
Autorin: Cornelia Ketboga
(Schülerin der Samuel-Heinicke – Schule bis 1979,
danach als Röntgen-Assistentin tätig.
In diesem Jahr ist sie in die Hörgeräte-Branche eingestiegen und arbeitet im Hörgeräte-Zentrum Gromke)
…und einer Schülerin von heute
Das Ereignis an der Samuel-Heinicke-Schule, Förderzentrum für Hörgeschädigte, war in diesem Jahr das 225-jährige Jubiläum.
Um 15 Uhr begann die Festveranstaltung in der Aula. Mitwirkende waren die Pantomimengruppe, unser Schülerorchester und eine Gruppe der Musikschule Leipzig «Johann Sebastian Bach», die eine Tanzaufführung zusammen mit einigen Mädchen aus unserer Schule einstudiert hatte. Eine Schülerin der 9. Klasse, Anja Köhler, rezitierte den »Osterspaziergang« von Goethe aus dem »Faust«. Wir waren alle sehr aufgeregt und hatten viele Wochen für diesen Tag geprobt.
Ehrengast war unter anderen Wolfgang Tiefensee, der Oberbürgermeister unserer Stadt Leipzig, der auch ein Grußwort sprach. Anschließend fand für die Ehrengäste in der Bibliothek ein Festempfang statt. Der Tag war sehr anstrengend und natürlich erfolgreich. Das kann man eindeutig an den zahlreichen Danksagungen erkennen.
Am Dienstag, 9. April, fand um 10 Uhr die Festveranstaltung für die Schüler und Eltern statt. Danach gab es für alle Schüler und die Münchner Gäste ein Mittagessen mit einem großen Nachspeisen-Buffet, das die Schüler der Hauswirtschaft-Gruppe selbst vorbereitet hatten.
Um 13 Uhr begann das Volleyball-Turnier. Nach endlosen Spielen und Kämpfen standen die Sieger fest: die Gruppe der Klassen 9/1 und 9/2!
Am Mittwoch, 30. April, war der große Schulausflug in die Moritzburger Teichlandschaft, an dem alle Schüler, Lehrer und sogar die Kinder und Erzieher der Heilpädagogischen Kindertagesstätte teilnahmen. Die Schüler der oberen Klassen der Samuel-Heinicke – Schule sind mit dem Zug nach Friedewalde gefahren. Die Schüler der unteren Klassen fuhren bis Moritzburg. Alle Teilnehmer sind dann bis Cunnertswalde gewandert, wo es in einer Gaststätte eine Erfrischung und Mittagessen gab. Nach dem Mahl ging es mit dem Zug wieder nach Leipzig zurück.
Es war ein sehr anstrengender, aber schöner Tag, der uns – mit dem 225-jährigen Jubiläum – noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Autorin: Carmen Seifert
(Schülerin der 9. Klasse im Realschul-Bildungsgang,
Vorsitzende des Schülerrates und
Mitglied des Schülerorchesters)
Schulgründer Samuel Heinicke
Der kursächsische Bauernsohn (1727 bis 1790) wurde zum Begründer der lautsprachlich orientierten Taubstummenbildung in Deutschland. Als Leibgardist des Königs von Sachsen nutzte er die Freizeit, um autodidaktisch zu studieren und entdeckte seine Begabung zum Lehrer. 1788 entwickelte er – etwa zeitgleich mit dem Theologen Abbé de l›Ėpée, die orale Taubstummensprache. Zuvor hatte er, als Küster der Eppendorfer Kirche Erzgebirgsblick, gegen den Widerstand des Pfarrers, bis 1769 mehrere gehörlose Kinder unterrichtet, sozusagen die Eppendorfer Pfarrkirche zur ersten Gehörlosenschule Deutschlands gemacht. Mit dem offiziellen Segen und der finanziellen Unterstützung des Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen gründete er 1778 die Leipziger Schule, der er seinen Namen gab.