Um »vor Ort« Eindrücke von der 1. Deutschen Hörtest-Woche der Fördergemeinschaft zu sammeln, haben wir unser Redaktionsmitglied Claudia Single in Heidelberg »auf die Pirsch« geschickt – Red.
Lauschende Passanten im Heidelberger Akademiegarten, kopfhörertragende Menschen in der »Akademie für Ältere« in der Volkshochschule; auch in der Hauptfiliale der Heidelberger Sparkasse galt es, die Ohren zu spitzen: Hörgeräte Kilian hatte zum Hörtest eingeladen. »Die Aktion hat guten Anklang gefunden, wir sind mit dem Ergebnis zufrieden«, lautet die Bilanz von Heide Leonhardt, Hörgeräte-Akustikerin bei Hörgeräte Kilian in Heidelberg. Während der Hörtestwoche vom 23. bis 29. Juni wurden von ortsansässigen Hörakustikern bundesweit kostenlose Hörtests angeboten. Die Aktion wurde von der Fördergemeinschaft Gutes Hören und dem Deutschen Grünen Kreuz e.V. ins Leben gerufen.
Ziele und Erwartungen
Mit einer breiten Sensibilisierung für das Thema ist es nicht getan. Es gilt vor allem, Schwellenängste abzubauen und die Verschlechterung des Hörvermögens vom vermeintlichen Stigma der Altersschwäche zu befreien.
Greift man Heidelberg als einen der vielen Orte der Hörtestwoche heraus, zeigt sich ein reges Interesse der Öffentlichkeit an der Thematik. So wurden allein von Hörgeräte Kilian 509 Hörtests durchgeführt. Dabei stellte sich bei 57 Teilnehmern eine behandlungsbedürftige Hörschwäche heraus. Folglich hatten rund zehn Prozent ernst zu nehmende Hörstörungen – eine recht stattliche Anzahl. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die Zahl derer, die schlecht hören, bekanntermaßen weit größer ist. Sie alle zu erreichen, wäre jedoch ein ebenso hehres wie unerreichbares Ziel.
Vor diesem Hintergrund ist es fraglos ein Erfolg, bei immerhin 10 % Berührungsängste abgebaut und Klarheit über die jeweiligen Befindlichkeiten geschaffen zu haben. Inwiefern der Rat, den Akustiker oder HNO-Arzt aufzusuchen und nach dem Screening eine eingehende Untersuchung mit Anamnese vornehmen zu lassen, schließlich befolgt wird, entzieht sich einer genauen Kontrolle. Wege zu weisen ist eine Sache, ob sie dann gegangen werden, eine andere. Und was Seneca schon wusste, gilt eben auch hier:
Während man aufschiebt, verrinnt das Leben.
Seneca der Jüngere
Offene Türen und flüchtige Winkelzüge
Die sprichwörtlichen offenen Türen einzurennen, auch das war eine von Heide Leonhardts Erfahrungen. »Äußerst positiv war die Reaktion junger Leute, die mit einer großen Offenheit an den Hörtest herangingen und sich ausgiebig über die Möglichkeiten des Gehörschutzes informierten«.
So sah man auch Emanuel H., nicht nur in Heidelberg bekannt als »DJ« großer Veranstaltungen, beim Hörtest. Noch zeigten seine Ohren keine Schädigungen, doch er weiß: »Wer wie ich ständig lauter Musik ausgesetzt ist, sollte besonders auf seine Ohren achten. Ich gehe inzwischen zu keiner Musikveranstaltung mehr, ohne Ohrstöpsel zu benutzen. Ganz gleich, ob ich selbst die Musik auflege oder einfach nur Gast bin.« Schon seit Jahren lässt er sich seine Ohrstöpsel individuell vom Akustiker anpassen.
Sind Äußerungen wie diese Indiz für einen leisen Wandel? Zeichnet sich im Bewusstsein dieser Generation, geprägt von Walkman und CD-Playern, von dezibelstarken Diskonächten und lauten Live-Konzerten, bereits eine Einstellungs-Änderung ab, die man auf die Formel bringen könnte: Hörprobleme kann jeder haben und natürlich muss man sie behandeln? Es wäre zu wünschen.
Einer der Schauplätze in Heidelberg war die belebte Hauptstraße, allwo sich die Hörtester just vor dem erzenen Robert Wilhelm Bunsen aufgebaut hatten, der im gegenüberliegenden Haus seinen berühmten Brenner entwickelt hat. Leider scheinen sich Aufgeschlossenheit und Wissbegier des Gelehrten nicht auf alle heutigen Bürger der alten Universitätsstadt vererbt zu haben. Denn es gab auch solche Szenen zu beobachten: Einige, vor allem reifere Menschen, ließen beim Blick auf den Hörteststand ein verhuschtes »Ich war eben erst beim Ohrenarzt« vernehmen und machten sich eilends von dannen. Wie es um den Wahrheitsgehalt derartiger Aussagen bestellt ist, sei dahingestellt. Zu hoffen bleibt jedoch, dass sich der eine oder andere im Vorbeigehen zumindest vorgenommen hat, seinem Bekenntnis Taten folgen zu lassen. Und sollte der Besuch beim Ohrenarzt tatsächlich stattgefunden haben – umso besser.
Ausdauer und langer Atem
All diejenigen, die in Folge des Hörtestes einen Hörakustiker aufsuchen werden, haben weit mehr als den ersten Schritt getan. So hatte ein älterer Herr nach dem schlechten Ergebnis seines Tests seinem Herzen grimmig Luft gemacht »Ich hab› ja schon immer gewusst, dass ich nicht mehr gut höre, aber wer will denn schon zum alten Eisen gehören?« Womit wir wieder beim Thema Stigma wären. Genau diese Haltung hat sich bedauerlicherweise in den Köpfen zahlreicher Schwerhöriger eingenistet und es bedarf der Geduld, hier neue Einstellungen zu vermitteln. Doch zurück zu unserem älteren Herren. Unverhohlen und still staunend beobachtete er die Jugend, die mit dem Thema einfach ungezwungen umging und schließlich ließ auch er sich vom Hörgeräte Kilian – Team beraten. Mit der Bemerkung »Na gut, einen Versuch mit einem Hörgerät kann ich ja machen. Vielleicht versteht mich meine Frau dann ja auch mal besser«, verabschiedete er sich. Dass es mit der ehelichen Verständigung möglicherweise von seiner Seite gehapert haben mag, nun, dazu schweigt der Redakteurin Höflichkeit. Menschlich ist die kleine Szene allemal, spiegelt sie doch nicht nur die Hybris mancher Zeitgenossen wieder, sie deutet auch auf eine Umkehrung der einst etablierten Maxime, dass die Jugend doch bitteschön vom Alter zu lernen habe.
Wie auch immer, Heide Leonhardt ist sich sicher: »Der Erfolg der Hörtestwoche wird sich vor allem auf lange Sicht zeigen.« Und sie fügt hinzu, »Es geht um die soziale Dimension, die mit gutem Hören verbunden ist, Schwerhörige betrachten ein Hörgerät häufig immer noch wie eine Art Prothese, statt es als natürliches Hilfsmittel wie eine Brille zu bewerten, das ihnen den Anschluss an die soziale Umgebung einfach entscheidend erleichtert.«
Nach dem Einsatz auf offener Straße folgte ein etwas weniger frequentierter Hörtest in den respektheischenden Mauern der Sparkasse, genauer, in der großzügig dimensionierten Schalterhalle. Ob eine unterbewusste Befürchtung mitschwang, die Kreditzinsen könnten sich erhöhen, wenn man bei einem Hörtest vor den Augen der Banker auffällt? Jedenfalls räkelte sich doch mancher Bankkunde lieber in den Besucher-Sesseln, während er in scheinbarer Hektik am Teststand vorüber hastete.
Autorin: Claudia Single