Die Stimme meines Rasierers
Mit freundlicher Genehmigung nachgedruckt aus: print process 22/03 der Heidelberger Druckmaschinen AG.
Der innovativste Zweig des Produktdesigns heißt Sounddesign. Technische Geräte knistern, knacken oder brummen – ganz nach den Erwartungen und Vorlieben der Konsumenten.
Jeder kennt das. Der nagelneue Anorak hängt den ganzen Winter unbenutzt im Schrank, weil er bei jeder Bewegung unangenehm knirscht. Beim Kauf des neuen Autos fällt die Entscheidung nach Abwägung aller technischen Daten am Ende irrational – ein bestimmtes Modell überzeugt einfach durch den umwerfenden Sound seines Motors. Der eine Haarföhn brummt freundlicher als der andere. Aber auch: Das Surren der Wind-Kraftanlage, an der wir täglich vorbeifahren, macht uns aufgeschlossen für alternative Energie oder nährt unsere Vorurteile. Die Geräusche von Produkten vermitteln uns – in der Regel unbewusst – eine Botschaft, der wir uns nicht entziehen können. Die Augen kann man schließen, die Ohren nicht.
Die Wiege des Sounddesigns stand – wen wundert’s – in den Illusionsfabriken von Hollywood. »Sounddesign« bezeichnete in der Filmindustrie bis in die 90er Jahre hinein die Gestaltung der gesamten Tonspur eines Films mit Sprache, Musik und Geräuschen.
Heute klingen die Tätigkeiten der cineastischen Tonkünstler illustrer, da ein immer größeres Heer von Spezialisten zusammenwirkt – der frei gewordene Begriff »Sounddesign« dagegen steht für den innovativsten Zweig des Produktdesigns.
»Form follows emotion«, die jüngste Variation des legendären Designer-Mantras »Form follows function«, könnte als Devise der Sounddesigner gelten. Denn ihre Aufgabe geht weit über die bloße Schallminimierung hinaus. Sie komponieren ein Klangbild, das dem Produkt einen individuellen akustischen Charakter verleiht – quasi eine »Stimme«. Oberster Maßstab ist das subjektive Empfinden des Nutzers – Geräuschqualität ist die Übereinstimmung mit seinen Erwartungen. Sounddesigner sorgen dafür, dass wir im Auto ein Blinkergeräusch hören, obwohl der elektronisch gesteuerte Blinker lautlos funktioniert, dass der Rasierapparat für den Herrn des Hauses kräftig »prazzelt«, während der Epilierer für die Dame nur sanft knistert und dass wir einen Ferrari an seinem unnachahmlichen Sound erkennen.
Dabei haben die Sounddesigner ihren Kollegen fürs Optische einen entscheidenden Vorteil voraus. Der Unterschied zwischen angenehmen und unangenehmen Geräuschen ist keine Frage des Geschmacks, der letztlich immer subjektiv ist, sondern eine wissenschaftlich erfassbare Größe. Die Psychoakustik hat herausgefunden. dass fast alle Menschen den gleichen Hörgeschmack haben, solange es nicht um Musik, sonder »nur« um Geräusche geht. Dipl.-Phys. Thorsten Ronnebaum und Dipl.-Phys. Nils Springer, Geschäftsführer der »Sounddesign R & S«, waren die Ersten, die vor rund 10 Jahren damit begannen, diese Erkenntnis in Produktdesign umzusetzen und für die Verkaufsförderung nutzbar zu machen.
Der typische «Kreative« ist Thorsten Ronnebaum nicht – eher ein nüchterer Pragmatiker. Auf die Frage, ob er eine Vision für sein Unternehmen habe, wehrt der 35-jährige trocken ab: »Ach nö, eigentlich nicht« Aber die Geschichte seines jungen Unternehmens ist jetzt schon eine Erfolgsstory. Während des Physikstudiums in Oldenburg Ende der achtziger Jahre spezialisierte er sich auf die Akustik und besuchte nebenbei Seminare in Psychologie, bis er in der jungen Fachdisziplin Psychoakustik, die sich damals vor allem mit Lärmschutz befasste (und die unseren Lesern kein Neuland sein sollte! Red.), sein Spezialgebiet fand. Als interessierter Student trieb er sich gern auf einschlägigen Fachtagungen herum, wo ihm eines Tages ein Hersteller von Lichtschalter für die Automobilindustrie sein Leid klagte. Ein Großabnehmer hatte ihm die Zusammenarbeit gekündigt, weil seine Schalter »zu billig« klängen. Ronnebaum entwickelte ein Konzept und präsentierte ein paar Wochen später seinem ersten Kunden die Lösung des Problems.
Die deutsche High-Tech Gründerfonds Management GmbH erkannte das Potenzial und verlieh Ronnebaum und seinem Partner Nils Springer 1996 den mit 100’000 Mark dotierten Innovationspreis – das Gründungskapital für ihr Unternehmen.
Cornflakes und Kekse lassen sich mit dem richtigen »Knacks« besser verkaufen
Heute zählt »Sounddesign Ronnebaum & Springer« Miele, Sony, Bosch, Blaupunkt und Volkswagen zu seinen Kunden, um nur einige zu nennen. Sounddesign ist zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden. Nach einem Siegeszug durch die Automobil-Industrie – inzwischen hat jeder Konzern sein hauseigenes Soundlabor – fragt alles, was in der Herstellung technischer Geräte Rang und Namen hat, die Dienstleistungen der beiden innovativen Köpfe nach.
Der jüngste Boom ergreift gerade die Nahrungsmittel-Industrie – Cornflakes und Kekse lassen sich mit dem richtigen »Knacks« ebenfalls besser verkaufen.
Umso erstaunlicher, dass »Sounddesign R & S« nach wie vor ein 2-Mann – Betrieb ist. Ein Blick hinter die Kulissen macht klar, warum: Gemessen an der verkaufsfördernden Wirkung, die mit dem »richtigen« Klang erzielt werden kann, ist die Erstellung eines akustischen Konzepts eine relativ unaufwändige Sache.
Ein Beispiel: Die Entwicklung eines Messparameters, anhand dessen ein Kühlschrankhersteller eine ganze Baureihe im Hinblick auf die Erwartungen seiner Zielgruppe akustisch optimieren kann, erfordert vier Wochen Zeit und kostet rund 10’000 bis 12’000 €.
»Die einzige personalintensive Phase ist die Zielgruppen-Befragung«, so Ronnebaum. Sie ist allerdings Kern seines erfolgreichen Ansatzes. Unter Beteiligung einer 10-köpfigen Gruppe von Versuchspersonen wird das Geräuschprofil eines Produkts nach einem ausgetüftelten System psychoakustischer Kenngrößen wie Lautheit, Rauhigkeit, Tonhaltigkeit oder Schärfe bewertet und im 2. Schritt ein computergeneriertes »Zielgeräusch« erstellt – quasi das optimale Kühlschrank-Brummen. Anhand der gewonnenen Daten werden anschließend das Ist- wie das Soll-Geräusch in ihre Bestandteile zerlegt und auf ihre Ursachen in den Besonderheiten des Materials und der Konstruktion zurückgeführt.
Forschung und Entwicklung im Sounddesign gehen natürlich beständig weiter. Ein zukunftsträchtiges Feld ist die Entwicklung von Standard-Software, seit kurzem gibt es ein Programm zur Ermittlung der Rauhigkeit von Motorgeräuschen. Auf Kundenseite geht der Trend zum »Sound Branding« – zur Kreation von Geräuschen, an denen der Konsument eine Marke erkennt. Bei Porsche und Ferrari ist das heute schon der Fall. Zukünftig aber werden wir vielleicht am Telefon Fragen gestellt bekommen wie: »Sag mal, Du hast Dir gerade ein Bier aufgemacht – ein BECK’S, stimmt’s?«
Zu der Befürchtung, dass wir irgendwann in all dem Produktlärm wahnsinnig werden, besteht aber glücklicherweise kein Anlass – in den Soundlabors von Flugzeugherstellern wird bereits mit Antischall experimentiert, der jedes Geräusch mit dem exakt passenden gegenphasigen Schall auslöschen kann!
Autorin: Edith Winner