Frühkindliches Hören
Wenn auch immer mehr Neugeborene heute einem Hörscreening unterzogen werden, so ist das notwendige nachfolgende Tracking immer noch vergleichsweise unterentwickelt. Und es geht bei vielen betroffenen Kleinkindern wertvolle Zeit bis zur endgültigen Diagnose und der eventuell nötigen Hörgeräte-Versorgung verloren.
Die aktuelle Situation in Deutschland: Jedes Jahr werden zwischen 1’800 und 2’400 Kinder mit beidseitigen Hörschäden geboren. Damit treten angeborene Hörschäden häufiger auf als die Summe aller anderen angeborenen Erkrankungen. Nach neuesten Untersuchungen werden Eltern in Deutschland jedoch erst nach durchschnittlich 27 Monaten mit der Vermutung eines Hörschadens konfrontiert. Die fachärztliche Bestätigung liegt im Schnitt nach 36 Monaten vor, die 1. Hörgeräte-Versorgung erfolgt mit 38 Monaten und damit rund 32 Monate zu spät. Denn im Idealfall empfiehlt sich die Anpassung von Hörgeräten und Cochlea-Implantaten und eine damit einhergehende pädagogische Frühförderung bereits mit sechs Monaten. »Trotz ausgereifter Diagnose-Methoden und entsprechender Geräte erfolgt die Behandlung von kindlichen Hörschäden heute so spät, dass die alles entscheidende Phase der Hör- und Sprach-Entwicklung verpasst wird«, so Dr. Agnes Hildmann, Sprecherin des Joint Committee »Frühkindliches Hören«. »Verschärfend kommt hinzu, dass die medizinischen und therapeutischen Einwirkungsmöglichkeiten auf die kindliche Hörentwicklung um so geringer ausfallen, je später die Hörschädigung entdeckt wird.«
Deshalb haben sich im September 2001 Fachleute aus den Bereichen Medizin, Hörgeräte-Industrie, Hörgeräte-Akustik, Messtechnik und Hörgeschädigten-Pädagogik zusammengesetzt, um ein integriertes und flächendeckendes Konzept zur Erkennung und Behandlung frühkindlicher Hörschäden zu entwickeln. Dieses Konzept wurde auf dem UHA-Kongress 2002 in Leipzig erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt.
Jährlich werden 1’800 bis 2’400 Kinder mit beidseitigen Hörschäden geboren, zzgl. der Kinder, die in den ersten Lebensmonaten einen Hörschaden erwerben. Für eine altersgemäße Entwicklung dieser Kinder muss – entgegen der aktuellen Situation – die frühestmögliche Behandlung und Förderung zum Regelfall werden, so die Forderung des Joint Committee «Frühkindliches Hören».
Das Konzept der Expertengruppe umfasst 4 Stufen (Hörscreening, Diagnose, Therapie und Frühförderung), deren Ergebnisse in eine zentrale Datenbank (Verlaufsdokumentation) fließen. Die Öffentlichkeit wird kontinuierlich über Chancen und Notwendigkeiten informiert.
Quelle: Joint Committee «Frühkindliches Hören», 2003
(Forum Besser Hören)
Mit der Unterstützung des Forum Besser Hören hat das Joint Committee »Frühkindliches Hören« Ende Oktober 2003 das in der Zwischenzeit weiter entwickelte Konzept im Rahmen einer Presseveranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt. Unter der Moderation des Gastgebers Dr. med. Thomas Wiesner referierten im werner otto institut, Sozialpädiatrisches Zentrum in Hamburg Dr. med. Agnes Hildmann (Sprecherin [der Deutschen Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e.V. «Aktion] Frühkindliches Hören»), Prof. Dr. med. Markus Hess (Direktor Phoniatrie und Pädaudiologie am UniversitätsKlinikum Hamburg-Eppendorf) und Hannelore Hartmann (Vorsitzende der Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder e.V.).
»Es hat sich gezeigt, dass die bislang eingeleiteten regionalen Ansätze – die es beispielsweise in Hamburg, Berlin, Hessen und im Saarland gibt – in ihrer jeweiligen Form auf das gesamte Bundesgebiet nicht übertragbar sind«, so Dr. Agnes Hildmann. »Wir haben deshalb ein ganzheitliches Konzept erarbeitet, das bundesweit alle beteiligten Leistungs-Träger und -Erbringer zeitnah in die Lage versetzen soll, eine durchgängige, interdisziplinäre und kindgerechte Versorgung hörgeschädigter Kinder sicherzustellen. Hörbedingten Entwicklungs-Störungen soll durch dieses Konzept und die schrittweise Umsetzung der dringend notwendigen Maßnahmen systematisch vorgebeugt werden.«
»4-Säulen«-Konzept
Das Konzept des Joint Committee Frühkindliches Hören sieht vier tragende Säulen vor, die inhaltlich und zeitlich unmittelbar miteinander verzahnt sein sollen:
- Einführung eines flächendeckenden Neugeborenen-Hörscreenings inklusive notwendiger Folgemaßnahmen durch eine zentrale Datenerfassung,
- Pädaudiologische Diagnostik,
- konservative (medikamentöse), operative (gehörverbessernde Operation) und apparative (Hörgeräte-Versorgung/Cochlea-Implantation) Therapie und
- schließlich Nachsorge bzw. Rehabilitation und pädagogische Frühförderung.
Zusätzlich bzw. als alles verbindendes Gerüst gilt es, Eltern und allgemeine Öffentlichkeit kontinuierlich über die Chancen und Notwendigkeiten zu informieren und zu sensibilisieren.
Dr. Hildmann führt dazu aus: »Besonders wichtig ist nach unserer Auffassung die Erfassung eines schwerhörigen Kindes durch das Neugeborenen-Hörscreening in den ersten Lebenswochen sowie ein sich anschließendes Tracking, sprich die Folgekontrollen dieser Kinder.«
Damit das Konzept nicht Vision bleibt, sondern Realität wird, hat das Joint Committee darüber hinaus konkrete Maßnahmen formuliert, die jetzt mit den jeweils zuständigen Leistungs-Trägern und -Erbringern (Gesetzgeber, Krankenkassen, Länderministerien, Kliniken u.a.) umgesetzt werden sollen: So muss die Finanzierung des Universellen Neugeborenen-Hörscreenings (UNHS) geklärt, ein zentrales Tracking-Register etabliert und der Bestand von Follow-up – Institutionen langfristig gesichert werden. Ebenso gilt es, die Hörgeräte-Festbeträge, die notwendige Cochlea-Implantat – Versorgung sowie qualifizierte Frühfördermaßnahmen auf ein gesichertes finanzielles Fundament zu stellen. Die so zu realisierende altersgerechte Entwicklung der Kinder bedeutet nicht nur einen deutlichen Gewinn an privater und beruflicher Lebensqualität der Betroffenen. Vielmehr kann aufgrund verringerter Folgekosten (Stichwort: verbesserte Integrationsfähigkeit hörgeschädigter Kinder) auch ein bedeutendes gesellschaftliches Sparpotenzial erschlossen werden.
Autor: Eckart H. Rampe
Kontakt
Joint Committee Frühkindliches Hören, c/o ZVEI e.V., Dr. Agnes Hildmann, Stresemannallee 19, D-60596 Frankfurt, Telefon: +49 (0) 69-63 02-388, eMail: info@fruehkindliches-hoeren.de, Internet: www.fruehkindliches-hoeren.de
Tragende Fachorganisationen
Die Beteiligten des Joint Committee «Frühkindliches Hören», sind hier in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt:
– Berufsverband Deutscher Hörgeschädigten-Pädagogen (B-D-H)
– Bundesgemeinschaft der Eltern und Freunde hörgeschädigter Kinder e.V.
– Bundesinnung der Hörakustiker K.d.ö.R.
– Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren – Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
– Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) e.V.
– Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation (DVfR) e.V.
– Deutscher BerufsVerband der Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie (DBVPP) e.V.
– Deutscher Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V.
– Deutscher Schwerhörigen-Bund (DSB) e.V.
– Fachverband Deutscher Hörakustiker e.V.
– LIGA für Hörgeschädigte e.V.
– Europäische Union der HörAkustiker (EUHA) e.V.
– Vereinigung der Audiometer- und neuro-otologischen Industrie
– BundesVerband der Hörgeräte-Industrie (BVHI) e.V.
– Wissenschaftler im Bereich Hörgeschädigten-Pädagogik