Die Digitaltechnik hat bei der Konservierung von Musik atemberaubende Fortschritte gemacht. Selbst alte Analogaufnahmen können so aufbereitet werden, dass sie fast wie neu klingen. Doch der Sammler muss aufpassen. Es gibt viele akustisch schlechte Wiederveröffentlichungen, die ihr Geld nicht wert sind.
Es ist schon erstaunlich, was man heutzutage aus altem analogen Bandmaterial herausholen kann. An „Let It Bleed“ von den Rolling Stones kann man das über die Jahre verfolgen, von der ersten Veröffentlichung 1969 auf Langspielplatte, MC und 8-Track-Kassette (schon vergessen?) über die analoge Wiederveröffentlichung 1983 auf Vinyl im Direktschnitt-Verfahren (DMM), die erste digitale Überspielung auf CD in AAD-Qualität, bis zu der vorliegenden CD im DSD-Format. Jedes mal wurden ein paar Dezibel mehr an Transparenz, Kanaltrennung und Dynamik herausgeholt und das Rauschen weiter unterdrückt. Auch bei dieser Wiederveröffentlichung ist das zu spüren. Die Bässe sind wuchtig wie nie und die akustischen Gitarren scheinen wie live im Wohnzimmer gespielt. Und das, obwohl die Bänder in den letzten 30 Jahren alles andere als besser geworden sind.
Mit der Wiederaufarbeitung musikalischen Archivmaterials hat die Technik ihr liebe Not und die Sammler, die sich ihre Lieblingsmusiken der Vergangenheit nach und nach komplett neu anschaffen wollen, können nicht sicher sein, dass sie mit einer digital aufgefrischten Analog-Aufnahme auch wirklich einen besseren Hörgenuss haben werden als mit ihrer alten verkratzten Langspielplatte aus Vinyl. Kann denn eine Kopie überhaupt besser sein als das Original? Wir haben einen Test gemacht und den Klassiker „Riders On The Storm“ von den Doors von einer noch fast jungfräulichen LP mit einem relativ hochwertigem Pick-Up – System und Laufwerk abgespielt, und dann denselben Titel noch einmal mit einem CD-Player mit Alpha-Processing, 20-Bit – Codierung und 8-fachem Oversampling von einer normalen CD. Der Klang der Analogaufnahme erschien uns ausgewogener, transparenter und insgesamt angenehmer. Allerdings wurden die Grenzen der elektromagnetischen Abtastung analoger Schallinformationen sehr schnell deutlich, wenn man die schwache Dynamik von nur 74 dB durch mehr Lautstärke auszugleichen suchte. Dann machte sich zum Beispiel die Welligkeit der Vinylscheibe unüberhörbar durch ein Rumpeln bemerkbar. Die digitale Version hatte mit 96 dB weit mehr Dynamik und das Knistern fehlte, dafür kam sie uns etwas metallisch und mittenbetont vor. Wohl gemerkt, es handelte sich dabei um ein nachträglich digitalisiertes 4-Spur – Analogband von 1971 und nicht um ein digitales Audiotape (DAT). Kann die Kopie also das Original übertreffen? Tendenziell ja, und zwar mit den fortschreitenden Manipulationsmöglichkeiten, die uns die Digitaltechnik bietet. Der Effekt, dass digitalisierte Wiederveröffentlichungen bislang etwas metallisch und spitz klingen, hat seinen Grund in den aufwändigen Rauschunterdrückungsmaßnahmen und den Quantisierungs- und Dezimierungs-Prozessen der üblichen 16-Bit – Codierung der elektrischen Signale. Je besser das analoge Ausgangsmaterial erhalten ist, je genauer die Codierung das Signal beschreibt und je höher die Abtastrate ist, desto bessere Ergebnisse hat man bei der Digitalisierung. Das neue „Direct Stream Digital»-Processing (DSD), das auch bei der Super Audio CD (SACD) Anwendung findet, arbeitet zum Beispiel mit einer hochauflösenden Abtastrate von 2.8 Millionen Samples pro Sekunde und einer „direkten» 1- Bit – Codierung, die ohne Quantifizierungsrauschen, Dezimierung und Interpolation auskommt. Dieses „Super Bit Mapping» (BSM) wird ohne Zwischenstufen auf den Master-Rekorder übertragen und erlaubt eine genauere Signalerfassung als die 16- bis 24-Bit – Codierungen der herkömmlichen PCM- Technologie, die bei CD´s und DVD´s der Standard ist. Die Dynamik der SACD ist mit 120 dB im hörbaren Frequenzbereich (die CD schafft nur 96 dB) fast schon problematisch gut. Die Hörschäden durch Musikberieselung werden mit Sicherheit weiter zunehmen! Die SACD kann bei Speicherkapazitäten bis zu 8.5 Gigabyte und je nach Spielzeit mit 5 bis 8 Wiedergabekanälen arbeiten, inklusive zweier Surround-Kanäle, während die CD mit ihrer Speicherkapazität von 650 Megabyte nur die klassische Stereophonie ermöglicht. Die SACD kann wegen ihrer hohen Kapazität und der 1-Bit – Technologie auch Frequenzen bis herauf zu 100’000 Hertz darstellen, wo die PCM-Technik der CD die Frequenzen schon oberhalb von 20 KHz abschneiden muss.
Bisher gibt es etwa 1’500 SuperAudio CD´s auf dem Markt. Das ist noch nicht sehr viel, aber immerhin ein Anfang. Am besten sind die mehrschichtigen Hybriden, die auch auf dem normalen CD-Player abgespielt werden können. Man wird sehen, ob sich das Verfahren durchsetzen kann und die Sammler bereit sind, ein zweites Mal ihre komplette Sammlung auf einen neuen technischen Standard DSD ermöglicht 2.8 Millionen Samples pro Sekunde umzustellen. Vermutlich wird es bei der digitalen Aufbereitung alter Analogaufnahmen beim DSD-Prozessing bleiben, dass in der letzten Stufe in die normale CD-Technik transferiert wird. Auch das ist schon ein hörbarer Fortschritt, wie „Let It Bleed“ zeigt. Die großen Vorteile der SACD lassen sich allerdings nur bei Neuaufnahmen ausreizen. Für sehr anspruchsvolle Klassik-Fans dürfte das System, dass eine unerreichte Brillanz und Dynamik bei weichem, fast „analogen Röhrenverstärker-Klang“ verspricht, auf jeden Fall interessant sein.
Doch zurück auf den Boden „normaler“ digitaler Signalverarbeitung. Viele Sammler glauben noch immer, eine Wiederveröffentlichung auf CD müsse in jedem Falle von hoher Qualität sein, als ob der Tonträger das Entscheidende ist und nicht die ihm zugrunde liegende Aufnahmetechnik. Nur weil der Silberling den vielversprechenden Aufdruck „Digital Audio“ trägt, ist noch nichts weiter zur Qualität gesagt. Zunächst heißt das nur, dass das analoge Archivmaterial auf einer alten Bandmaschine abgespielt und von einem DAT-Recorder digital aufgezeichnet wurde. Dazu muss man sich noch einmal vor Augen halten, dass die ersten direkt geschnittenen Grammophon-Aufnahmen nur einen Frequenzumfang von 150 bis 2’000 Hertz hatten und die ersten elektromagnetischen Aufzeichnungen der 30er Jahre nur einen von 100 bis 5’000 Hertz. Erst mit Einführung der HiFi-Norm wurde die volle Bandbreite des menschlichen Gehörs aufgezeichnet, also von 20 bis maximal 20’000 Hertz. Wird bei der Überspielung alten Direktschnitt- oder Band-Materials kein weiterer Aufwand getrieben, dann hat man jede Verzerrung und jedes Rauschen in digitaler Qualität auf der CD. Dass ein Band nicht weiter bearbeitet wird, das gibt es tatsächlich. Handelt es sich nämlich um eine noch gut erhaltene rauscharme Aufnahme auf mehrspurigen Reineisenbändern in Dolby- oder gar HighCom-Qualität, wird auf eine spezielle Bearbeitung der Bänder oft verzichtet. Das ist ebenso bei manchen alten Bändern der Fall, die ab 1981 in Vorbereitung auf die CD-Einführung schon digital aufgenommen wurden. Bei älteren Kunststoffbändern, deren Trägermaterialien noch aus Acetyl-Zellulose, PVC oder Polyester bestehen, wird es indessen schwierig. Trotz klimatisierter Archive können sich die Bänder verziehen oder Verwerfungen an den Rändern bilden, die zu Verzerrungen und Flattertönen führen. Oder sie haben sich teilweise entmagnetisiert, was Ton-Aussetzer und erhöhtes Rauschen zur Folge hat. Das größte Problem ist aber, dass viele originale Mastertapes und Sicherheitskopien nicht mehr vorhanden sind. Dann bleibt dem Tonstudio nichts anderes übrig, als eine Schallplatte von der fraglichen Aufnahme aufzutreiben und sie mit reichlich Isopropyl-Alkohol abzuspielen, um das gröbste Knistern vorab zu dämpfen. Dicke Kratzer aber bleiben ohne digitale Bearbeitung hörbar und werden auf der CD verewigt. Natürlich kann man das Knacken mit der heutigen Software punktgenau ausschneiden und die Lücken durch Interpolationen auffüllen. Doch das kostet Zeit und Geld und lohnt nur bei kulturhistorisch bedeutsamen Aufnahmen, für die der Endverbraucher einen erhöhten Preis zu zahlen bereit ist.
Viele Wiederveröffentlichungen aus dem Pop-Bereich, besonders wenn die Fangemeinde nicht besonders groß ist, werden ohne aufwändige akustische Restaurierung auf CD gepresst. Das überlässt man der Standard-Software, die zum Beispiel das Rauschen und Knacken unterdrückt und den Sound durch „strechting“ und Pseudostereophonie etwas breitbandiger erscheinen lässt. Mehr ist bei kleinen Auflagen und niedrigen Verkaufspreisen nicht drin, und so hört es sich dann auch an. Die 16-Bit – Codierung und die Kompressionstechnik der Standardsoftwares lassen die Stimmen dünn, die Bläser spitz, und die Mitten kalt und metallisch klingen. Wer keine Enttäuschung erleben will, sollte sich deshalb CBS vor dem Kauf der CD das Booklet genau ansehen. Musikfirmen, die einen großen Aufwand beim „Remastering“ treiben, weisen ausdrücklich darauf hin. Wenn das Booklet Auskünfte gibt in der Art wie „Remastered from the original mastertapes“, dann weiß man, dass hier die 2- Spur – Mastertapes mit der originalen Abmischung der Mehrspurbänder verwendet wurden. Findet man noch einen erläuternden Zusatz wie „Remastered from various audiotapes from different available sources to enable the most possible sound enhancement“, dann hat die Musikfirma einen großen Aufwand getrieben und „track by track“ in den verschiedensten Tonarchiven der Welt nach dem jeweils best erhaltenen Mastertape und oder einer bestmöglichen Kopie gesucht. Wenn schon aufwändig nach Mutterbändern recherchiert wurde, dann kann man auch davon ausgehen, dass danach im Tonstudio in jeden einzelnen Titel sorgfältige Arbeit investiert wurde. Es soll sie ja noch geben, die Toningenieure mit feinstem Gehör, Sachverstand und viel Liebe zur Musik. Wenn es nur lapidar heißt „digitally processsed“, dann wurde die Digitalisierung vermutlich der Standard-Software überlassen. Die früher üblichen Klassifizierungen AAD, ADD und DDD hat man heute weitgehend aufgegeben. Das ist eigentlich schade, weil sie Auskunft darüber gaben, auf welchen Stufen digitalisiert wurde.
Es scheint von Vorteil zu sein, wenn noch ungemischte Mehrspurbänder vorhanden sind. Je nach Produktionsalter können das zwischen 4 und 64 Spuren sein, die dem heutigen Hörgeschmack entsprechend „remixt“ werden können. Doch das mögen die echten Fans und Sammler überhaupt nicht. Die wollen das Original, und das in frischer Qualität und bester Dynamik. Es kommt auch vor, dass weder ein Mastertape noch eine Sicherheitskopie aufzutreiben ist, dafür aber ein ungemischtes Mehrspur-Band. Dann gibt es keine andere Wahl und man muss einen neuen Mix herstellen, der eigentlich der Originalveröffentlichung entsprechen sollte. Doch hier gibt es ein Generationenproblem. Meistens wissen die jungen Techniker nicht, wie sich das Original angehört hat oder sie haben kein Gefühl für die Stimmung der Zeit, die sie möglichst authentisch rüberkommen lassen sollen. Dann mischen sie eine Version zusammen, die den Liebhaber befremdet. Mal sind die Back-Up – Vocals zu leise, mal die Bläser zu aufdringlich. Oftmals wird einfach eine Spur weggelassen, wenn sie qualitativ zu schlecht geworden ist. Manchmal wird sie auch neu bespielt, so bei Pat Boone´s Superhit „Speedy Gonzales“ von 1962, wo die mexikanische Lolita mit ihrem frechen „La La La“ durch das etwas lustlose Geleier einer verlebten Matrone ersetzt wurde. Der Aufnahme fehlt jetzt der Witz. Ein Beispiel für ein gutes Remastering ist die digitale Bearbeitung alter Rock ’n› Roll Nummern von Bill Haley aus den 50er Jahren. Hier lagen nur einspurige monaurale Bänder vor, die digital stereophonisiert wurden. Das geschieht dadurch, dass man das ganze Frequenzspektrum der Aufnahme (60-8’000 Hz) in mehrere Frequenzbänder aufteilt und dann in schneller Folge abwechselnd dem linken und dem rechten Kanal zuordnet. Dann wird der Klang etwas fülliger gemacht, indem man jedes Frequenzband in weitere Bänder unterteilt, die mit winzigen Verzögerungen dasselbe Signal erhalten. Bei der Wiedergabe dieser Pseudo-Stereophonie – Aufnahme ergibt sich nun ein räumliches Gefühl. Eine Ortung der Schallquellen wie bei einer echten stereophonen Aufnahme ist damit aber natürlich nicht möglich. Der Eindruck der Breitbandigkeit wird mitunter durch das sparsame Hinzufügen von Perkussionsinstrumenten im oberen Frequenzbereich erzeugt, und die elektronische Anhebung der Bässe. Klingt eines der Solo-Instrumente auf dem Original mittlerweile zu schwach oder dünn, dann kann man absichtlich „gute“ nicht-lineare Verzerrungen hinzufügen, die die Instrumente wieder voller klingen lassen. In dieser Zeitschrift wurden bisher verschiedene Remastered CD´s aus der großen Zeit der Rock-Musik vorgestellt. Nach Alben von Van Morrison (20 Bit), Chicago, Blood Sweat & Tears und den Doors ist „Let It Bleed“ von den Rolling Stones die 1. im DSD-Verfahren, die hier besprochen wurde. Sie kann auf jedem CD- und SACD-Player und den meisten DVD-Playern abgespielt werden. Schon die normale CD profitiert von der DSD-Aufnahmetechnik, doch erst richtig zur Geltung kommt sie auf SACD und einem SACD-Gerät. Den eigentlichen SuperAudio-Effekt erlebt man aber nur bei Neuaufnahmen und in Verbindung mit einem Mehrkanal-Verstärker und einem Set von mindestens 5 Lautsprechern. Es wäre interessant zu erfahren, ob die DSD-Technologie auch bei Hörsystemen anwendbar ist. Denn diese 1-Bit – Technologie muss das Signal nicht über Datenwörter codieren, sondern kann es direkt hochauflösend darstellen. Das würde dem Schwerhörigen ein rauschfreies natürliches Hören bei gleichzeitig hoher Dynamik ermöglichen. Die DSD-Technologie vereint also die Vorteile der Analogtechnik mit den Vorteilen der Digitaltechnik.
Autor: Rainer Hüls