100 Jahre Bad Meinberg
Bad Meinberg, wo ist das? Und warum organisiert die Deutsche Tinnitus-Liga e.V. gerade dort bereits ihr zehntes Symposium? Das fragten sich neben dem Berichterstatter wohl auch viele unter Tinnitus leidende Menschen und Fachleute aus diesem Arbeitsbereich. Doch, Bad Meinberg hat in der Tinnitusarbeit einen besonderen Stellenwert und der Kurort setzt viel daran, diesen zu halten und noch auszubauen.
Unter dem Motto:
Rehabilitation:
wieviel ist gut?
Was kann sie leisten?
referierten Fachleute aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Verbandstätigkeit und Kostenträger über Möglichkeiten und Grenzen. Angesichts der Gesundheitsreform kamen die kostengünstigeren Kompaktkuren wiederholt aufs Tapet.
Bad Meinberg, wo ist das, und wie komme ich dorthin? Die Bahnverbindung ist jedoch ganz passabel und Bad Meinberg erweist sich als idylischer, reizvoll gelegener und ruhiger Kurort. Die Parkanlagen und die Spazierwege sind gepflegt und laden zum Spazieren und »Walken« ein. Aufgefallen ist eine speziell angelegte Magerwiese mit einer einmaligen Blumenvielfalt. Dank dem recht häufig aufspielenden Kurorchester kommt auch das Ohr nicht zu kurz.
100 Jahre Bad Meinberg
10 Jahre DTL-Tinnitus – Symposium
Unter diesem Motto stand der Begrüßungsabend. Kurdirektor Wolfgang Diekmann und DTL-Präsidentin Elke Knör begrüßten die rund 250 Gäste. Diekmann schilderte die Entwicklung des Ortes, welcher vor 100 Jahren den Namen »Bad Meinberg« zugesprochen erhalten habe. Die lange und harte Reform des Gesundheitswesens setze den örtlichen Kuranstalten und dem Ort ganz generell zu. Man sei darum froh, das »Standbein Tinnitus« zu haben. Der Anteil der Tinnitus-Patienten betrage etwa 10 % der 34’000 Kurgäste. Darum seien alle in Bad Meinberg gerne bereit, den besonderen Bedürfnissen der an Tinnitus leidenden Gäste volle Aufmerksamkeit zu schenken. So sei die Kompaktkur in Bad Meinberg erfunden worden und es bestehe eine enge Interessengemeinschaft mit der DTL.
DTL-Präsidentin Knör wies ihrerseits in der Begrüßung auf die zunehmende Bedeutung dieser modernen Kurart hin. Die Patient:innen würden bei der Gestaltung mehr einbezogen und seien auch bereit, Mitverantwortung zu übernehmen. Das sei auch für die Kostenträger von Vorteil. Bad Meinberg genieße bei den DTL-Mitgliedern einen guten Ruf. Geschätzt würden neben den vielseitigen Kurmöglichkeiten auch die angenehmen Unterkunftsangebote. Anfänglich habe sie diese Art von Kuraufenthalt als eine Schnapsidee betrachtet. Heute seien er, und damit auch Bad Meinberg, aktueller denn je. Mit:
Bad Meinberg im Sommer tut uns an Leib und Seele gut
eröffnete sie das Symposium und wünschte allen eine gute und anregende Tagung. Anschließend schilderte Dr. Linder eingehend die geschichtliche Entwicklung des Ortes. Besondere Verdienste würden Dr. Johann Trampel zukommen, welcher als Brunnenarzt bereits 1770 das gesundheitsfördernde Wasser von Bad Meinberg bekannt gemacht habe. Das Kurorchester sowie Sänger:innen des Lippischen Landestheaters Detmold sorgten für gute Stimmung und leiteten gleichzeitig zum Imbiss über.
Die Vortragreihe vom Samstag eröffnete Elke Knör mit einem Dank an das Team und die Direktion der Kurverwaltung Bad Meinberg für die tatkräftige Unterstützung auch in finanzieller Hinsicht, weiter ging der Dank an die Referenten, welche alle auf ein Honorar verzichtet hatten sowie an ihre Mitarbeiterinnen der DTL und die Aussteller. Sie sei erfreut über die Bereitschaft, auf Veränderungen in der Betreuung einzugehen und die Mitwirkung der Betroffenen in hohem Maße einzubeziehen. Bad Meinberg sei eine Oase für tinnitusbetroffene Menschen.
Noch vor Beginn der Referate meldete sich Prof. Dr. Manfred Koller, Präsident der Österreichischen Tinnitus-Liga (ÖTL), zu Wort. Er überraschte Elke Knör mit der Ehrenmitgliedschaft der ÖTL und dankte ihr für das menschliche, große Engagement für den österreichischen Verband. Er bewundere ihre fachliche Kompetenz und freue sich, den großen Einsatz auch als Betroffener würdigen zu können.
Schließlich konnte der Moderator Prof. Dr. med. Michael Almeling den ersten Fachreferenten ankündigen: Dr. med. B. Jäger mit dem Thema »Lässt sich ein dekompensierter Tinnitus voraussagen?«
Aufgrund einer Studie mit 211 Personen schilderte Dr. Jäger den Verlauf von Tinnituserkrankungen. Bei 50 – 80 % der Betroffenen sei eine gute Gewöhnung festzustellen. Dagegen könnten sich 20 – 50 % schlecht daran gewöhnen und würden demzufolge leiden. Der dekompensierte Tinnitus hinre zu Konzentrations- und Schlaf-Störungen und die Lebensfreude gehe verloren. Der Hörverlust sei wesentlicher als die Lautheit des Ohrgeräusches. Anstelle von Hoffnung auf Heilung trete Panik auf. Die Verarbeitung erfolge subjektiv. Es mache sich eine erhöhte psychische Belastung bemerkbar und auch Depressionen seien möglich. Fazit und Ausblick: Ein dekompensierter Tinnitus sei nur schlecht prognostizierbar. Es gelte für Freude und Spaß zu sorgen und den Verlust der sozialen Anerkennung zu vermeiden. Hobbys und Interessen seien weiter zu pflegen.
Dr. med. G. Hesse, Bad Arolsen sprach zum Thema: »Rehabilitation bei chronischem Tinnitus.« Ein dekompensierter, chronischer Tinnitus sei eine psychosomatische Erkrankung.
Nach Dr. Biesinger unterscheide man 4 Schweregrade:
- Kein Leidensdruck
- Tinnitus macht sich in der Stille bemerkbar (Entspannung, TRT – Tinnitus-Retraining-Therapie)
- Tinnitus ist eine dauernde Beeinträchtigung im beruflichen wie im privaten Bereich (TRI, Verhaltenstherapie)
- Tinnitus führt zu Berufsunfähigkeit (stationäre Behandlung)
Als besonders wichtig stuft Dr. Hesse die somatische HNO-Diagnose durch eine kompetente Fachperson, eine psychologische Diagnostik und Therapie ein. Es gehe darum, die Betroffenen sorgfältig aufzuklären. Therapieziele seien die Habituation, d.h. die Gewöhnung, das Herausnehmen aus dem Bewusstsein, die psychische Stabilisierung und das Heraufsetzen der Empfindungsschwelle. Die Hörtherapie führe zu einer Schärfung der Wahrnehmung, denn trotz Tinnitus seien Hörwahrnehmungen möglich. Es gebe Lernprozesse – auch für HNO-Ärzte – welche die akustische Realität beeinflussen würden. Positive Hörwahrnehmungen, wie beispielsweise Musik, müssten erst wieder geübt werden. Bei chronischem Tinnitus gebe es verschiedene Arten von Psychotherapien, sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Bereich. Die stationäre Behandlung dränge sich bei Patientinnen und Patienten der Gruppe 4 aus folgenden Gründen auf: Die Erkrankten sehen keinen Gestaltungs-Spielraum mehr. Die Herauslösung aus dem beruflichen und häuslichen Umfeld werde nötig. Sie brauchen tägliche, intensive Therapie, auch in Gruppen. Das Schwierigste sei oft, sie zu einem Klinikaufenthalt zu bewegen, da sie selber kaum mehr genügend Energie hätten um Entscheide zu fällen. Es sei darauf zu achten, dass die initiale, stationäre Behandlung nach der Heimkehr fortgesetzt werde. Dadurch halte sich der Therapieerfolg konstant. Unabdingbar sei die Vernetzung der stationären und der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten.
Leider sei dies in Deutschland nur beschränkt möglich.
Marco Böckelmann, Diplom-Psychologe, »IN TI«, Horn – Bad Meinberg, stellte „Kompaktkur in Bad Meinberg – Ergebnisse“ vor. Das Ziel der Institution sei, sinnvolle und bezahlbare Therapien zu ermöglichen. Das Hauptproblem sei die knapp bemessene Zeit. Zum Angebot »Der neue Weg« habe die Studie von Dipl.-Ing. Helmut Lebisch geführt. Es gehe dabei um Aufklärung, die Ursachenerkennung und die sorgfältige Therapieplanung. Die Nachbetreuung könne bis zu zwei Jahre dauern. Zur Behandlung gehören gegebenenfalls auch die Anpassung von Hörgeräten als Trageversuch sowie psychotherapeutische Maßnahmen. Der Schwerpunkt des Leidensdruckes werde eruiert (Audiologisches Belastungs-Inventar ABI-Fragebogen). Nach den Ergebnissen der Studie sei der auswärtige Wohnort kein Nachteil. Generell sei nach sechs Monaten eine positive Veränderung der Lebenssituation eingetreten. Das körperliche und seelische Befinden sei besser geworden, ebenso der Umgang mit Konflikten in der Familie und im Berufsalltag. Für die Zukunft plädierte Böckelmann für den Aufbau eines flächendeckenden Netzwerkes von Tinnitus-Kompetenzzentren. Weiter befürwortete er Pauschalen für die Tinnitusbehandlung und schlug solche von 2 – 21 bzw. 42 vor, letztere bei Behandlungen in Spezialkliniken.
Der Badearzt von Bad Meinberg, Dr. med. K. Maschalke, sprach über den »Stellenwert der Physikalischen Therapie der Kompaktkuren unter besonderer Berücksichtigung der örtlichen Heilmittel im Moor- und Mineral-Bad«. Es bestehe ein umfassendes Therapieangebot, welches auch für tinnitusbetroffene Kurgäste einen hohen Stellenwert habe. Im Vordergrund stünden Schwefelmoor- und Kohlesäure-Bäder, welche Schmerzen linderten und Verspannungen lösten. An Gesundheitsseminaren würden Grundlagen geschaffen zur Aktivierung der Selbsthilfe.
Den letzten Vortragsblock eröffnete Prof. Dr. Wolfgang Hiller, Psychologisches Institut, Johann Gutenberg-Universität Mainz: »Möglichkeiten und Ergebnisse ambulanter psychosomatischer Behandlungen«. Die Tendenz in der Behandlung von Tinnituserkrankungen gehe in Richtung ambulanter Behandlung. An ihrem Institut würden hauptsächlich Patienten der Gruppen 2 und 3 behandelt. Wichtig sei das Stadium des Tinnitus. Im Akutfall seien die HNO-Fachleute zuständig. Beim chronischen Tinnitus seien Beratung und Habitusbehandlungen sowie kognitive Verhaltenstherapien (KVT) angezeigt. Zur kognitiven Verhaltenstherapie gehörten Information, Entspannung, Verhaltensanalyse, Bewältigung, Aufmerksamkeits-Lenkung und Rückfall-Prophylaxe. Das gelte übrigens auch für andere Therapiebereiche als Tinnitus. Eine wichtige Indikation sei eine ausreichende Behandlungsbereitschaft. Seiner Meinung nach habe die TRT-Methode an Aufmerksamkeit eingebüßt. Gemäß ihrer Studie spiele der Geräuschgenerator nur noch bei einer Hyperakusis eine Rolle.
Der Chronist – ehemaliger Zentralsekretär des BSSV – heute Pro Audito Schweiz und ehedem Vizepräsident der Schweizerischen Tinnitus-Liga (STL), verglich im Referat »Schwerhörigkeit und Tinnitus: Was sich getan hat und was noch zu tun ist« die Arbeit der deutschen und der schweizerischen Verbände in den Bereichen Tinnitus und Schwerhörigkeit. Die Schweizerische Tinnitus-Liga sei im Vergleich zu Deutschland sehr klein. Sei es, weil »Herr und Frau Schweizer« den Leidensdruck besser aushalten, sei es wegen der populäreren Hilfsmöglichkeiten in Deutschland oder ganz einfach, weil der STL eine Person vom Format von Hans Knör fehlte – eine schlüssige Antwort liege nicht vor. Die Schweiz versuche jedenfalls aufzuholen. Dagegen ist das Verhältnis im Bereich Schwerhörigkeit umgekehrt. Beide Länder verzeichneten ungefähr gleiche Mitgliederzahlen. Als beste Werbung habe sich das fast seit der Gründung bestehende Angebot von Kursen für Verständigungstraining erwiesen. Zudem sei der Verband auf verschiedensten Ebenen aktiv. Schwerhörigen Kindern und Erwachsenen stünden sehr gute Möglichkeiten offen. Dazu habe die gute Zusammenarbeit mit anderen Verbänden, Stiftungen, staatlichen Institutionen und Sponsoren beigetragen. Zu erwähnen sei die »Suva« – die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt – welche bei der Verhütung von Hörschäden eine führende Rolle spiele. Vernetztes Denken und Handeln böten kleinen Verbänden wie STL und Pro Audito Schweiz die besten Chancen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Was noch zu tun ist? Es stehe ihm nicht zu, hier konkrete Vorschläge zu formulieren. Wichtig sei jedoch, Tinnitus und Schwerhörigkeit in den Bereichen Gesundheit und Behinderung zu positionieren und für kompetente Vertretungen in den Entscheidungsgremien zu sorgen. Ein besonderes Anliegen sei die Öffentlichkeitsarbeit und die meist stille Arbeit von vielen Betroffenen und Angehörigen in ihrer nächsten Umgebung.
»Wer soll das bezahlen?« Eine Antwort auf diese Frage zu geben versuchte Gisbert Jutz, BARMER Ersatzkasse, Wuppertal, mit dem abschließenden Vortrag »Medizinische Vorsorgeleistungen. Die Kompaktkur aus der Sicht der Krankenkassen.«
Morgens Fango,
abends Tango!
sei oft im Zusammenhang mit Kuraufenthalten gesagt worden. Seit 1996 sei ein starker Rückgang der Kuren zu verzeichnen. Jutz führte weiter aus, dass 25 % der Gesundheitskosten sich durch Prävention vermeiden ließen. Bereits 1989 sei die erste Kompaktkur am Horizont aufgetaucht, 1995 seien die ersten Angebote erschienen. Die Menschen, welche das Kompaktkurangebot nutzen, seien agil, mobil und bedürften keiner besonderen Pflege. Viele heutige Angebote hätten einen bemerkenswerten Anteil an Eigenverantwortung.
Es sei sinnvoll, die Vorsorge für betagte Menschen auszubauen. Es bestehe ein großes Bedürfnis nach ambulanter Rehabilitation am Wohnort. Leistungen könnten gekürzt werden wegen fehlender Mitwirkung der Patienten (z.B. nicht Aufgeben des Rauchens). Die Krankenkasse will mehr Zeit und Geld bereitstellen für ärztliche Beratung (siehe www.md-bund.de). Bei den Kompaktkursen sei der Bekanntheitsgrad bescheiden und 2002 hätte ein Überangebot bestanden. Die Krankenkasse sollte die Koordination und die einschlägige Zuweisung übernehmen.
Auffallend sei die Zunahme von Depressionen und Tinnituserkrankungen. Hier könnten Kuren eine gute Lösung sein, da oft auch ein Tapetenwechsel Sinn mache. In Bad Meinberg seien in den letzten drei Jahren 1’600 Tinnitusbetroffene behandelt worden. Als erfolgversprechend sieht Jutz die zielführende Zusammenarbeit von Kassen, Fachleuten und Patient:innen. Die Qualität müsse sichergestellt werden. So lasse sich die Behandlung optimieren und die Lebensqualität werde gesteigert.
Bei der abschließenden Diskussionsrunde waren die Reihen bereits stark gelichtet. Die 9 Referate am gleichen Tag hatten wohl die Aufnahmefähigkeit der Teilnehmer ziemlich strapaziert. Zudem stand für die meisten noch eine längere Heimreise bevor. Hier gilt es zu überlegen, ob das Vortragsprogramm nicht auf 2 Tage verteilt werden könnte? Die informative Ausstellung gewänne dadurch an Aufmerksamkeit.
Interessant war die interdisziplinäre Zusammensetzung der Themen, gefehlt haben einzig die Fachreferent:innen. Positiv zu werten ist die kreative Auseinandersetzung mit den Einschränkungen durch die Gesundheitsreformen. Bleibt nur, den Veranstaltern für dieses thematisch dichte Symposion Komplimente zu machen!
Autor: Werner Bütikofer
Unser Versprechen: wieder stärker verbunden als normalhörend!