Das [2003] im Median-Verlag erschienene Buch »Bilder aus der Geschichte der Hals-Nasen-Ohren – Heilkunde« von Prof. Dr. Harald Feldmann hat aus Fachkreisen und von Seiten interessierter Laien außerordentliche Resonanz gefunden. Nachfolgend drucken wir – nicht ohne einigen Stolz – 3 uns kürzlich zugegangene Würdigungen des Werkes ab
Prof. Dr. med. Thomas Lenarz, Direktor der HNO-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH):
Mit diesem Lesebuch hat der Autor verschiedene wichtige Aspekte der Geschichte der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde umfassend dargestellt. Ziel ist dabei, Forscher und Ärzte, die wesentlich zu Neuentwicklungen im Spezialgebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde beigetragen haben, im Umfeld ihrer Zeit darzustellen. Dabei sollen die Probleme der jeweiligen Zeit durch dirckte Quellenzitate zu Wort kommen. Weiterhin soll der Stil wissenschaftlicher Auseinandersetzung, aber auch die Art, wie Fortschritt zustande gekommen ist, deutlich gemacht werden. Es zeigt sich, dass die Entwicklung Spezialgebiet der Hals-Nasen- Ohrenheilkunde in die Entwicklung der gesamten Medizin- und Kultur-Geschichte eingebunden war. Zahlreiche Einzelbeispiele zeugen davon.
Dem Autor ist es gelungen, sein langjähriges Interesse an der Geschichte des Faches auf der Basis seiner eigenen Sammlung von Fachbüchern und HNO-ärztlichen Instrumenten so zu fokussieren, dass daraus eine thematisch konzentrierte und überzeugende Monographie geworden ist. Die oben erwähnte Sammlung existiert als in sich geschlossene Sammlung im Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt. Auf der Basis bereits erschienener Zeitschriftenartikel, die im Buch wesentlich erweitert wurden, konnte so eine umfassende medizinhistorische Darstellung des HNO-Bereiches erstellt werden. Dies spiegelt sich in der Vielfalt von Themen wider, wie Ohrenspiegel, Specula, Stimmgabel, Audiometer, Eustachische Röhre, Parazentese und Paukendrainage, Morbus Menière, Mittel- und Innen-Ohrchirurgie, Rachenmandel und Tonsillektomie, Nasenbluten, Kehlkopf-Erkrankungen, Laryngoskopie und Tracheotomie.
Die einzelnen Kapitel sind exakt recherchiert, spannend dargestellt und hervorragend illustriert. Entscheidende Zitate werden im Original wiedergegeben, um sowohl Sprache als auch Argumentation der jeweiligen Zeit zu verdeutlichen. Die umfangreiche Bibliographie führt die entscheidenden Quellen der Darstellung auf. Für den Leser ist dabei die Herleitung der Zusammenhänge aus der allgemeinen medizinhistorischen Entwicklung und der jeweiligen Kulturgeschichte besonders wertvoll. Das 450 Seiten starke Werk ist jedem zu empfehlen, der sich für medizinhistorische Zusammenhänge und die Herkunft zahlreicher heute noch gebräuchlicher Instrumente bei Diagnostik- und Therapie-Verfahren sowie der heute noch verwendeten Fachausdrücke interessiert.
Dem Median-Verlag gebührt besonderer Dank für die gute Qualität des Buches.
Prof. Dr. med. Wolfgang Pirsig, Klinik für Hals-, Nasen- und Ohren-Heilkunde am Universitätsklinikum Ulm:
Als der 34-jährige Assistenzarzt 1960 sein inzwischen zum Standardwerk gewordenes Buch »Die geschichtliche Entwicklung der Hörprüfungsmethoden« publizierte, war vorauszusehen, dass dieser begeisterte Arzt und spätere Ordinarius der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster lebenslang mit dem medizingeschichtlichen Virus infiziert war. Weitere medizin-historische Publikationen und besonders seine Forschungen im Ruhestand am Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt beweisen das, ebenso wie das hier vorliegende Buch.
In 31 Kapiteln, die man auch wie spannende Vorlesungen verstehen kann, führt uns der Autor medizin- und kultur-historische Zusammenhänge vor Augen, die uns eine Vorstellung davon geben, wie steinig und sackgassen-trächtig der Weg war, den die heutige Hals-Nasen-Ohren – Heilkunde gehen musste und noch geht.
16 Kapitel befassen sich ausschließlich mit der Geschichte der Ohren, wobei Ohrenspiegel, Ohr- und Nasen-Spekula, Stimmgabeln, Galton-Pfeife, Monochord und die Anfänge der Ton- Audiometrie in gesonderten Kapiteln behandelt werden. Auch der Eustachi´schen Röhre, der Parazentese und verschiedenen konservativen und operativen Therapieverfahren werden eigene Kapitel gewidmet. Dazu kommen Luther mit dem Morbus Menière und die Ohrerkrankungen von Kaiser Wilhelm II., Oscar Wilde und Heinrich Schliemann. Die Rhinologie wird hinsichtlich Diagnostik, Apparate und Operationen in 7 Kapiteln behandelt, während die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Kehlkopfes und Halses in 10 Kapiteln zur Sprache kommen. Auch hier werden Schicksale bekannter politischer Persönlichkeiten mit Nasen- oder Kehlkopf-Erkrankungen geschildert:
König Ludwig XIV. von Frankreich,
George Washington und
der deutsche Kaiser Friedrich III. Das Kapitel über die Injektionen verbindet die rhinologischen und laryngologischen Abschnitte, während das Kapitel über die Simulation den Buchabschluss bildet.
Akribisch geht Professor Feldmann auch kleinsten Notizen und Randbemerkungen aus den Originalquellen nach, um zu prüfen, wie unsere früheren Lehrer ihre Ideen und Erfindungen entwickelten, wie sie diese bisweilen hart gegen Konkurrenten verteidigen mussten und wie mancher auch lebenslang auf seiner irrigen Theorie beharrte. Beispiele für solche Sackgassen sind die Kapitel über die Tromelfell-Massage, die Behandlung der laryngealen Luftnot mit Aderlässen und Klistieren, die sehr wahrscheinlich zum Tod des Präsidenten George Washington führten, die Haarseil-Therapie bei der Otorrhoe oder der Einsatz von lebenden Blutegeln zur Behandlung von Taubheit oder beim Nasenbluten. Hierzu gehören auch der lebensgefährdende Eingriff der Stapesentfernung bei chronischen Mittelohr-Entzündungen 1875 durch Kessel aus Jena oder die Irrwege der Inhalations-Therapien oder die Unterdruck-Behandlung von Kindern mit Keuchhusten.
Feldmann bezieht bei der Schilderung eines Symptoms auch den Kontext zur parallelen Kulturgeschichte mit ein, wofür die Kapitel über die Inhalationstherapie, die Simulation von Krankheiten, das Nasenbluten und die Tonsillektomie gute Beispiele sind. Da erfahren wir etwas über das »flos cranii«, das Moos, das auf den Hirnschalen von Gehenkten wächst, wenn sie genügend lang der Luft ausgesetzt gewesen waren, und das eine wichtige Rolle als lokales blutstillendes Mittel im Mittelalter spielte. Im Alten Rom war beispielsweise das Vortäuschen von Anfallsleiden oder Wahnsinn gang und gäbe, z.B. um sich den bürgerlichen Lasten (vorwiegend wohl den Steuern) entziehen zu können. Detektivische Talente Feldmanns werden beim Unterkapitel »Hintere Nasentamponade und das Geheimnis um M. Bello(c)q« offenbar, aber auch er kann trotz mühsamer Nachforschungen, die er uns mit Abbildungen genau belegt, das Rätsel nicht lösen.
Eine Stärke dieses Buches ist sicher, dass Feldmann immer wieder die Autoren selber ausführlich zu Wort kommen lässt. Zwei treffende Beispiele sind die Behandlung eines Nasenbluters im Jahre 1606 durch Fabricius Hildanus oder die Schilderung G. Heermann´s 1908 über die Nasenöffner nach Schmidthuisen und Feldbausch. Feldmann hat uns außerdem viele originale Abbildungen reproduziert, so dass wir, Kinder einer chipgesteuerten Gerätegeneration, ahnen können, wie mühsam der Weg vieler apparativer Methoden war, beispielsweise der von der Prüfung des Tongehörs.
Das ganze intellektuelle aber auch emotionale Engagement Feldmanns tritt besonders zu Tage, wenn er uns in manchen Kapiteln die Hintergründe von Prioritätsstreitereien entwickelt. Da wird er regelrecht ein Anwalt der »Vergessenen«, deren Leistung durch Missachtung oder Fehleinschätzung im Gedächtnis unseres Faches verloren ging. Ein klassisches Beispiel ist Eduard Schmalz aus Dresden, der den »Weber´schen Versuch« 1846 in die Otologie einführte. Auch das Verdienst Francis Galton´s wird von Feldmann wieder hervorgehoben, der nicht nur die Galton-Pfeife erfand, sondern mit diesem Instrument die Abhängigkeit der Schwerhörigkeit vom Alter erkannte. Wir lernen ebenso, dass Martell Frank in Würzburg 1845 das Paukenröhrchen erfand, das dann von Politzer 1868 zum zweiten Mal und 1954 von Armstrong zum dritten Mal erfunden wurde. Schließlich sei noch Christoph Bonifacius Zang erwähnt, der 40 Jahre vor Sir William R. W. Wilde die »Anbohrung des Zitzenfortsatzes« in seiner Operationslehre genauestens beschreibt und als Indikation auch Eiteransammlung und Knochenfraß in den Zellen des Warzenfortsatzes nennt.
Jedes der 31 Kapitel endet mit einem Literaturverzeichnis. Das Namensregister und das Sachregister am Schluss des Buches ermöglichen einen schnellen Zugang zu Details der einzelnen Kapitel, die mit ihren treffenden Überschriften am Anfang des Buches in der Inhaltsübersicht aufgelistet sind. Dieses in seiner Ausstattung sehr ansprechende Buch wird nicht nur die/den Ärzt:innen der Hals-Nasen-Ohren – Heilkunde, der Phoniatrie und der Audiologie viel Neues, Spannendes, Kurioses, Allzu-menschliches und Nachdenkliches über die Entwicklung der HNO-Heilkunde bringen, sondern auch den Allgemeinärzt:innen sowie der Zunft der Hörgeräte-Akustiker. Besonders sei dieses Buch aber unserer jungen Generation empfohlen, da es ihr sehr anschaulich vermitteln kann, dass auch unser heutiges Wissen auf so manch morschem Balken ruht. Ferner zeigt der Autor am Beispiel des Hamburger Laryngologen Arthur Thost, dass man lange an einer neuen Methode arbeiten und prüfen sollte, ehe man ihre Ergebnisse publiziert: Rost feilte 23 Jahre an seinen Kehlkopf-Trachea – Dilatatoren…
Prof. Dr. med. Wolfram Seidner, Leiter der Abteilung [Audiologie,] Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde an der Charité – Universitätsmedizin Berlin:
Zuerst muss man erwähnen, was das Buch nicht ist. Es ist kein Bilderbuch, sondern vielmehr ein reich bebildertes und mit zahlreichen informativen und spannend geschriebenen Textbeiträgen versehenes geschichtliches Kompendium. Der Verfasser hat über vier Jahrzehnte alte Fachbücher und Instrumente gesammelt und nunmehr seine Kenntnisse und Erfahrungen in einem Lesebuch, wie er es nennt, fokussiert.
In 31 Kapiteln werden ausgewählte Bereiche der HNO-Heilkunde dargestellt, wobei otologische Themen (16) überwiegen, von denen 7 die Hördiagnostik betreffen. Darunter befinden sich so interessante Kapitel wie »Die zweitausend-jährige Geschichte der Ohrenspritze und ihre Verflechtung mit dem Klistier« oder »Die Erfindung der Stimmgabel, ihre Wege in der Musik und in den Naturwissenschaften«. Neben 4 Kapiteln über du also den Bereich der Nase und der Nasen-Nebenhöhlen werden »2´000 Jahre Geschichte der Ton-Sillektomie« dargestellt oder auch die geschichtlichen Wurzeln der Diaphanoskopie, der Injektionen oder der Inhalations-Therapie. Die Laryngologie betreffen 5 Themengruppen, unter denen natürlich die Entstehung der indirekten und direkten Laryngoskopie nicht fehlt und auch das Schicksal von Kaiser Friedrich III. berücksichtigt ist, Als Abschluss findet sich »Eine kleine Kulturgeschichte der Simulation von Krankheiten mit besonderer Berücksichtigung der Taubheit und der Stimmlosigkeit«. Häufig werden die Ausführungen mit zusammenfassenden Schlussbemerkungen versehen, welche die dargestellte Thematik noch einmal akzentuieren. Jedes Kapitel enthält exakte Literaturhinweise und ist mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis versehen. Das Buch ist druckgrafisch hervorragend gestaltet, und die zahlreichen Abbildungen, teils farbig oder farbig unterlegt, sind von ausgezeichneter Qualität.
Die Texte sind im Vergleich zu vielen historischen Darstellungen nicht trocken und emotionslos verfasst, sondern vielmehr engagiert, lebendig und flüssig geschrieben, so dass man sie aufmerksam, rasch und gerne liest. Forscher und Ärzte werden in den Kurzgeschichten oft wörtlich zitiert und in ihrem persönlichen Umfeld geschildert, wodurch viele Ereignisse auch menschlich nachvollziehbar sind und besonders beeindrucken. Die sorgfältig ausgewählten Details werden stets auch als wichtige Bestandteile in größere Zusammenhänge eingebunden, nicht nur innerhalb der HNO-Heilkunde, sondern auch der Allgemeinmedizin und zahlreicher Kultur-geschichtlicher Ereignisse. Immer wieder teilt sich die Begeisterung des Autors für sein Fach und dessen Geschichte dem Leser direkt mit, und es ergeben sich zahlreiche Anregungen zum Nach- und Weiter-Denken. Das Buch sollte in keiner HNO- oder Phoniatrie-Bibliothek fehlen.
Quelle: Red.