Akustik zum Be-Greifen
Wenn ich so an meine Ausbildungszeit in Lübeck zurückdenke, fällt mir neben vielen doch recht angenehmen Dingen auch immer wieder ein, dass wir das Lehrfach Akustik hatten. Vieles von dem dort Erlernten kann sich nur mühsam in meinem Gedächtnis halten. Für mich war es schwierig, die vielen Formeln und Zusammenhänge so trocken unter einen Hut zu bringen. Zum Glück war ich da nicht der Einzige…
Um meinen Auszubildenden und auch mir selbst zu beweisen, dass Akustik auch mal Spaß machen kann, beschloss ich im Herbst [2003], ein Musikinstrument selbst zu bauen. In der Hoffnung, die Ausbreitung und Erzeugung von Schallwellen interessanter und verständlicher zu machen, versuchten wir das zunächst in Form einer Querflöte.
Die Freundin meiner Auszubildenden Sabrina Dörje hatte so ein gutes Stück und überließ uns dieses zum Ausmessen der Baumaße wie Länge, Durchmesser, Lochabstand und Bohrungsgröße. Leider bekam ich keine genaue Formel zur Berechnung der Lochabstände unserer Flöte. Um die Baukosten gering zu halten, musste als Grundkörper ein Stück Chromrohr von einem ausgedienten Badezimmerregal genommen werden, was annähernd den gleichen Innendurchmesser hatte. Die Fingerkappen fertigten Sabrina und ich aus eingefärbtem Acryl (nach Abdruck vom Original). Auch der Endstopfen und der Stimmstöpsel sind aus Acryl gefertigt. Das Instrument kann man durchaus spielen, es klingt praktisch genauso wie die Originalvorlage (sieht nur schöner aus).
Zu Weihnachten im letzten Jahr wünschte sich meine Tochter Joanne dann eine elektrische Gitarre. Hiervon inspiriert, kam ich auf den gewagten Gedanken, selbst ein solches Instrument zu bauen. Mit meinem Lehrling Ingo Sarig entstand zuerst einmal im Kopf, später aus Pappe, die Grundform der Gitarre. Die Größe, die Breite des Gitarrenhalses und diverse andere Maße hatte ich derweil von der Gitarre meiner Tochter abgenommen. Die freischwingende Saitenlänge legten wir auf 652 mm fest. Die Mensur mit ihren 22 Bünden errechnete Ingo (ich habe ihn noch nie so intensiv rechnen sehen). Aus verleimten Regalbrettern sägten wir den Grundkörper heraus, die Bearbeitung und das Schleifen der Form erledigte ich dann aber wegen der Zeit- und Staubintensität lieber zu Hause.
Das Griffbrett wurde auch zugesägt und millimetergenau mit den Griffbünden versehen. Anschließend auf dem Hals verleimt und verschraubt.
Die Saiten, die Tuner und die Brücke mussten wir kaufen, der Eigenbau war mit unseren Mitteln nicht möglich. Schon jetzt war klar zu sehen, wie empfindlich ein schwingendes System, hier halt am Beispiel einer Gitarrensaite, auf Veränderungen reagiert. Sei es durch Temperatur-Unterschiede oder auch geringe Veränderung der Saitenlänge.
Denn am schwierigsten war es, die Intonation zwischen den einzelnen Bünden hinzubekommen. So, dass die Gitarre nicht nur leer angeschlagen, z.B. auf der A-Seite 440 Hz, sondern auch im 12. Bund (entspricht der halben Saitenlänge) niedergedrückt die doppelte Tonhöhe (wieder A, nur mit 880 Hz eine Oktave höher) abgibt. Das wiederum ist abhängig vom Schwingverhalten jeder einzelnen Saite und muss durch Versuche an der Brücke feinjustiert werden. Und so stellte sich heraus, dass theoretisch berechnete Saitenlängen-Werte, und seien sie noch so genau, speziell in unserem Versuch nicht unwesentlich von der Praxis abweichen! (Die dicke E-Saite hat dann praktisch z.B. 654 mm freischwingende Länge).
Nun fehlte noch ein Schallabnehmer, der die Schwingungen unserer Saiten an einen Verstärker weitergeben kann. Hierzu verwendeten wir eine einfache Drahtspule, in deren Mitte ein Dauermagnet gelegt werden konnte.
Die über der Spule schwingende Gitarrenstahlsaite konnte nun unseren Schwingkreis anregen, so dass tatsächlich eine nutzbare Wechselspannung an den Kabelenden der Spule vorhanden war. Leider reagiert diese einfache Konstruktion auch auf unerwünschte Schwingungen wie die Brummspannung von Transformatoren oder Leuchtstofflampen, so wie eine Hörgeräte-Telefonspule.
Alles in Allem war es hochinteressant und lehrreich, einem so kompliziert wirkenden Schallerzeuger wie einer eGitarre etwas näher auf den Grund zu gehen.
Auch wenn unsere Gitarre alles andere als fehlerfrei ist (und vermutlich jeder Gitarrenbauer fassungslos die Hände über dem Kopf zusammenschlägt), lässt sie sich gut spielen und hat mit Verstärker nicht mal den schlechtesten Klang.
Natürlich kann man für das eingesetzte Geld schon eine ganz günstige Gitarre kaufen, aber: Diese ist ein Einzelstück und unter Hunderten von Gitarren wiederzuerkennen.
Autor: Jörg Thomas