Tanz mit Hörgeschädigten 2 (To be Insider in 22 Minute n)

Hörgeschädigten-Pädagogik als Persönlichkeits-Entwicklung

Ein Weg zu neuem »Selbstbewusstsein«

3. Anregungen für die Praxis

3.1. Bewegungsideen zu Raum, Kraft und Zeit – Bewegungsqualitäten nutzen

Interessant für den Tanzunterricht mit Hörenden wie auch mit Hörgeschädigten ist die praktische Umsetzung der erläuterten theoretischen Erkenntnisse. Um den Kindern und Jugendlichen einen Impuls für die Auseinandersetzung mit Tanz zu geben, bedient man sich verschiedener Bewegungsideen. Da sich jede Bewegung aus mehreren Komponenten zusammensetzt, kann durch Akzentuierung einer dieser Faktoren bewusst gemacht werden, auf welch vielfältige Weise mit dem Körper agiert werden kann. Im Folgenden möchte ich einige Anregungen geben, wie Raum, Zeit und Dynamik erlebt werden können. Die Bewegungsideen sind bewusst so gewählt, dass sie nicht auf die Unterstützung von Musik angewiesen sind, so dass auch Schüler:innen mit Hörbeeinträchtigungen problemlos folgen können.

Nehmen wir zunächst das Thema »Wir ziehen um«. Viele Kinder können an eigene Erfahrungen anknüpfen, die ihnen die Umsetzung in Bewegung erleichtern. Hierbei wird neben der Ausdrucksfähigkeit und Vorstellungskraft auch die Fähigkeit zur Abstraktion gefordert und gefördert. Bei unserem imaginären Umzug werden schwere Möbelstücke geschoben, wobei der Einsatz von Kraft gespürt werden kann. Natürlich ziehen nicht nur die schweren Gegenstände mit um, sondern auch der Teddybär, das Lieblings-Bilderbuch und die Autogrammkarte vom Pop-Idol müssen mit. Es ist sehr gut möglich, die Kinder beim »fiktiven Umzug« mit einzubeziehen. Dadurch wird die Phantasie angeregt und alle Schüler nehmen aktiv an der Gestaltung des Unterrichts teil. Durch den Wechsel zwischen »erspürender« und »ankämpfender« Bewegungsqualität – »Tragen« oder »Schieben« von leichten und schweren Gegenständen – wird den Kindern die Kraftkomponente bewusst.

Bevor man jedoch einziehen kann, muss man die neue Bleibe natürlich erst einmal genau erkunden. Die Kinder loten vorsichtig und zögerlich das unbekannte Terrain aus, indem sie mit gleitenden Schritten langsam bewusst einen Fuß vor den anderen setzen. Gewichtsverlagerung und Gleichgewichtssinn werden bei dieser Bewegungsvorstellung geschult. Wenn die neue Wohnung schließlich für angenehm befunden wird, ändert sich das Tempo. Jetzt wird tatkräftig beim Möbel-Schieben und Karton-Tragen geholfen. Die Schüler:innen müssen über Gegenstände steigen, sich durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Schränken quetschen oder unter einem Tisch durchkrabbeln. Möglicherweise wurde ein Karton aus Versehen in ein falsches Zimmer getragen, so dass wir ständig die Richtung ändern müssen, um ihn zu suchen. Durch derartige Vorstellungen wird der Raum erfahrbar gemacht.

Die Zeit schreitet fort und wir müssen uns beeilen, damit wir heute noch fertig werden. Am Ende des Tages sind wir »total k. o.« und können nur noch ganz langsam gehen. Eventuell sind wir schon so müde, dass wir uns nur noch kriechend fortbewegen können. Dann wird nicht nur die zeitliche Komponente der Bewegung erfahren, sondern durch den Wechsel in eine neue Ebene wird zusätzlich der Faktor Raum bewusst gemacht.

Am nächsten Tag können wir frisch ausgeruht zur Tat schreiten und beginnen, das neue Zuhause zu putzen und die Kartons auszuräumen. Die Fenster müssen sauber gemacht werden und die Schränke eingeräumt. Selbstverständlich sollen auch die weiter entfernten Stellen geputzt werden, so dass unsere Bewegungen bis ganz nach oben, weit nach rechts und links sowie nach unten reichen müssen. Dadurch werden Raumdimension und Raumebene erfahren.

Dies ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie die Laban’schen Bewegungsfaktoren in eine Bewegungsidee eingebettet werden können. Lehrer und Schüler sollten ihrer Kreativität freien Lauf lassen, um Raum, Kraft und Zeit zu erleben.

Sie könnten sich auch an die Vorstellung halten, die Kinder seien Roboter. Bei dieser Idee kann zusätzlich die Sozialkompetenz gefördert werden, da diese Aufgabe für die paarweise Ausführung geeignet ist. Ein Kind programmiert das andere auf einen Bewegungsfaktor. So darf der »Roboter« beispielsweise nur auf Anweisungen zur Bewegungsrichtung reagieren. Seine Bewegungen zeichnen sich ansonsten durch eckige Raumformen aus – wie es sich für einen richtigen Roboter gehört. Der »Programmierer« gibt Handzeichen für die neue Richtung und der »Roboter« muss diese »Befehle« umsetzen.

Natürlich können dem Roboter nach Lust und Laune noch weitere Befehle beigebracht werden, wie zum Beispiel Hochhalten einer Hand, um ihn zum Anhalten zu bringen, das Kreisen eines Fingers als Zeichen dafür, dass sich der Roboter um die Längsachse drehen soll oder ähnliches. Doch Vorsicht! Der Roboter darf nicht überfordert werden! Sonst dreht er sich nicht nur um sich selbst, sondern plötzlich durch! Dann tritt ein schwerer Systemfehler auf, so dass alle Bewegungen des Roboters unkontrolliert werden. Die Befehle des Programmierers werden nicht mehr oder nur fehlerhaft umgesetzt, so dass der Roboter auf einmal rückwärts statt vorwärts marschiert, alle Bewegungen viel zu schnell oder etwa in Zeitlupe ausführt oder er gar einige Teile seines »Körpers« nicht mehr oder nur noch unkontrolliert bewegen kann.

Auch bei diesem Beispiel ist dem Einfallsreichtum von Lehrern und Schülern keine Grenze gesetzt. Die Erfahrung zeigt, dass besonders Partnerübungen den Kindern Spaß machen – vor allem, wenn unerwartete »Schwierigkeiten« wie ein solcher »Absturz des Programms« auftreten. Auch dieser Bewegungsimpuls macht zeitliche, dynamische und räumliche Aspekte deutlich – je nach Programmierung, versteht sich.

Und last but not least möchte ich die Bewegungsidee des »Zauberwaldes« vorstellen. Sie regt ebenfalls die Phantasie und die Kreativität der Kinder an und ermöglicht ihnen die bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Bewegungen, die durch ihn möglich sind.

Die Bewegungsvorstellung ist simpel: Wir befinden uns in einem Märchenwald und gehen auf Entdeckungsreise. Dabei begegnen wir vielen unterschiedlichen Tieren und Gestalten. Einige können sich nur rollend vorwärts bewegen, andere haben nur ein Bein, bei wieder anderen sind die Augen am Hinterkopf lokalisiert, so dass sie alle Bewegungen rückwärts ausführen müssen. Auch bei dieser Aufgabe können die Kinder ihren Einfällen freien Lauf lassen und sich kreativ entfalten, denn sie werden natürlich durch »unbekannte Kräfte« in diese Märchenwesen verwandelt… Vielleicht gibt es auch Gestalten, die eigentlich aus zwei oder mehreren Wesen bestehen, so dass die Schüler:innen dazu angehalten sind, gemeinsam mit ihren Bewegungsmöglichkeiten zu experimentieren. Dies fördert die Kommunikation und Interaktion untereinander, sowie Kompromissfähigkeit und soziales Miteinander. Es trägt dazu bei, das Klima in der Klasse zu verbessern und hilft vor allem zurückhaltenden Schülern, mit anderen in Kontakt zu treten und dadurch Freunde zu finden.

3.2. Die verschiedenen Möglichkeiten der tänzerischen Erziehung bei Hörgeschädigten

Nun hängt Tanz, wie eingangs erwähnt, oft mit Musik zusammen. Wie Sie wissen, gibt es neben der auditiven Wahrnehmung noch andere Möglichkeiten der Musikrezeption. Vor allem Menschen mit Hörschädigung sind in der Lage, Musik über Vibrationen aufzunehmen:

Die Musik ist eine Sprache jenseits der Worte, sie ist universell. Sie ist die schönste Kunst, die es gibt, sie schafft es, den menschlichen Körper leibhaftig in Schwingungen zu versetzen

(Emmanuel Laborit, 1995)

In den folgenden Abschnitten soll daher auf verschiedene Methoden der tänzerischen Erziehung Hörgeschädigter eingegangen werden – mit und ohne Musik.

3.2.1. Hörgeschädigte »fühlen« Musik

Wie bereits erwähnt, spielen bei Menschen mit Hörbeeinträchtigungen die visuelle sowie die taktile Wahrnehmung eine bedeutende Rolle. Durch rhythmisch-musikalische Förderung kann der Tastsinn geschult werden, so dass Schüler mit, aber auch ohne Hörbeeinträchtigungen befähigt werden, Musik über ihre Schwingungen wahrzunehmen.

Music is to the deaf a series of vibrations perceived and transmitted to the brain through other channels than the auditory apparatus

(J. Alvin, 1980)

Auch hier ist wieder der ganze Körper involviert – Knochen, Organe, Flüssigkeiten und Hohlräume werden zu Vibrationsrezeptoren.

Gute Resonanzräume sind z.B. in Kopf, Hals, Brust und Bauch

(Shirley Day-Salmon, 2003)

Besonders Töne tieferer und mittlerer Tonhöhen werden in den einzelnen Körperbereichen gefühlt, wobei sich die Höhe der Töne auf die »Höhe« der Vibrationsempfindungen im Körper auswirkt. So werden…

Töne zwischen 40 und 80 Hz im Bauch, zwischen 80 und 130 Hz in der Brust, zwischen 130 und 250 Hz im oberen Brustbereich und zwischen 250 und 500 Hz in der Kehle gefühlt

(A. van Uden, 1982)

Neben dem Resonanzgefühl gibt es nach van Uden auch ein Kontaktgefühl. Dieses entsteht durch den Kontakt einzelner Körperteile mit vibrationsübertragenden Flächen. Eine solche kann der Boden sein, über den die Schüler:innen die Vibrationen stehend, sitzend, liegend oder auch rollend wahrnehmen können. Ein Einstiegsbeispiel für den Unterricht ist das folgende: Die Kinder legen sich bäuchlings flach auf den Boden, um eine möglichst große Reize aufnehmende Fläche zu erzeugen. Die Musik beginnt, und jedes Kind versucht, den Rhythmus zu spüren. Allmählich erheben sich alle vom Boden und beginnen, sich im gefundenen Rhythmus durch den Raum zu bewegen.

Manuela-Carmen Prause (2001) erwähnt zudem die »indirekte Vibrationsrezeption« über »vibrationstrans-mittierende Objekte« wie Fellinstrumente, Luftballons, Lautsprecher oder Holzbänke. Hält man beispielsweise eine Handtrommel, kann man Vibrationen [von dem] Trommelfell spüren. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Lautsprecher auf dem Boden stehen, damit die Vibrationen besser übertragen werden können. Die Kinder können überdies die Boxen anfassen, um die Wahrnehmung der Schwingungen zu erleichtern.

Zusammen bezeichnet man Resonanz- und Kontakt-Gefühl als »Fühlmusik« – im Gegensatz zur »Hörmusik«, die auditiv wahrgenommen wird -. Es ist wichtig zu bemerken, dass die Musikrezeption nicht auf das vibrotaktile Sinnessystem reduziert werden darf. Gerade im Tanz ist es möglich und sinnvoll, die Bewegungen der Mittanzenden zu beobachten. Dadurch kann das eigene Rhythmusgefühl überprüft und die Bewegungen können gegebenenfalls an die der anderen Schüler angepasst werden. Neben der visuellen Wahrnehmung darf nicht vergessen werden, dass die meisten Kinder über ein Restgehör verfügen, das ihnen ermöglicht, zumindest bestimmte Frequenzen auditiv wahrzunehmen. Insofern ist Musikrezeption auch bei Menschen mit Hörschädigung ein ganzheitlicher Prozess.

3.2.2. Rhythmusgefühl durch Isolation

Praktische Anwendung kann eben Dargestelltes in der so genannten »Isolationstechnik« finden. Hierbei werden einzelne Körperteile isoliert voneinander bewegt, so dass den Kindern und Jugendlichen bewusst wird, was ihr Körper alles kann. An dieser Stelle sind wir wieder an dem Punkt angelangt, dass die Wahrnehmung des eigenen Körpers und damit des eigenen Selbst eine wichtige Komponente jeder tänzerischen Erziehung sein sollte »Selbst-Bewusstsein« ist der Schlüssel zur ganzheitlichen Entwicklung.

Bei jeder Umsetzung in die Praxis sollte darauf geachtet werden, dass die Kinder mit in die Unterrichtsgestaltung einbezogen werden. Es empfiehlt sich eine Aufstellung im Kreis, so dass alle Schüler einander sowie den Tehrenden sehen können. Zunächst werden bekannte Bewegungen ausgeführt, wie z.B. Kicks mit den Extremitäten. Doch nicht nur Arme und Beine können tanzen. An dieser Stelle beginnt die eigentliche Isolationstechnik: Nach dem Motto »Wer kann tanzen?« lässt ein Kind seinen Kopf tanzen. Es bewegt ihn nach vorne, zur Mitte, nach hinten und wieder zur Mitte. Im vorgegebenen gleichbleibenden Rhythmus steigen die anderen Schüler in den »Kopftanz« ein. Reihum darf jedes Kind einen Körperteil »tanzen lassen«. Der Kopf kann sich auch zu den Seiten neigen oder drehen, die Schultern, Arme, Beine, Füße, ja sogar die Finger können tanzen! Beliebt sind zudem Bewegungen des Beckens. Es kann im Stand oder in der Bewegung nach vorne und hinten gekippt, zu den Seiten bewegt und gedreht werden.

Bei dieser Übung kommt es neben der Körper- und Selbst-Erfahrung besonders auf das Rhythmusgefühl an. Es bietet sich eine Rock’n’Roll-Musik an oder ein anderer Musikstil mit starkem Beat, da dieser gut über Boden und Resonanzräume des eigenen Körpers wahrgenommen werden kann.

3.2.3. »Dancing in silence«

Interessant ist außerdem das Tanzen ohne Musik. Hierbei entsteht die Bewegung aus dem inneren Rhythmus. Jeder Mensch hat einen eigenen »Takt«. Dieser kann gespürt werden, wenn man sich seine Atmung bewusst macht, auf den Herzschlag achtet, vielleicht den Puls fühlt. Das Erspüren des Atems ermöglicht ferner, die Stimme in ihrer Schwingung und Resonanz wahrzunehmen. Dadurch können die Schüler:innen in der Artikulation sicherer werden und an der Entwicklung eines weniger monotonen Sprachrhythmus arbeiten, doch dies auszuführen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

Bis zu einem gewissen Grad können Normalhörende durch Verwendung von Ohrstöpseln nachzuempfinden versuchen, wie es sich »anfühlt«, hörgeschädigt zu sein. Da sich die Hörbeeinträchtigung aber auch auf die Entwicklung in anderen Lebensbereichen auswirkt, wird dies nicht vollständig möglich sein. Einen kleinen Versuch möchte ich dennoch anführen:

Man möge eine Musik wählen mit gleichbleibendem Rhythmus und anfangen, nach dieser Musik zu tanzen. Nach einiger Zeit wird die Musik ausgemacht, die Tanzenden bewegen sich jedoch weiter und versuchen, den Rhythmus in der Stille zu halten. Seien Sie gespannt, ob Sie mit »Ihrem« Rhythmus problemlos weitertanzen können, wenn die Musik wieder einsetzt!

Ein solches Experiment verdeutlicht, wie viel die vibrotaktile Wahrnehmung einem Hörgeschädigten beim Tanzen helfen kann. Auf der anderen Seite bestehen Zweifel, die Tanzenden könnten »am Boden kleben«, weil sie auf die Rhythmus gebenden Vibrationen angewiesen seien und deshalb den Kontakt der Füße zum Boden nicht verlieren möchten. Dies hätte zur Folge, dass sie sich nicht mehr frei bewegten und ungern Sprünge in ihre Tänze einbauten.

»Dancing in silence« ist nicht nur eine geeignete Methode, um das Rhythmusgefühl zu schulen. Hörgeschädigte haben kaum Probleme, den Takt zu halten, nachdem die Musik ausgeschaltet wurde. Sie können durch »inneres Mitzählen der Schläge und Takte sowie der Bewegungen innerhalb des Tanzes« den Rhythmus beibehalten. So können sie unabhängig von äußeren Bedingungen wie schlechter Raumakustik, geringer Lautstärke oder geringer Vibrationsübertragung in gleichbleibendem Tempo weitertanzen. Auch Sprünge und Drehbewegungen, die den Kontakt zum Boden unterbrechen, sind problemlos möglich, so dass sie in ihrer Bewegungs-Vielfalt keineswegs eingeschränkt sind oder etwa »am Boden kleben«, wie teilweise befürchtet. Um es mit anderen Worten zu sagen – gefördert wird nicht nur der innere Rhythmus, sondern auch der…

kinesthetic sense of how and when to move

(American Dance Theatre of the Deaf,
zitiert nach Prause, 2001).

Dies verdeutlicht die »Unabhängigkeit des Rhythmusgefühls von der physiologischen Hörfähigkeit«. Warum sollte es sonst normal hörende Menschen geben, die absolut keinen »Rhythmus im Blut haben«?

3.2.4. Sprache »vertanzen«

Durch ihre multisensorische Ausrichtung bietet die tänzerische Erziehung von Schüler:innen mit Hörschädigung viele praktische Umsetzungsmöglichkeiten. Nachdem ich in den letzten beiden Abschnitten vermehrt auf die Ausbildung des Rhythmusgefühls eingegangen bin, komme ich nun zurück zum kreativen Tanz.

Tanz braucht einen Impuls. Dieser kann – wie oben erläutert – in Form einer erzählten Geschichte, eines Bildes, Themas oder Textes erfolgen. Es ist allerdings auch möglich, einzelne Wörter zu »vertanzen«.

Hierfür sind Abstrakta besonders geeignet – »Liebe«, »Sehnsucht«, »Trauer«, »Einsamkeit«, »Begeisterung«, »Aggression«, um einige Beispiele zu nennen. Nun zur Praxis: Die Klasse wird in mehrere Kleingruppen eingeteilt, von denen eine einen Begriff bekommt, den sie gemeinsam darstellen muss. Neben der Ausdrucksschulung ist die Entwicklung von Teamfähigkeit bei dieser Aufgabe wichtig sowie die Förderung einer funktionierenden Kommunikation untereinander. Ziel ist, den Begriff so darzustellen, dass die anderen Kleingruppen ihn erraten können. So wird die Fremdwahrnehmung geschult und der Fokus auf den Ausdruck der Agierenden gelegt. Der gemeinsame »Code« besteht in den »erspürenden« und »ankämpfenden« Bewegungen. Tanz als Sprache ohne Worte – ein neuer Weg der Kommunikation.

4. Fazit

Es leuchtet ein, dass diese Kommunikation nicht nur unter Hörgeschädigten möglich ist. Das Vokabular der Tanzsprache steht allen Menschen offen, ob hörend oder hörgeschädigt. Insofern ist Tanz bestens geeignet, um den Integrationsgedanken zu verwirklichen. Ausdruck ist individuell und kann deshalb nicht in Kategorien wie »richtig« oder »falsch« eingeteilt werden. Natürlich erscheint manchmal eine Ausdrucksform für einen bestimmten Gedanken, ein Gefühl oder eine Erfahrung passender als eine andere, aber auch das liegt an der individuellen Interpretation des Zuschauers. Eine andere Person mag die gleiche Form als stimmig empfinden. Demzufolge macht es keinen Unterschied, ob das Kind, das seinen »Eindruck ausdrückt«, normal, eingeschränkt oder gar nichts hört.

Dennoch ist ein solches Kommunikations-Medium für Menschen mit Hörschädigung besonders wichtig, da sie häufiger als Hörende Verständigungsprobleme haben: Gebärden beschränken sie auf den relativ kleinen Kreis derer, die sie verstehen, auch die beste Hörhilfe ersetzt nicht das funktionierende menschliche Gehör und das Lippenlesen ist mitunter sehr schwierig bis unmöglich. Ein Gefühl der Ausgrenzung aus der Sprachgemeinschaft macht sich sicher schnell breit. Da bietet Tanz die Möglichkeit, sich frei schöpferisch zu entfalten und alles das auszudrücken, was man schon immer einmal sagen wollte. Natürlich wird kaum jemand auf die Idee kommen, in der Fußgängerzone »eine Kugel Vanilleeis mit Sahne im Becher« zu vertanzen, aber auch das ließe sich sicher mit viel Phantasie und Kreativität tänzerisch umsetzen.

Bei so viel Einfallsreichtum und einer bewusst multisensorischen Bewegungserziehung bleibt wohl nur zu überlegen, ob sich der Tanzunterricht normal hörender Kinder nicht auch hin und wieder einmal an dem der hörgeschädigten orientieren sollte, statt immer nur umgekehrt…

Autorin: Katrin Barthel

Katrin Barthel ist unseren Lesern nicht unbekannt. Sie absolvierte in unserer Redaktion ein Praktikum und fiel bereits durch mehrere glänzend recherchierte und gut geschriebene Beiträge positiv auf. Kurz vor einem längeren Auslandsaufenthalt schrieb sie für uns diesen eine relevante Thematik einmal aus völlig anderer Perspektive beleuchtenden Artikel. Katrin Barthel studiert Deutsch und Sport für das Lehramt an Gymnasien an der Georg-August-Universität Göttingen.

 

 

Autor: Thomas Keck

Thomas Keck ist durch seinen Beruf als Hörsystemakustiker bestens mit der Präzision und Sorgfalt vertraut, die sowohl für die technische Arbeit als auch für den direkten Kundenkontakt erforderlich sind. Sein Werdegang zeugt von einer kontinuierlichen Entwicklung und einem hohen Maß an Fachwissen, unterstrichen durch den Meisterbrief und die Selbstständigkeit. Er verfolgt seine Interessen mit Leidenschaft und widmet sich einer Vielzahl von Aktivitäten, von Musik über die Beschäftigung mit Oldtimern bis hin zur Werteschätzung der Bibel. Thomas bewundert Menschen, die in ihrem Feld Spitzenleistungen erbringen, wie diverse Musiker und Schauspieler. Dies deutet auf eine hohe Wertschätzung für Expertise und handwerkliches Können hin.

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