DGK-Symposium & Pressegespräch zur Qualität der Hörgeräte-Versorgung
Die Leser dieser Zeitschrift wissen, wie eine Hörgeräte-Anpassung im optimalen Fall ablaufen sollte. Otto und Ottilie Normalverbraucher hingegen haben davon meist nicht die leiseste Ahnung. Sie wissen nicht genau, was ihnen als krankenversicherter Mensch bei der Hörgeräte-Versorgung zusteht. Und sie wissen schon gar nicht, welcher Berufsstand dabei für welche Leistungen zuständig ist. Die Konsequenz: Viele Verbraucher verzichten – unfreiwillig, weil unwissend – auf Leistungen, die ihnen zustehen. Damit verzichten sie auch auf die Möglichkeit, wieder bestmöglich zu hören. Ein Zustand, den das Deutsche Grüne Kreuz (DGK) nicht hinnehmen möchte. Man entschied sich dafür, klare Qualitätskriterien festzulegen und diese den Verbrauchern mitzuteilen. So geschehen Anfang Oktober [2004] in Berlin.
Für den ersten Schritt, das Benennen von Qualitätskriterien, traf sich am 7. Oktober auf Einladung des DGK eine Expertenrunde aus HNO-Heilkunde, Hörgeräte-Akustik, Hörgeräte-Industrie, Deutschem Schwerhörigenbund, Fachmedien, Krankenkassen und Psychologie zum Symposium »Verkürzter Versorgungsweg auf dem Prüfstand«. Hierbei wurden die Leistungen der beiden Versorgungswege nebeneinander gestellt, detailliert besprochen und bewertet. So kam man neben den jeweiligen Kriterien auch zu einem Vergleich der beiden Wege. Man verständigte sich übrigens darauf, den »traditionellen« künftig »kooperativen Versorgungsweg« nennen. Da der Begriff »traditionell« unter Umständen mit einer Vorgehensweise assoziiert wird, die nicht den aktuellen Standards entspricht. Bekanntlich ist das Gegenteil der Fall.
Bei der Begrüßung durch den Leiter der Sektion Gutes Hören im Deutschen Grünen Kreuz, Professor Dr. Dr. Roland Laszig, und Dr. Hans von Stackelberg, Deutsches Grünes Kreuz, wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine berufspolitische Diskussion geführt werden soll. Die Experten stellten fest, dass Hals-Nasen-Ohrenarzt und Hörgeräte-Akustiker sich bei der optimalen Hörgeräte-Versorgung nicht nur ergänzen, sondern auch gegenseitig kontrollieren. So sei die audiometrische Untersuchung des Arztes Bestandteil der Diagnose. Während die Audiometrie des Hörakustikers der Anpassung diene. Beide Messungen seien wichtig. Dr. Harald Seidler, Deutscher Schwerhörigenbund [DSB], betonte: »Die Audiometrie-Ergebnisse des HNO-Arztes sollten keinesfalls die einzige Grundlage der Hörgeräte-Anpassung sein.«
Professor Dr. Karin Schorn, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren – Heilkunde, Campus Großhadern, der LMU München, vertrat die Meinung, dass der HNO-Arzt weit mehr tun muss, als die Diagnose und die Indikation für Hörgeräte zu stellen. »Er muss bestehende Vorurteile gegen Hörgeräte ausräumen. Er muss beispielsweise auch über den Sinn einer beidohrigen Versorgung aufklären, um Vorarbeit für den Akustiker zu leisten. Denn viele Patienten wissen nicht, wie wichtig die binaurale Versorgung ist, und denken, der Akustiker will nur Geld machen.«
Als sehr wichtig eingeschätzt wurde die Auswahl von drei Geräten verschiedener Herstellerfirmen, die sich in Qualität und Preisgestaltung unterscheiden. Seidler hierzu: »Wir haben völlig unterschiedliche Algorithmen, daher muss es eine Auswahl an Geräten geben. Man muss die Chance haben zu vergleichen.« Zu den unverzichtbaren Leistungen des Hörakustikers zählten die Experten auch das Nachjustieren der Gerate nach dem Probetragen und – bei Bedarf – das schrittweise Nachregulieren über Wochen. Schorn betonte: »Das gleiche gilt auch für das Ohrpassstück, das so lange bearbeitet werden muss, bis es seine Aufgabe optimal erfüllt.« Seidler erklärte, dass die Akzeptanz einer Hörgeräte-Versorgung mit der Otoplastik stehe und falle: »Der HNO-Arzt bietet hierzu keine Bearbeitung an. Aber wenn die Otoplastik drückt, nimmt der Patient das Gerät nicht.«
Die Kontrolle des HNO-Arztes nach Abschluss der Hörsystemanpassung dient der Qualitätskontrolle, so die einhellige Einschätzung der Experten. Auch Privatpatienten, deren Kassen diese Kontrolle nicht verlangen, sollten dazu aufgefordert werden, diesen Termin wahrzunehmen. Seidler hierzu: »Hier kann der Arzt zugleich auch Anwalt des Patienten gegen den Akustiker sein, falls es noch Probleme mit dem Hören gibt.« Ganz anders ist die Situation, wenn die Ärzte die Hörsysteme selbst angepasst haben. Dann, so Seidler, »überprüfen sie ihre eigene Leistung, was allen Anforderungen an eine Qualitätskontrolle widerspricht.« Seidler sieht im verkürzten Weg einen ganz klaren berufsrechtlichen Verstoß: »Bei der Hörgeräte-Anpassung durch den HNO-Arzt ist der Patient abhängig vom Anfang bis zum Ende. Es kann doch einfach nicht sein, dass man seinen Patienten die Möglichkeit vorenthält, die bestmögliche Hörgeräte-Versorgung zu bekommen.«
Von Stackelberg stellte fest: »Der Vergleich der Qualitätskriterien beider Versorgungswege zeigt deutlich, dass der kooperative dem verkürzten Versorgungsweg überlegen ist, aber in der Ergebnisqualität sind sie – laut AOK-Studie – gleich.« Es bestand Einigkeit in der Einschätzung, dass die WIdO-Studie der AOK gravierende Verfahrensfehler aufweise und im Grunde nicht ernst zu nehmen sei. Doch bislang sei es nicht gelungen, diese Studie zu widerlegen. Angestrebt wird daher eine seriöse Untersuchung, die die Anpass-Ergebnisse der beiden Versorgungswege vergleicht.
Qualitätsvorstellungen vor der Presse
Am 8. Oktober [2004] stellten vier der Experten ihre Qualitätsvorstellungen der Presse vor. Zum Pressegespräch »Versorgung mit Hörsystemen: Das Qualitätsbewusstsein der Endverbraucher entscheidet« hatte ebenfalls das Deutsche Grüne Kreuz eingeladen. Moderiert von Dr. Christina Beste, DGK, sprach Professor Dr. Laszig über »Hörsysteme: Je früher, desto besser«. Frau Professor Dr. Karin Schorn forderte die »Gute Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt und Akustiker als Voraussetzung für optimale Anpassung«, Dr. Werner Richtberg, Universitätsmedizin Frankfurt am Main, schilderte »Psychische Belastungen und psychologische Hilfen bei Schwerhörigkeit«, Dr. Bernd Hähle, Hörgeräte-Akustiker-Meister aus Cottbus, stellte die »Modernen Qualitätsstandards der Hörgeräte-Akustiker« vor, und schließlich sprach Marlies Bingel, eine »Betroffene«, über ihre Erfahrungen mit den unterschiedlichen Versorgungswegen.
Die am Vortag gemeinsam erarbeiteten Qualitätskriterien, der 10-Punkte – Katalog, wurde für die Medien in eine gekürzte Version gebracht: »Hörsysteme: Worauf müssen Sie achten?« und während der Pressekonferenz veröffentlicht. Diese Checkliste informiert den Verbraucher konkret über die Leistungen, die er für sich in Anspruch nehmen sollte. Wie wichtig das ist, zeigten die Erfahrungen von Marlies Bingel, die erst nach einer jahrelangen Fehlversorgung die Vorzüge gut angepasster Hörgeräte kennen lernen durfte.
Marlies Bingel, eine Rentnerin aus dem Ruhrgebiet, wurde von ihrem HNO-Arzt darauf hingewiesen, dass sie wegen ihres schlechten Hörens nun Hörgeräte brauche. Sie wusste nicht, dass ihr Arzt auch Hörgeräte anpasst. Als er ihr Ohrabdrücke abgenommen hatte, wusste sie noch nicht wofür. Schließlich bot er ihr Hörgeräte an: »Sie brauchen Hörgeräte, die kriegen Sie bei mir zum Nulltarif. Sie können aber auch ins Hörstudio gehen, da zahlen Sie viel Geld dafür.« Marlies Bingel nahm das Angebot an. Eine Beratung habe es nicht gegeben, stattdessen habe der Arzt die Geräte ins Ohr gesetzt. Ohne weitere Feineinstellung oder den Plan einer stufenweisen Anpassung habe sie mit den Geräten die Praxis verlassen. Bingel hierzu: »Als ich auf die Straße ging, dachte ich, ich fall› um, so laut war das. Die Geräte waren nur laut. Besser hören konnte ich damit nicht. Ich war sehr unzufrieden und habe mich damit über 4 Jahre herumgequält.«
Die Überprüfung beim HNO-Arzt ergab eine Verbesserung des Hörens mit Hörgeräten. Da Marlies Bingel unzufrieden war, wurde ein Mitarbeiter der Hörgeräte-Firma zu ihr nach Hause geschickt. Der stellte die Geräte am Computer ein. Danach sei das Hören unverändert schlecht gewesen. Wegen ihrer Beschwerden habe der HNO-Arzt ihr angeboten, die Geräte einzuschicken. Aber darauf habe sie verzichtet, da die Bearbeitung durch den Firmenvertreter ja auch bereits gar nichts gebracht hatte. Die Firma habe ihr angeboten, die Hörgeräte mit neuer Digitaltechnik zu bestücken. Das sollte pro Ohr 275 € kosten. Nach den zuvor gemachten Erfahrungen war Marlies Bingel dazu nicht bereit.
Schließlich erzählte ihr ein Bekannter, der Hörgerate trug, von seinen Erfahrungen mit seinem Hörakustiker. Marlies Bingel: »Als der erzählte, wie der betreut wird und was man alles machen kann, dachte ich: Das probiere ich auch. Als Laie weiß man ja sonst gar nicht, was alles möglich ist.« Jetzt trägt sie kleine Hinter-dem-Ohr – Geräte und ist »total zufrieden«. »Die Geräte trage ich von morgens bis abends, weil ich damit wirklich besser höre. Ich werde optimal versorgt und kann jederzeit ins Hörstudio kommen, wenn etwas ist.« Durch die lange Hörentwöhnung und Falschversorgung war eine schrittweise Anpassung nötig, die inzwischen fast abgeschlossen ist. »Hinterher ist man immer schlauer«, stellte Marlies Bingel fest.
Vielleicht trägt der 10-Punkte – Katalog dazu bei, dass man künftig auch schon vor der Hörsystem-Anpassung weiß, welche Leistungen einem zustehen.
Autorin: Martina Stein-Lesniak