Abgeordnete liehen ihr Ohr
Die Polit-Prominenz gab sich die Klinke in die Hand. Ulla Schmidt, Wolfgang Thierse, Antje Vollmer, Claudia Roth, Kurt Bodewig, Wolfgang Bötsch, Norbert Lammert, Hildegard Müller… 8 von insgesamt rund 600 Abgeordneten und Mitarbeitern des Deutschen Bundestages, die zum Hörtest des Forum Besser Hören im Bundestag kamen.
In einer eigens installierten Hörtest-Kabine im Reichstag überprüften die Hörgeräte-Akustiker Marcus Göbel sowie Robert Eiffler das Hörvermögen der Abgeordneten und Mitarbeiter und stellten ihnen anschließend einen Hörpass aus. Jeder Teilnehmer hatte damit schwarz auf weiß, wie es um sein Gehör bestellt ist.
Wie notwendig die Aktion war, unterstreicht die große Resonanz auf den dreitägigen Hörtest: ununterbrochen wurde getestet, beraten und informiert. Das Ergebnis: Von 119 getesteten Abgeordneten hörten 37 % leicht bis stark gemindert, von den 483 getesteten Mitarbeitern 29 %. »Das schlechtere Ergebnis bei den Abgeordneten ist natürlich auf das höhere Durchschnittsalter zurückzuführen«, kommentierte Forum-Sprecher Karsten Mohr die Zahlen.
Während des dreitägigen Tests vom 8. bis zum 10. September [2004] war der Kontakt zu Politikern und Personal im Reichstag sozusagen »hautnah«.
Denn die mobile Testkabine des Berliner Hörgeräte-Akustikers Flemming & Klingbeil war direkt im Lobbybereich des Reichstags aufgebaut worden, unmittelbar am Plenarsaal. Entsprechend groß war der Andrang. Die Schlangen vor der Hörtestkabine wurden nur selten kurz. Meist waren es 5-10 Wartende.
So mussten die beiden Tester Schwerstarbeit leisten. Sie testeten und informierten ohne Pause, gingen auf jeden Teilnehmer individuell ein, wenn sie die Testergebnisse erläuterten. »Viele waren von ihrem schlechten Abschneiden beim Hörtest überrascht. Hier war dann Fingerspitzen-Gefühl gefragt«, so Göbel.
Damit auch die Technik mit dem Andrang beim Hörtest im Reichstag Schritt halten konnte, tauschten die beiden Akustiker das erste Audiometer bald durch ein zweites aus, das schneller und leistungsfähiger war. Die Bilanz nach drei Tagen: Sage und schreibe 602 Hörtests wurden durchgeführt, fast die Hälfte mehr als beim ersten Hörtest im Reichstag Ende 2000. »Mit einer solch hohen Zahl haben wir nicht gerechnet«, so Hörgeräte-Akustiker Göbel.
Besonders der Endspurt hatte es diesmal in sich. Am letzten Tag, wenige Minuten vor Toresschluss, wächst die Schlange vor der Hörtest-Kabine noch einmal deutlich an. 10 Personen kommen »auf den letzten Drücker«, darunter 6 Abgeordnete. Auch Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer ist dabei. Nach Tagen des Sitzungsmarathons im Bundestag hat sie am Ende doch noch Zeit für den Hörtest gefunden. Bereits vor vier Jahren nahm Antje Vollmer am Hörtest im Reichstag teil. »Ich weiß, wie wichtig es ist, sein Hörvermögen immer wieder überprüfen zu lassen. Deshalb bin ich froh, dass ich es noch Beschafft habe«, sagt die Grünen-Politikerin.
Auch der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schaut noch rasch vorbei. Leutselig schüttelt er den Forum-Vertretern die Hand. Am Test will er aber nicht teilnehmen. Er lasse sein Gehör regelmäßig überprüfen, habe gerade einen Test absolviert und verfüge daher in der Sache über »alle Erkenntnisse«, sagt Müntefering. Die Informationsbroschüren des Forum Besser Hören über Hören und Hörgeräte nimmt er dennoch gerne mit. Müntefering geht durch die Glastür in den Lobbybereich nebenan und setzt sich auf eine der langgestreckten Lederbänke. Er zündet sich seinen Pausenzigarillo an und blättert interessiert in den Forum-Broschüren.
Für einen regelrechten Aufruhr vor der Hörtestkabine sorgte am Tag zuvor Ulla Schmidt. Die Bundes-Gesundheitsministerin hatte sich eigens einen Termin geben lassen, um den Hörtest zu absolvieren. »Die Aktion ist ein wichtiges Signal für den hohen Stellenwert der Prävention in der Gesundheitspolitik«, sagt Ulla Schmidt, nachdem sie die Kabine wieder verlassen hat. Die Ministerin wird begleitet von einem Tross von Mitarbeitern. Dazu verfolgen Journalisten, Fotografen und Kamerateams ihren Auftritt.
Ähnlich gestaltet sich die Visite des »Hausherrn«, Bundestags-Präsident Wolfgang Thierse, beim Forum Besser Hören. Der Bundestags-Präsident übernimmt am ersten Tag der Aktion – wie bereits vor 4 Jahren – die Vorreiterrolle und sorgt für einen »standesgemäßen« Auftakt. Er wolle »auch diesmal ein Zeichen setzen für mehr Hörbewusstsein in der Bevölkerung«, sagt Thierse und betont, wie wichtig die Vorbildfunktion der Abgeordneten gerade in diesem Zusammenhang sei.
Nicht nur bei den Abgeordneten, auch bei den Mitarbeitern des Bundestages ist die Botschaft angekommen. Die Spanne der Hörtest-Teilnehmer reicht vom Verwaltungs-Auszubildenden über eine Fraktionsreferentin bis hin zum Saaldiener. Als perfekter Gastgeber erweist sich das Reichstagspersonal. Von Beginn an wird das Forum-Team aufgenommen, als gehöre es bereits zur ständigen Truppe. Sichtbarster Ausdruck: die Forum-Mitarbeiter werden am zweiten Tag eingeladen, an der morgendlichen Andacht im Seitenflügel des Reichstagsgebäudes teilzunehmen – eine von vielen Gelegenheiten, den Polit-Betrieb aus anderem Blickwinkel zu erleben.
Der jüngste Teilnehmer des Hörtests im Bundestag war übrigens der 13-jährige Marius Müller, Sohn des Abgeordneten Gerd Müller aus Kempten. Seine Teilnahme zeigt, dass sich das Hörbewusstsein und das Interesse am eigenen Hörvermögen deutlich gesteigert hat – nicht zuletzt auch bei Jugendlichen und Kindern.
Autor: FBH