Was den Songtext im Innersten zusammen hält
Montag Abend, halb acht: Vor der Heidelberger Diskothek »Nachtschicht« bildete sich eine lange Reihe Wartender vor der Abendkasse. Die Veranstaltung unter dem Titel »DA DA DA« und »Keine Macht für niemand« erfreute sich offensichtlich großen Interesses.
Im Mittelpunkt des Abends, der im Rahmen der Baden-Württembergischen Literaturtage stattfand, stand ein Gespräch über Songtexte in Pop, Rock und Rap. Und weil niemand darüber besser Auskunft geben könnte, als ein Künstler selbst, folgten Smudo (Die Fantastischen Vier), Xavier Naidoo, Torch, Yvonne Betz (»Tochter« der Söhne Mannheims) und Wolfgang Niedecken der Einladung des Initiators der Veranstaltung, dem Heidelberger Palmyra Verlag.
Ob es nun tatsächlich die pure Literaturbegeisterung war, die ein junges Publikum ebenso anzog wie betagtere Semester, oder schlicht die Möglichkeit, ein wenig »Musik – Promi-Luft« zu schnuppern, sei dahingestellt.
Wie auch immer: Die 5 Musiker wurden unter großem Jubel vom Publikum begrüßt. Moderator Jörg-Peter Klotz von der Tageszeitung »Mannheimer Morgen« griff die zentrale Frage des Abends auf, »Inwiefern werden Songtexte von der Literatur beeinflusst?«
Eine Frage, der man allerdings erst gegen Ende der Veranstaltung noch einmal genauer nachging. Viel mehr sollte das Gespräch Einblicke darüber geben, wie Songtexte generell entstehen. Dem Unterhaltungswert tat diese thematische Wendung allerdings keinen Abbruch.
Nicht nur die jeweiligen musikalischen Vorbilder wurden thematisiert, auch die Frage, inwiefern man denn bereit wäre, Songs von anderen zu covern.
Für die echte BAP-Fans dürfte es nichts Neues gewesen sein, dass Wolfgang Niedecken nach den Beatles von Bob Dylan musikalisch beeinflusst wurde. Wohingegen Reinhard Mey bei Xavier Naidoo einen nachhaltigen Eindruck hinterließ.
Texte und Melodien von anderen zu übernehmen, kam für alle eher nicht in Frage.
Henne oder Ei?
Was ist eigentlich zuerst da? Die Melodie oder der Text? Das ist eine Frage, die sich jeder Musikliebhaber schon gestellt haben mag. Sie kam auch an diesem Abend zur Sprache. Für Xavier Naidoo ist es in erster Linie die Musik, die ihn antreibt. Erst wenn der »Sound« abgeschlossen ist, geht er an den Text. Ein Prozess, der ihm wenig Schwierigkeiten bereitet, und der sich gar in rasender Geschwindigkeit abspielen soll.
Ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Leichtigkeit, mit der Songtexte entstehen, und dem Alter? Es scheint fast, denn die beiden »erfahreneren« Herren der Branche, Niedecken und Smudo, stellten übereinstimmend fest, dass man sich mit dem Texten noch vor Jahren deutlich leichter getan hätte. So empfand es Smudo im jugendlichen Alter von 21 Jahren noch einfach, auf dem Hochbett in der WG, Songtexte zu Papier zu bringen, als heute mit 36 Jahren und einem »Barriqueschädel«.
Wolfgang Niedecken indessen denkt heute bei jedem schließlich abgeschlossenen Text, dass es sein letzter war. »Wahrscheinlich bekomme ich nie wieder einen zustande.« Die Ansprüche, die er an seinen Text stellt, sind sehr hoch und die schwerste Hürde, die er immer wieder nehmen muss. Er formuliert nie bewusst, er erlebt sich dabei, als würde er sich bei sich selbst auf die Couch legen. Er sieht sich nicht als Überbringer bestimmter Botschaften durch seine Texte, er meint schlicht »Wer eine Message hat, soll bei der Post arbeiten.« Darüber hinaus kann es mit Texten die gleiche Bewandtnis haben wie mit Kleidung – man entwächst.
Und so wird auch ein kleiner Dialog verständlich, der zwischen Niedecken und einem weiblichen Fan schon mittags in einer Heidelberger Buchhandlung zu vernehmen war. Dort nämlich hatte er sich zum Signieren seines neuen Buches unter dem Titel »Immer weiter: BAP-Logbücher 2000-2004« eingefunden. Besagter Fan ließ wissen »Ich komme nur, wenn er ›Verdammt lang her‹, spielt.« Niedecken quittierte es mit einem Grinsen und meinte verschmitzt, »Dann werden wir wohl heute nicht zusammenfinden.«
Zwischen Realität und Romantik
Schnell sollte sich herausstellen, dass die Vorstellung, Songtexte entstünden beim Kerzenschein am Tisch, über den der Schreiber in gramgebeugter Denkerpose lehnt, eine sehr romantische, um nicht zu sagen, unrealistische ist.
Von der Muse geküsst wird man in den unterschiedlichsten alltäglichen Situationen. Smudo beispielsweise wird von Text-Ideen schon auch mal beim Joggen heimgesucht. Dann kann es vorkommen, dass er sich selbst anruft und den Text auf den Anrufbeantworter spricht. Generell bedürfe er für das Texten eines Zustandes des »Kontrollierten sich Gehenlassens«. Eine Feststellung, die auch von den anderen Beteiligten nur bestätigt werden konnte. Dabei werden oft einzelne Fragmente gesammelt, bis sich alles zu einem großen Ganzen füge.
Für Naidoo ist das erste Wort der Türöffner für alle weiteren Textelemente. Eine Erfahrung, die auch Torch bestätigen konnte, »Stimmt das erste Wort, ergibt sich der Rest praktisch von alleine.«
Inwiefern muss der Text überhaupt beim Hörer verstanden werden? Torch formulierte es so: Es sei das Zusammenwirken von Text und Musik, das die Leute beim Bügeln innehalten lasse. Und Smudo bestätigte, dass er es aus eigener Erfahrung kenne, von einer Musik auch dann angesprochen zu werden, wenn man den Text nicht versteht.
Das erklärt auch den Erfolg von BAP. Denn bekanntermaßen sind die Texte stets in astreinem Kölsch zu hören – ein Dialekt, der nicht jedem in die Wiege gelegt wurde. Niedecken hingegen schon. So ist es für ihn eine Frage der Authentizität, in Kölsch zu texten. Da er auch »Kölsch« denke, müsste er ja sonst jedes mal umdenken, um einen Text auf Hochdeutsch zu formulieren. Dabei gehe jedoch auch die Unmittelbarkeit verloren.
Wenn Musik zu Klebstoff wird
Natürlich fehlte in der Podiumsdiskussion auch Musikindustrie nach einer Quote, nach der 50% der im Radio abgespielten Musik deutschsprachig sein sollte – um die Musikkultur zu retten.
Der Tenor des Abends: Der Debatte liege eine falsche Vorstellung von der Radiolandschaft zu Grunde. Tatsächlich befinde man sich ja nicht mehr in den 50er Jahren. Heute, so Niedecken, »ist die Radiolandschaft völlig versaut«. Im Grunde gehe es nur darum, den Hörer nicht bis zum nächsten Werbespot zu verschrecken. So wird die Musik zum Klebstoff zwischen den Werbeeinschaltungen. Alles, was extrem ist und über den Durchschnitt hinausgeht, wird daher verpönt. Auch Smudo stellt fest, »Wer gute Musik hören will, geht nicht ins Radio, um sich Anregungen oder Tipps zu holen.«
Somit ist klar, dass die musikalische Realität, die sich in Deutschland abspielt, im Radio nicht wiedergespiegelt wird.
So gesehen, liegt in der Quotendebatte jedoch die Möglichkeit, das Thema Qualität in den Vordergrund zu bringen. Dabei wäre der Aufwand, etwas mehr Niveau ins Programm zu bringen, nicht einmal so groß. Mit einem »Radioonkel«, so wie früher, der zweimal die Woche den Blick für Musik abseits des Einerleis frei mache, wäre schon ein entscheidender Lichtblick geschaffen. Insofern sahen alle in der Quote einen Strohhalm, um etwas in Bewegung zu bringen.
Um die eingangs gestellte Frage nach dem Einfluss der Literatur auf Songtexte wieder aufzugreifen, hier waren sich alle einig: Unbewusste Einflüsse wirkten sicherlich immer. Allein Xavier Naidoo setzte hier einen Kontrast. Er versuche, so wenig wie möglich Literatur zu sich nehmen, um im Schaffensprozess keine anderen Gedanken in seinem Kopf zu haben.
Nach aller Theorie schlug die Stunde für die musische Praxis. Wolfgang Niedecken hatte seine Gitarre dabei und gab eine – natürlich – echt kölsche Einlage zum Besten. Smudo, der es sich nicht nehmen ließ, einen neugierigen Blick aufs Niedecken’sche Text- und Notenblatt zu werfen, stelte dabei nicht ohne Amüsement fest »Unglaublich – das steht ja da tatsächlich in Kölsch.«
Auch Torch und Naidoo blieben dem Publikum musikalisch nichts schuldig. Und als Naidoo dann schließlich alleine sang, war manchem echtem Fan die Verzückung ins Gesicht geschrieben.
Autorin: Claudia Pukat