Ein gelungenes Experiment
Wir haben an einem Experiment teilgenommen, das uns begeistert hat und über das wir deshalb mit gelindem Enthusiasmus berichten.
Zur Vorgeschichte: An der Oper Frankfurt sowie der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf und an vielen renommierten Gastspielorten, die wir hier nicht alle aufzählen können) wirkte seit vielen Jahren der Helden-Tenor William Cochran sowohl in Wagner-Partien als auch in Charakterrollen (»Peter Grimes«, »Prinz von Homburg«, »Jenufa« etc.). Dann hörte man von dem Sänger nichts mehr, bis wir jetzt erfuhren, dass ein schwerer Unfall seine Karriere beendete. Resignation und Depression waren die natürlichen Folgen, bis sich Cochran im Kreis Gleichgesinnter eine neue Aufgabe stellte. Im Bewusstsein, dass junge Menschen in großer Mehrheit Schwellenangst vor Opern-Tempeln haben und klassische Musik infolge starker Reduzierung in den Curriculae der Schulen immer mehr zu einem Exoten-Vergnügen wird – PISA lässt auch hier grüßen – gründete man 2003 den Verein »Oper in die Schule!« e.V.
William Cochran übernahm die künstlerische Leitung, Regie und Organisation. Er scharte Musikstudenten hessischer Hochschulen um sich (die auch ausbildungsmäßig an zu wenigen Gelegenheiten praktischer Erprobung leiden, weshalb unsere Opern-Ensembles heute überwiegend von ausländischen Sängern gebildet werden).
Zusammen übte man die Kurzoperette »Die Insel Tulipatan« von Jacques Offenbach ein. Es handelt sich hier um ein kleines satirisches Werk – Offenbach unterlag in Paris der Zensur ob seines beißenden Spottes über Napoleon III. und dessen Hof. Um ihn zum Schweigen zu bringen, schützte man Sicherheitsmaßnahmen vor, die es ihm verboten, seine Operetten (er war der Erfinder dieses Genres) in größeren Häusern aufzuführen. Doch der Komponist wusste sich zu wehren, gründete »Les Bouffes Parisiens«, ein kleines Theaterchen an der Champs Elysées, in dem er Miniatur- Einakter mit kleiner Orchesterbesetzung und wenig Bühnenpersonal aufführte, dabei aber mit unter dem Mantel komischer Verwicklungen in der Antike oder in Phantasie-Staaten mit gehöriger Portion politischer Satire. Dass eines dieser Werke, eben »Die Insel Tulipatan«, eine Geschichte um ein aus Gründen der Staatsraison als jungen Prinzen aufgezogenes Mädchen und einen zur Vermeidung des Kriegsdienstes als Mädchen erzogenen Jungen (die beiden »kriegen sich« selbstverständlich zum Happy End) nunmehr dazu dient, Schüler mit dem Musiktheater vertraut zu machen, hätte sich Offenbach sicher nicht träumen lassen.
Wir bekamen – und hier beginnt die Geschichte des Experimentes – von dem an der Schwerhörigenschule in Friedberg tätigen, für Kultur zuständigen Schwerhörigenlehrer Bernhard Hohl eine Einladung, dem Gastspiel des Cochran’schen Ensembles in der Friedberger Aula beizuwohnen.
Anfängliche Skepsis, ob die schwerhörigen Kinder wohl der Handlung folgen und diese verstehen würden, wich bald großem Staunen ob der Akteptanz und dem munteren Mitwirken beim Geschehen auf der Bühne. Direktorin Maria Wisnet verwies auf die Effektivität moderner Hörsysteme. Da wurde mitgeklatscht und für den »Piff, Paff, Puff«-Song (den Offenbach später noch einmal einem militanten General in seiner Operette »Die Großherzogin von Gerolstein« in den Mund legte) sowie das »Enten-Lied« – bei dem primär »Zeitungs-Enten« gemeint sind – ein Dacapo verlangt.
In der anschließenden Diskussion der Kinder mit den Mitwirkenden –
Johannes Weiß als Hermosa
Johanna Greulich als Prinz Alexis
Christopher Gärtner als Cacatois XXII.
Alexander Langenbach als Romboidal
Heidi Höflinger als Theodorine
Mathias Schabow, Klavier
Christoph Möller, Cello
Roman Kupferschmidt, Klarinette
Meng Deng, Flöte – gab es vor allem Fragen nach Namen, Ausbildungs-Ziel und -Zeit sowie die Forderung »Kommt bald wieder.«
Und während wir mit Kammersänger William Cochran und dessen bezaubernder Tochter Carrie Cochran-Hildmann (sie fungiert als Vorstandsvorsitzende von »Oper in die Schule!«) sprachen, fragte ein burschikoses kleines Mädchen Johanna und Johannes, das Paar der Operette, »Wollt Ihr auch wirklich heiraten!?« Ein zögerliches »Warum nicht?« kam von Johanna und ein verblüfftes »Davon weiß ich ja gar nichts« vom potentiellen Ehemann Johannes – natürlich schallendes Gelächter bei den anwesenden Lehrern, Eltern etc.
William Cochran verriet uns, dass er bereits an einer neuen Produktion probe, indes die Offenbach-Operette mehr als hundertmal in diversen Schulen aufgeführt wurde – die Vereinigung erhielt den Ehrenpreis 2004 des Deutschen Musikrates. Und wir vermuten mal, dass einige Eltern nach diesem Gastspiel mit dem Kinderwunsch konfrontiert werden: »Wollen wir nicht mal in die Oper gehen?«
Autorin: Christina Osterwald