Für Sie gelesen
Didaktisch ausgesprochen wertvoll
Martin Kompis »Audiologie«. Verlag Hans Huber, 2004. 221 Seiten, kartoniert, ISBN 3-456-84061-6, 22,95 €. Erhältlich im Buchvertrieb des Median-Verlages.
Mit dem vorliegenden Buch wird die nicht gerade üppige Literatur über praktische Audiometrie um ein umfangreiches und gründlich ausgearbeitetes Buch erweitert. Es wendet sich an Audiometristen, Logopäden, Hörgeräte-Akustiker »und andere Gesundheitsberufe« und es enthält die Beschreibung aller gängigen Methoden der Gehörabklärung bei Erwachsenen und Kindern. Der Autor, Priv.-Doz. Dr. med. Dr. sc. techn. Martin Kompis, langjähriger Leiter der Audiologie am Inselspital des Universitätsspitals Bern, hat in dem 221 Seiten umfassenden Buch seine in der praktischen Arbeit und in Vorlesungen an den Universitäten Bern und Fribourg gesammelten Erfahrungen zu Papier gebracht.
Die 16 Kapitel des Buches enthalten alles, was zur heutigen praktischen Audiometrie gehört: Stimmgabeltests, Tonaudiometrie, Sprachaudiometrie, Simulations- und Aggravationstests, Überschwellige Tests, Impedanzaudiometrie, otoakustische Emissionen, akustisch evozierte Potentiale, Pädaudiologie und Tinnitusdiagnostik Auch weniger gebräuchliche Verfahren wie die Békésy-Audiometrie kommen zur Sprache. Selbstverständlich werden auch die physikalischen, technischen, anatomischen und physiologischen Grundlagen beschrieben und es wird auf die apparative Versorgung mit Hörgeräten und Cochlea-Implantaten eingegangen. Die Gründlichkeit der Darstellung verdient ebenso lobende Anerkennung wie die anschauliche Erklärung aller Details mit verständlichen Begriffen und Formulierungen. Positiv hervorzuheben ist weiterhin die übersichtliche Gliederung, mit deren Hilfe die Kontrolle und das Wiederauffinden des Gelernten wesentlich erleichtert werden.
Interessant nicht nur für Schweizer ist die Behandlung der Sprachaudiometrie in anderen Sprachräumen. Sprachaudiometrisches Testmaterial kann und soll in einer Einführung dieser Art nicht vollständig wiedergegeben werden. Umso wichtiger sind Verweise auf die Originalliteratur, die in fast allen Fällen im Literaturverzeichnis zu finden sind. Lediglich für den Basler Satztest sucht man vergeblich nach einer Angabe von Quelle und Urheber.
Kritischer Prüfstein für die Tiefe von Kenntnissen und Erfahrung in der praktischen Audiometrie ist immer die Darstellung von Überhören und Vertäubung. Die hier vorgelegte Beschreibung ist kompakt, vollständig und sie gibt keinen Anlass zu sachlichen Einwänden – allerdings könnten die angegebenen Formeln einigen Lesern als zu abstrakt erscheinen. Ein Zahlen- oder Fallbeispiel hätte zur Verdeutlichung beigetragen. Zudem sind viele Leute der Meinung, dass die KL-Schwelle zunächst am »Weber-Ohr« bestimmt wird (und nicht am besser hörenden Ohr) bestimmt wird.
Erfreulich großen Raum nehmen mit acht Seiten die heute etwas vernachlässigten Überschwelligen Tests zur Erfassung eines Recruitments oder eines Recruitment-Äquivalents ein. Der Lautheitsausgleich wird ohne unnötigen physiologischen Ballast anschaulich erklärt (vielleicht hätte das Synonym »pathologischer Lautheitsanstieg« zusätzlich zur Verdeutlichung beigetragen). Ihrer zunehmenden praktischen Bedeutung entsprechend wird hier auch auf die Hörflächenskalierung und ihre Bedeutung bei der Hörgeräte-Anpassung eingegangen. Die Geräuschaudiometrie nach Langenbeck sucht der Leser hingegen vergebens.
Auch den objektiven Hörprüfmethoden wird der Platz eingeräumt, der ihrer praktischen Bedeutung entspricht. Das Kapitel zur Impedanzaudiometrie beschreibt mit einem minimalen aber ausreichenden Aufwand die nicht gerade beliebten physikalischen Grundlagen und widmet sich dann dem Tympanogramm und dem Stapediusreflex, dessen diagnostische Möglichkeiten in Hinblick auf die Reflexschwelle, das Metz-Recruitment, die Relexermüdung und die häufigsten Befundkonstellationen kompakt, übersichtlich und in ausreichender Vollständigkeit dargestellt sind.
Hingegen hätte sich im Abschnitt über die otoakustischen Emissionen (OAE) etwas mehr Ausführlichkeit nicht schädlich ausgewirkt. Insbesondere bei den transitorisch evozierten OAE (TEOAE) wäre eine Anleitung zur Durchführung der Messung und eine Beschreibung der zahlreichen Parameter nützlich gewesen. Etwas missverständlich sind die Aussagen zur Frequenzspezifität sowohl der TEOAE als auch der Distorsionsprodukt-OAB (DPOAE). Am Rande sei dem Rezensenten, der es mit sprachlichen Details vielleicht zu genau nimmt, die Anmerkung gestattet, dass es keine Distorsionsprodukte otoakustischer Emissionen gibt, sondern nur otoakustische Distorsionsprodukte (oder Distorsionsprodukt-OAE).
Auch bei der Darstellung der akustisch evozierten Potentiale (AEP) wird möglicherweise bei einigen Lesern der Wunsch nach Hinweisen zur Bewältigung der praktischen Alltagsprobleme und nach Hilfsmitteln zur Beurteilung von Messqualität und Ergebnis nicht befriedigt. Durchaus umfassend ist jedoch der Überblick, in dem auch aktuelle methodische Weiterentwicklungen (AMFR, E-BERA, intracochleäre Registrierung mit dem Cochlea-Implantat) beschrieben werden.
Im gut gelungenen Kapitel über Pädaudiologie ist die Zusammenstellung von Verdachtsmomenten, die den Schilderungen aufmerksam beobachtender Eltern entnommen werden können, als besonders wertvoll anzuerkennen. Hier wie auch im folgenden Abschnitt über Simulation, Aggravation und psychogene Hörstörung gewinnt der Leser das sichere Gefühl, an einem reichen Erfahrungsschatz des Autors teilhaben zu dürfen. Die Beschreibung von Hörgeräten und Cochlea-Implantaten ist auf der Höhe der Zeit und sie hat nicht nur die Funktionsprinzipien der technischen Systeme, sondern auch die Indikationsregeln und das Vorgehen bei der audiometrischen Erfolgskontrolle zum Gegenstand.
Schließlich wird im letzten Kapitel auf die Problematik der Ohrgeräusche (Tinnitus) eingegangen. Angesichts der bekannten Vielschichtigkeit dieses Themas wird niemand eine erschöpfende Behandlung erwarten. Die wichtigsten bekannten Tatsachen zur Ursache von Tinnitus, seine funktionsdiagnostische Erfassung und die heute gängigen Therapieansätze werden ausreichend und kompakt beschrieben.
Zusammenfassend kann das Buch den eingangs genannten Zielgruppen und durchaus auch HNO-Ärzten sehr empfohlen werden. Didaktisch ist es als ausgesprochen wertvoll einzustufen – auch wenn die Qualität einiger Abbildungen nicht zeitgemäß ist und durchaus noch Spielraum für Verbesserungen aufweist. Zudem ist nicht ganz auszuschließen, dass Pedanten sich an den zahlreichen Schreibfehlern stören könnten. Das Literaturverzeichnis ist mit seinem ungewöhnlich großen Umfang äußerst nützlich. Zum Buch gehört eine Audio-CD mit audiometrischen Prüfsignalen und Tonbeispielen zur Illustration von linearer und logarithmischer Frequenz- und Intensitätsskala, sowie zur Simulation des Höreindrucks bei Hochton-Schwerhörigkeit und Cochlea-Implantat.
Autor: Sebastian Hoth