Vom 7. Weltkongress der Internationalen Föderation der Schwerhörigen (IFHOH) in Helsinki
Ungehinderte Kommunikation im Mittelpunkt
»Unbehinderte Kommunikation für Alle« lautete der Titel für den 7. Weltkongress der IFHOH – der Internationalen Föderation der Schwerhörigen. 400 Betroffene, Angehörige und Fachleute aus 39 Ländern und von allen Kontinenten fanden den Weg nach Helsinki. Das Programm umfasste mehr als 100 Vorträge und Poster. Fast so wichtig war das gegenseitige Kennenlernen und das Wiedersehen mit alten Bekannten. Auch die Generalversammlungen der IFHOH und der EFHOH (Sektion Europa) gehörten dazu.
Zugang zur Kommunikation, zum Verstehen und zum Verstandenwerden demonstrierte die finnische Schwerhörigenorganisation Kuulonhuoltoliitto mit Seppo Matinvesi und seinem Team. Sowohl Altbewährtes wie induktive Höranlagen als auch modernste Technik wurden eingesetzt. Dazu gehörten die Schnellschreiber:innen auf finnisch, englisch und japanisch.
Etwas schwieriger wurde es ab und zu bei den Inhalten. Nicht alle der professoralen Referenten schafften den Wechsel vom Hörsaal zum Kongress mit vorwiegend betroffenen Zuhörer:innen. Doch interessant, spannend und lehrreich war es in Helsinki allemal.
Bereits zur Begrüßungsparty fanden sich die meisten Gäste des 7. Weltkongresses der Schwerhörigen in der sehenswerten und großzügig gebauten »Finlandia-Hall« ein. Für den Berichterstatter selber war es nach Hamburg, Stockholm, Montreux, Jerusalem und Graz die sechste Kongressteilnahme und so lautete die erste Frage: »Wer ist da – wen kenne ich noch?« Die Wiedersehensfreude und die Neugier der erstmaligen Besucher vermischten sich rasch und schufen damit gute Voraussetzungen für spannende Tage.
Bei der Eröffnung wies Seppo Matinvesi auf die vorhandenen technischen Einrichtungen hin. Da Englisch die einzige gesprochene Sprache war, genügten Ringleitungen für die akustische Übertragung. Die gesprochenen Texte wurden mit Palantype – einem Silben-Schnellschreibsystem – auf große Bildschirme übertragen. Dieses System hat gegenüber Folien den Vorteil, dass Fragen und Antworten mitgeschrieben werden können. Das ständige Verschieben der Zeilen wirkt jedoch sehr ermüdend und ist zumindest gewöhnungsbedürftig. Die über 60 Teilnehmenden aus Japan brachten selber die ganze technische Einrichtung für ein System für japanische Schriftzeichen, inklusive einem großen Monitor und Gebärdendolmetschern, mit. Gebärdendolmetscher übersetzten auch für die Hörenden bei gebärdenden Sprecher:innen. Unbehinderte Kommunikation also, soweit man englisch, finnisch oder japanisch verstand. Leider gab es zu wenig Anmeldungen aus dem deutschsprachigen Raum, um eine Übersetzung auf Deutsch anbieten zu können.
Ziele und Visionen
Marcia Dugan, U.S.A., Präsidentin der IFHOH, eröffnete den Kongress und stellte kurz den 1977 gegründeten Weltverband und dessen wichtigste Ziele vor. In Anlehnung an die berühmte Rede von Martin Luther King 1963 »I have a dream« träumte sie von der Erfüllung der Anliegen von Menschen mit Hörproblemen in den nächsten 10 Jahren. Obwohl viele gelernt hätten, mit der Hörbehinderung zu leben, wäre es wunderbar, wenn Möglichkeiten gefunden würden, damit Haarzellen wieder nachwachsen, es Medikamente und Kuren gäbe, um alle Arten des Hörverlustes rückgängig zu machen. Das sei ein Traum, heute gehe es jedoch darum, die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen. So habe die Entwicklung der Hörgeräte enorme Fortschritte in vielen Belangen gemacht. Sie bitte jedoch die Hörgerätehersteller inständig, alle Hörgeräte mit Telefonspulen auszurüsten (eine erstaunliche Aussage einer Amerikanerin). Zum Traum gehörten sowohl die Weiterentwicklung der Cochlea-Implantate als auch die anderen technischen Hilfsmittel.
Dazu gehören für die Schwerhörigen vor allem auch taugliche Handys. Ein großes Problem sei der Lärm. Einerseits führe er zu Hörschädigungen, andererseits sei er ein enormes Hindernis für das richtige Verstehen für Menschen mit Hörgeräten. Eingebaute Höranlagen in öffentlichen Vortragsräumen seien darum ein Muss.
Bei der Forschung träume sie von der Regeneration von Haarzellen, von Lösungen zur Bewältigung des Tinnitus sowie von weiteren Erkenntnissen im medizinischen Bereich. Schon fast ein Alptraum seien die Kosten. Diese seien das grösste Hindernis für den Zugang zur Rehabilitation. Es gehe darum, weltweit in allen Bereichen die Kosten drastisch zu senken, damit alle Menschen mit Hörschädigungen Zugang fänden. Die IFHOH müsse dafür sorgen, dass auch hörbehinderte Menschen durch die »Menschenrechte« geschützt würden. Zu den IFHOH-Aufgaben gehörte auch die Ermutigung der Betroffenen, zu ihrer Behinderung zu stehen und sich den Zugang zur Kultur zu verschaffen. Die Förderung des Selbstbewusstseins und die Akzeptanz der Behinderung führe zur Anerkennung und zum Zugang in die Gesellschaft. Abschließend rief sie die Anwesenden auf, intensiv Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Nur damit könnten die vielschichtigen Ziele erreicht werden. Es gehe darum, das zu tun, was möglich sei, und gleich damit anzufangen.
In einer Grußbotschaft an den Kongress wies Finnlands Staatspräsidentin Tarja Halonen darauf hin, dass erst Kommunikation zur Integration führe. Zugang zur Kommunikation sei nicht nur lebenswichtig für hörbehinderte Menschen. Kommunikation sei lebenswichtig für die ganze Menschheit.
Themen über Themen
Markku Jokinen, Finnland, eröffnete den Reigen der Plenum-Referate in Gebärdensprache und sprach anstelle von Sheika Hessa bint Kalifa Ahmed al-Thani über die Aktualisierung der UNO-Richtlinien (»Standard Rules on the Equalization of Opportunities for Persons with Disabilities«). Es sei nötig gewesen, den Schutz und die Förderung von behinderten Menschen aufzunehmen. Vermehrten Schutz brauche es auch für Kinder. Diesen müsse der Zugang zur Bildung geöffnet werden. Frauen bräuchten in Entwicklungsländern mehr Entfaltungsmöglichkeiten. Vielfach seien sie gleich dreifach diskriminiert, nämlich als Frau, durch Armut und behindert. Meistens bestehe ein enger Zusammenhang zwischen Behinderung und Armut. Die »Standard Rules« seien ein moralisches Dokument, welches als Grundlage für die Verfassung diene. Ziele seien Gleichberechtigung und Integration.
Dr. Vappu Taipale, Generaldirektorin des Finnischen Forschungszentrums für Wohlfahrt und Gesundheit, bezeichnete die Kommunikation als eine große Herausforderung für die Ärzteschaft. Kommunikation bilde die Basis des sozialen Lebens und sei ein wesentlicher Teil des Menschseins. Er postulierte eine bessere Ausbildung in diesem Bereich. In Finnland werde seit 20 Jahren daran gearbeitet.
»Die Hörgeräteversorgung in Dänemark gehöre zu den Besten der Welt« meinte Susanne Bisgaard, Doktorandin am Institut für Kulturanthropologie der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main in ihrem Vortrag »Neue Hörgeräteträger:innen – ihre Erwartungen und Erfahrungen«. Die Studie sei noch nicht abgeschlossen, doch Erkenntnisse und Schlüsse zeichneten sich bereits ab. In Dänemark würden jährlich 90’000 Hörgeräte angepasst und in Finnland 14’000 bei gleicher Bevölkerungszahl. Die Anpassung sei durch die Deregulierung in Bewegung geraten. Die Schwerhörigen könnten wählen zwischen den staatlichen Kliniken und privaten Fachgeschäften. Bei ihrer Arbeit stütze sie sich auf die Meinungen der Fachleute und die allgemeine Auffassung. Das wichtigste Element seien jedoch die Betroffenen selber. Diese würden vor, während und nach der Hörgeräteanpassung befragt. Private und staatliche Patienten würden getrennt erfasst. Primär gehe es um Erwartungen und Erfahrungen.
Zum Bereich Hörgeräte und deren Anpassung sprachen auch Prof. Dr. Karl Spens, Schweden, und Mark Laureyns, Belgien.
Professor Spens berichtete über Studien, welche sich mit dem Thema »Entwicklung der Anpassmethoden« befassten. Trotz besserer Hörgeräte und verfeinerter Anpassmethoden seien bei den Hörgeräteträgern die Klagen aus dem Jahr 2000 gleich geblieben. Vor allem die Schwierigkeiten, einem Gespräch in einer Gruppe zu folgen, so wie das mangelhafte Verstehen bei Hintergrundgeräuschen seien unangenehm. Demgegenüber seien aufgrund von Messdaten signifikante Fortschritte erzielt worden, insbesondere beim Sprachverständnis bei lauter Musik.
Mark Laureyns vertrat die Gilde der Hörgeräte-Akustiker mit dem Referat: »Die Anforderungen an die Entwicklung von neuen Hörgeräten«. Ziel müsse die Befriedigung der Hörgeräte tragenden Menschen sein. Er zitierte eine Umfrage von Koschkin. Diese zeigte, dass weder das Stigma, noch die Kosten oder die Technik im Vordergrund stünden. Zu den wichtigsten Wünschen gehörten das bessere Verstehen im Lärm, die Verbesserung der Klangqualität und mehr Hörkomfort. Als Lösungsvorschläge präsentierte Laureyns adäquate Hörgeräte, welche richtig auf Lärm und andere spezifische Hörsituationen reagieren. Weiter postulierte er die Optimierung der offenen Versorgung. Von zentraler Bedeutung sei auch die Frage, was der schwerhörige Mensch besonders gut hören möchte.
Mit diesem Vortrag war die bescheidene Präsenz der Hörgerätehersteller und der Anpassfachleute praktisch zu Ende. Auch in der kleinen Ausstellung war nichts über Hörgeräte zu erfahren.
Dafür zeigte Nokia den Prototypen eines Handys mit Telefonspule. Werbung für Hörgeräte bedeuteten dafür die feuerroten HdO’s von Professor Davydd Stephens, Wales, welcher zum Thema »Was gehört zu einer Tinnitus-Klinik?« aus der Sicht eines Mediziners referierte. Leider konnte er keine anderen Rehabilitations-Maßnahmen als die im deutschsprachigen Raum bekannten empfehlen. Mit dem Tinnitus müsse man leben lernen und die dafür vorhandenen Hilfen wie TRT nutzen.
Mit Dr. Andrew Smith, Ohrenarzt bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Genf, sprach der bestinformierte Fachmann gleich in zwei Vorträgen über: »Schwerhörige Menschen rund um die Welt – WHO-Perspektiven« und »Die 15 ernsthaftesten Gesundheitsprobleme«.
Dr. Smith erklärte, dass gemäß den Erhebungen der WHO die Hörschädigungen zu den 15 ernsthaftesten Gesundheits-Lasten weltweit gezählt würden. Im Durchschnitt seien 4.2 % der Bevölkerung davon betroffen. Auffallend sei die starke Zunahme von 42 Millionen im Jahre 1985 auf 250 Millionen im Jahre 2001. Dazu müssten noch 340 Millionen Menschen mit einer leichteren Schwerhörigkeit gezählt werden. Rund zwei Drittel davon lebten in Entwicklungsländern. Die massive Zunahme stehe im Zusammenhang mit besseren Erhebungsmethoden und der höheren Lebenserwartung.
Nach Auffassung der WHO müsse dem Bereich Gehör wesentlich mehr Beachtung geschenkt werden. Hörbehinderte Menschen würden isoliert und diskriminiert. Allerdings bereiteten die Rehabilitationskosten große Sorgen. Als Beispiel nannte Dr. Smith die U.S.A. Dort beliefen sich diese Kosten 1999 auf 154 bis 186 Billionen U.S.-Dollar, bzw. 2.5 bis 3 % des BIP. Die WHO schätze den Bedarf an Hörgeräten in Entwicklungsländern auf jährlich 30 Millionen. Aktuell würden bloß ungefähr 3 % der Betroffenen versorgt. Das Problem sei nur mit großen gemeinsamen Anstrengungen zu lösen. Der Prävention müsse große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zur großen Allianz zählte der Referent neben der WHO staatliche und private Stellen, Hörgerätehersteller, Verbände und Fachgruppen, Forschungszentren sowie die Organisationen der Hörbehinderten.
Mit dem Einbezug der ätiologischen Erkenntnisse (Bekämpfung der Ursachen), habe sich die WHO zum Ziel gesetzt, die Schwerhörigkeit bis 2010 um 25 % zu reduzieren.
Der unverwüstliche Jerry Reichstein, BEKOL, Israel, hielt einen flammenden Vortrag für die bessere Bekanntmachung von technischen Hilfsmitteln: »Bringe die Botschaft von den technischen Hilfsmitteln zur hörbehinderten Bevölkerung.« Die israelische Selbsthilfeorganisation (Bekol) setze sich auf breiter Ebene ein für die Information über die Möglichkeiten dieser zusätzlichen Hilfsmittel, insbesondere von Höranlagen in öffentlichen Vortragsräumen und für das Fernsehen.
In den meisten osteuropäischen Ländern brachte der politische Systemwechsel auch Veränderungen in der Behindertenarbeit. Die Schwerhörigengruppen lösten sich von den dominierenden Organisationen der Gehörlosen und suchten eine größere Selbstständigkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist sicher Slowenien, wie bei den Berichten von Vida Perc, »Die Gesetze arbeiten nicht selbst«, und Darja Holec, »Welche Hörgeräte soll ich wählen? Mein Arzt sagt: …«, zu hören waren.
Vida Perc orientierte über das im Jahre 1999 geschaffene Gesetz zur Überwindung von Hindernissen bei der Kommunikation. Als praktisches Beispiel erzählte sie die Geschichte von der Renovation des im Jahre 1846 erbauten Slowenisches Nationaltheaters Maribor. Der örtliche Verein verlangte den Einbau einer Höranlage. Trotz vieler Widerstände und schwieriger technischer Probleme funktioniere diese heute zur vollen Zufriedenheit der schwerhörigen Besucher:innen. Es sei gelungen, dem neuen Gesetz Leben einzuhauchen, meinte Vida Perc, als Präsidentin des slowenischen Verbandes, sichtlich stolz.
Darja Holec schilderte die Situation bei der Hörgeräteanpassung. In Slowenien sei die Versorgung mit Hörgeräten meist zu spät erfolgt. Darum sei vor einigen Jahren ein Förderprogramm mit 3 wesentlichen Punkten gestartet worden. Dazu gehörten die kostenlose gesetzliche Beratung, ein Projekt zur Verbesserung des Selbstverständnisses sowie eine Informationskampagne für die Betroffenen und die Gesellschaft. Ziel sei die rechtzeitige, auch binaurale Hörgeräteversorgung. Dazu gehöre auch eine Qualitätssicherung. Die Beiträge für die Hörgeräte seien an strenge Voraussetzungen gebunden.
Zwischen den beiden slowenischen Vorträgen berichtete Selsuo Kauai über die Bemühungen der japanischen Hörbehinderten-Selbsthilfe, bei der Ausarbeitung von Richtlinien für ältere und behinderte Menschen ihre Anliegen einzubringen. Mit den »Guidelines 71« sei es gelungen, die Grundlage für die Anerkennung von hörspezifischen Geräten und Maßnahmen zu schaffen. Erwähnenswert in diesem Workshop ist die engagierte Diskussion, welche trotz Hör- und Sprachproblemen auf japanisch, englisch, mit Gebärdensprache und Schnellschreiber:innen stattfand.
»Rehabilitation für Schwerhörige als Gesamtprodukt«
Als weltweit wohl einzigartiges Konzept schilderte Ase Wralsen das Vorgehen der norwegischen Regierung zur Rehabilitation von hörgeschädigten Kindern und Erwachsenen. Die Minister für Gesundheit und für Soziales präsentierten gemeinsam ein Programm mit klaren Zielsetzungen für hörgeschädigte Menschen und zwar von Geburt an bis in hohe Alter. Als oberstes Ziel gelte die volle Teilnahme am Leben (full participation). Der Plan sei aufgebaut auf Vorschlägen des norwegischen Schwerhörigenverbandes Norges Døveforbund (NDF). Als Ausgangspunkt habe die Frage gedient: »Was braucht der schwerhörige Mensch täglich?« Es gehe darum, neben den technischen Hilfsmitteln auch Hilfen zur Vermeidung der Isolation anzubieten. Als gut könne der Zugang zur Bildung angesehen werden, problematischer sei die Integration im Freizeitbereich. Als wichtig werde die Öffentlichkeitsarbeit für spezifische Anliegen wie Höranlagen in öffentlichen Räumen auf lokaler Ebene angesehen. Betroffene und ihre Organisationen müssten sich dafür einsetzen. Hier spielten die seit 15 Jahren aktiven, selbst betroffenen »hearing helpers«, also Hörhelfer:innen, eine positive Rolle und seien ein Bestandteil des staatlichen Programms geworden. Als positives Nebenprodukt nannte Ase Wralsen die Evaluation des Verbandes durch den norwegischen Staat. Das gute Ergebnis habe viel Lob und große Anerkennung eingebracht.
»Mehr und jüngere Mitglieder in Schweden«. Jan Peter Strömgren, konnte höchst Erfreuliches berichten über die von ihm präsidierte schwedische Schwerhörigen-Selbsthilfeorganisation HRF. Dieser konfessionell und politisch neutralen und nichtstaatlichen Organisation gehörten heute über 35’000 Mitglieder an, das seien über 3’500 mehr als 2001. Der HRF setze sich aus 213 lokalen Clubs zusammen. Alle vier Jahre würden in einer Konferenz das Tätigkeitsprogramm für die nächsten 4 Jahre diskutiert und beschlossen. Durch die engagierte Mitarbeit und die gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen seien hervorragende Ergebnisse erzielt worden. Die erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit in führenden Tageszeitungen habe dem Verband sogar einen Anerkennungspreis eingebracht. Dieser habe wiederum zu einer besseren Präsenz in den Medien allgemein geführt.
»Berufsbildung und Arbeitsmarkt für hörbehinderte Menschen« – Kari Tapiola, ILO International Labour Organization, Genf, bezog seine Ausführungen auf den ILO-Diskriminationsbericht von 2003. Es sei wichtig, einen Arbeitsplatz zu haben, denn damit reduziere sich die Diskriminierung. Behinderte Mitarbeiter:innen würden länger am selben Arbeitsplatz bleiben. Dadurch entstünden mehr Kontinuität und höhere Erfahrungswerte. Gemäß Angaben der WHO seien 7 bis 10 % der Bevölkerung von einer Behinderung betroffen und viele von ihnen arbeitslos. Kari Tapiola forderte darum die Anerkennung der ILO-Standards, insbesondere die Beratung und Förderung der Betroffenen. Die Einhaltung der ILO-Richtlinien sei Aufgabe der nationalen Regierungen und der Arbeitgeber. Dies gelte für industrialisierte Staaten mehr als für Entwicklungsländer. Die Gleichbehandlung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen sei für die ILO ein erklärtes und wichtiges Ziel.
Wie es gemacht werden kann, zeigte Ulla Carl Hendriksen, Castberggård Jobcenter, Dänemark. Sie startete mit der Frage »Können Berufs- und Rehabilitations-Kurse sowie Beratung helfen?« Grund zu dieser Frage sei die schlechte Arbeitssituation der jungen hörgeschädigten Menschen in Dänemark gewesen. Mehr als die Hälfte von ihnen hätten keine Arbeitsstelle gefunden oder diese bereits wieder verloren. Es gehe darum, die Arbeitsplatzsuche zu intensivieren und die Voraussetzungen zu verbessern. Das Jobcenter verfüge über 36 Plätze. Es gehe darum, Bildungsdefizite abzubauen, Fähigkeiten und Kenntnisse zu verbessern, z.B. im Bereich EDV. Am Wichtigsten sei jedoch der Aufbau von Selbstvertrauen und Sozialkompetenz. Das professionelle Team helfe, die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt zu optimieren. Bestandteil sei auch eine bestmögliche Versorgung mit Hörgeräten und weiteren technischen Hilfsmitteln. Die Begleitung und Betreuung gehe über den Arbeitsantritt hinaus. Der Erfolg sei ansprechend, fänden doch 70 % der Absolventen passende Arbeitsplätze.
Ph.D., D.M.Sc. S. Allen Counter, Direktor der Harvard-Stiftung für interkulturelle und ethnische Beziehungen, referierte zu den Themen: »Die medizinische Hilfe für hörgeschädigte Menschen in Entwicklungsländern« und »Hörbehinderung und ihre Konsequenzen für Menschen in Entwicklungsländern«. Der Professor der Harvard Medical School forschte mit einem Team nach den Ursachen von Hörschädigungen und anderen Gebrechen bei den Eskimo’s in Grönland und bei den Quechua’s im Quellgebiet des Amazonas. Bei beiden Völkern seien Hörschäden entstanden durch den Knall der großkalibrigen Jagdgewehre. Bei den Eskimos hätte dies eine ausgeprägte Isolierung im sozialen Bereich sowie ein wesentlich höheres Risiko bei der Jagd von Eisbären zur Folge. Bei den Quechua‘s bestehe zusätzlich die Gefahr von Schädigungen der inneren Organe durch das Einatmen von hochgiftigen Blei- und Quecksilber-Dämpfen bei der Goldgewinnung. Er zeigte Maßnahmen zur Verhütung auf und postulierte eine möglichst rasche Erfassung und Förderung der geschädigten Kinder. Leider stünden dafür viel zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung. Dies sei vor allem bei den hörgeschädigten Kindern der Fall. Allen Counter schlug auch eine Brücke zu »seiner« berühmten Harvard-Universität. Auch diese müsse offener werden für mehr weibliche Studenten und solche mit Behinderungen. Ein besonderes Anliegen sei für ihn, dass Betroffene über ihre Anliegen und den spezifischen Umgang mit ihnen informierten.
»Untertitelung: Rechte, Verantwortlichkeiten und Nutzen«
Die Untertitelung von Fernseh-Sendungen für Schwerhörige und Gehörlose darf man als Erfolgsstory der Europäischen Hörbehinderten-Verbände bezeichnen. Entsprechend war darum das Interesse am Thema während des Kongresses und »Mister Subtitle« Ph.D. Mark Hoda, European Campaigns Officer, Royal National Institute for Deaf People (RNID), England, konnte vor vollen Rängen sprechen. Mit Überzeugung und Begeisterung schilderte er die Bedeutung und den hohen Wert des Videotextes (Schweiz: Teletext) und der Untertitelung für hörgeschädigte Kinder und Erwachsene in Europa. Die Untertitelung sei enorm wichtig für den Zugang zu den Fernseh-Sendungen, insbesondere zu den Informationen. Für hörgeschädigte Menschen trügen sie zur Verbesserung der Sprache bei und ermöglichten auch, Dialoge in anderen Sprachen zu verstehen. Untertitel wären auch bei lärmender Umgebung eine große Hilfe. In Europa hätten über 81.5 Millionen Hörgeschädigte Zugang zu regelmäßig untertitelten Sendungen. In England betrage der Anteil der Nutzer 23 % der Gesamtbevölkerung. Weil die Gesetzgebung in vielen Ländern noch ungenügend sei, müssten die EFHOH und die Landesverbände aktiver werden. Positiv sei die Unterstützung durch das Europäische Parlament. Für Druck sorge auch die EU-Initiative »TV für Alle«, also auch für Sehbehinderte. Positiv wertete Mark Hoda die Aktionen in der Schweiz und das neue Gesetz in Frankreich.
In Japan gebe es ein ehrgeiziges UT-Programm, wusste Tadashi Takaoda zu berichten. Bis ins Jahr 2007 sollen alle Sendungen untertitelt sein. Die Realisierung werde weitgehend vom Staat getragen, im Jahre 2003 waren das 600 Millionen Yen. Die japanischen Hörgeschädigten-Verbände (JFD) hatten erreicht, dass der Alarm bei Katastrophen ebenfalls untertitelt werde.
Während in zahlreichen Ländern Europas bereits Qualitätsstandards für die Hörgeräteanpassung bestehen, fehlt es in den Entwicklungsländern noch am Notwendigsten. So berichteten MD Hisayoshi Ishizaki, Japan, über ein Hilfsprogramm in Indonesien, Jan-Peter Strömgern, Schweden, über ein solches in Laos und Jones Mcekeni über die Entwicklung in Sambia, bei welchem die finnische Schwerhörigen-Organisation Hilfe leistet.
Wenig war aus dem deutschsprachigen Raum Deutschland, Österreich und der Schweiz zu hören. Einzig Dr. Harald Seidler, Präsident des DSB, Barbara Wenk, Präsidentin »Pro Audito Schweiz«, und Pfarrer Siegfried Karg referierten.
Seppo Matinvesi legte als Generalsekretär des zu Ende gehenden Kongresses mit dem Thema: »Eine Vision für die nichtstaatlichen Organisationen« seine Sicht der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben von zivilen Organisationen dar. Er erläuterte die Entwicklung während der letzten Jahrzehnte etwas ausführlich und so fehlte ihm am Schluss die Zeit, um eingehender auf die Aufgaben der IFHOH und der ihm weltweit angehörenden Schwerhörigenverbände einzugehen. Im Vordergrund stehe die Gleichberechtigung und die volle Teilnahme in allen Lebensbereichen. Um dies zu erreichen, brauche es starke und aktive lokale, nationale und internationale zivile Organisationen. Unabdingbar sei eine enge Vernetzung innerhalb der IFHOH, weiter müssten die Schwerhörigen anerkannte Partner in nationalen und internationalen Behindertenverbänden werden. Als Drittes gelte es, die für die Aktivitäten notwendigen Mittel zu finden. Das wichtigste Thema der IFHOH sei und bleibe der Zugang zur Kommunikation. Mit diesem gescheiten und auch spannenden Referat schloss Matinvesi den Reigen der Vorstellungen internationaler Organisationen und deren Ziele.
Leider kamen die Wege zu deren Umsetzung für den Alltag und für die Betroffenen eindeutig zu kurz. Doch gerade bei einer solchen Veranstaltung von, für und mit schwerhörigen Menschen sollten praxisnahe Themen nicht zu kurz kommen. Dies um so mehr, als die IFHOH-Kongresse nur alle 4 Jahre stattfinden. So kamen nach Ansicht des Berichterstatters die Entwicklungen in den Bereichen Hörgeräte und der Hörgeräteanpassung zu kurz. Die Hörgerätehersteller fehlten sowohl bei den Referaten wie auch in der Ausstellung. Vielleicht nutzen sie diese Plattform besser im Jahre 2008 in Vancouver, Kanada.
Das finnische Organisationskomitee hat gute Arbeit geleistet. Die Besucher:innen wurden freundlich und aufmerksam empfangen, für Auskünfte gab es sprachgewandte Damen und eine ganze Reihe von Internetstationen standen zur Verfügung. Die Rahmenveranstaltungen wie die Willkommensparty, der Empfang bei der Stadtpräsidentin von Helsinki sowie das Bankett boten gute Möglichkeiten für Kontakte und Gespräche. Dass bei allen Anlässen auf musikalische Berieselung verzichtet wurde, war selbst für Normalhörende eine Wohltat.
Autor: Werner Bütikofer