Im Gespräch: Thomas Riedelsheimer (To be Insider in 10 Minute n)

Im Gespräch:
Thomas Riedelsheimer

In unserer letzten Ausgabe stellte Anja Werner die beim Filmfestival Locarno 2004 viel beachtete Novität »Touch the Sound« um die Schlagzeugerin Evelyn Glennie vor. Und sprach mit dem Filmemacher Thomas Riedelsheimer über Motivation, Entstehungsgeschichte und Hintergründe zu diesem Streifen – hier nun das Interview (Red.).

Hörakustik: Herr Riedelsheimer, wie kam die Idee zustande, einen Film mit Evelyn Glennie zu drehen?

Riedelsheimer: Ich hatte für meinen letzten Film »Rivers and Tides« ein Marimba-Stück von Evelyn als Layout-Musik benutzt. Dieses Stück hat mich lange nicht mehr losgelassen. Dazu kam, dass mich meine Begegnung mit Fred Frith, dem Komponisten von Rivers and Tides, sehr inspiriert hat, einmal über Musik im weitesten Sinne als Filmthema nachzudenken. Diese beiden Dinge kamen zusammen und dann habe ich Evelyn bei einem Konzert kennen gelernt. Nach dieser beeindruckenden Begegnung war meine Entscheidung endgültig klar.

Hörakustik: Wie entstand der erste Kontakt mit Ihren beiden Hauptdarstellern?

Riedelsheimer: Fred kannte ich, wie gesagt, schon durch die Arbeit an meinem letzten Film. Evelyn habe ich über ihre Agentur kontaktiert. Dann bin ich einfach zu einem Konzert gefahren und habe sie hinterher getroffen.

Hörakustik: Wie reagierten Ihre Hauptdarsteller auf die Idee, einen Film mit Ihnen zu machen?

Riedelsheimer: Evelyn ist eine sehr umgängliche Person ohne irgendwelche Allüren. Aber sie weiß sehr genau, was sie will. Nachdem ich ihr relativ schnell erklären konnte, dass ich keine Reportage oder ein Portrait im üblichen Sinn machen wollte, stimmte sie schnell zu. Entscheidend war vielleicht auch, dass sie im Vorfeld in Hamburg bei einer Kinopremiere von »Rivers and Tides« war und meine Art zu arbeiten sehen konnte. Ich glaube, dass wir uns auch einfach gegenseitig sympathisch waren.

Fred war von der Idee, mit Evelyn zu improvisieren, sofort begeistert. Er liebt alle Experimente und die Unwägbarkeit einer solchen Unternehmung.

Hörakustik: Inwieweit waren die Darsteller in die Dreharbeiten involviert?

Riedelsheimer: Das Hauptproblem lag in Evelyns übervollem Terminkalender. Sie gibt über 100 Konzerte im Jahr und ist eigentlich fast ständig auf Achse. Daher war ein Teil des Konzeptes, sie dort aufzusuchen, wo sie sowieso ist. Das heißt, New York oder Santa Cruz waren nicht unsere Idee, sondern wir waren dort, weil Evelyn da auf Tour war. Allerdings habe ich dann die freien Tage mit ihr gestaltet und sie war sehr kooperativ. Der Dreh im New Yorker Hauptbahnhof oder im Guggenheim Museum war also meine Idee, weil diese Orte eine spezielle Akustik haben oder eine besondere Assoziation in mir wecken. Evelyn war immer gerne bereit, sich auf diese Ideen einzulassen, auch wenn es manchmal nicht einfach war. Die Polizei in der Grand Central Station fand die Idee mit der Snare Drum nämlich gar nicht gut…

Hörakustik: Erst nach ca. 30 Minuten erfährt der Zuschauer, dass Frau Glennie zu 80 % nichts mehr hört. Warum lassen Sie sich solange Zeit damit?

Riedelsheimer: Ich wollte keinen Film machen über eine »Behinderte«, die es »geschafft« hat. Meine Vorstellung war, dass Evelyn’s Behinderung thematisiert wird, weil es dem Thema des Films gerecht wird (Ton als fühlbare Schwingung, als »Berührung«). Dann soll man ihre Hörbehinderung aber auch wieder vergessen können. Ich wollte Evelyn nie über ihre »Behinderung« definieren. Sie ist eine faszinierende Frau und eine großartige Musikerin mit sehr speziellen Fähigkeiten und Ansichten, das ist das Entscheidende.

Hörakustik: Sie arrangierten ein Treffen zwischen Glennie und Fred Frith zu einer Jam-Session. Welche Absicht steckte hinter diesem arrangierten Zusammentreffen?

Riedelsheimer: Ich wollte weder einen Musik-, noch einen Konzert-Film machen. Die kleinen Begegnungen und Improvisationen am Rande der großen Konzerte mit klassischen Orchestern haben mich viel mehr interessiert. Es ging mir nicht um die notierte Musik der modernen Komponisten, ich wollte Klang und Rhythmus im weitesten Sinne erfahrbar machen. Evelyn ist weltbekannt für ihre Konzerte als Solo-Percussionistin mit großen Dirigenten und Orchestern – momentan aber ist sie fasziniert von der Improvisation, die ihr bis vor kurzem fremd war. Fred ist ein Meister der Improvisation. Diese Beiden zusammen spielen zu lassen, ohne Plan aber mit vielen Möglichkeiten in einem großartigen Raum, war eine wunderschöne Möglichkeit.

Hörakustik: Sie drehen in verschiedenen Ländern – Japan, Amerika, Deutschland und Schottland. Die Japan-Szene, in der Frau Glennie in der Bar nach Dosen, Gläser und Flaschen sowie Essstäbchen fragt und dann auch noch so wundervolle Töne beim Spielen herausbringt, hat mich besonders fasziniert. Welches Land und welche damit verbundene Erinnerung haben bei Ihnen Eindrücke hinterlassen?

Riedelsheimer: Jede Stadt klingt anders. Im Sommer in New York war vor allem das Wummern, Scheppern und Blasen der Klimaanlagen in den Häuserschluchten kennzeichnend. In Tokyo war es die schwer erträgliche Omnipräsenz der menschlichen Stimmen. Ansager, Marktschreier, Verkäufer, digital verzerrt und verstärkt dröhnen aus jedem noch so kleinen Geschäft. Nie habe ich den Gegensatz, von extremer Lautstärke und Stille stärker empfunden. Wenn man einige Jahre an so einem Filmprojekt arbeitet, wird man sensibel für die Unterschiede und beginnt auch auf die Fußböden der Flughäfen zu achten, die das rhythmische Klacken der Kofferrollen sehr unterschiedlich wiedergeben – ob sich darüber ein Architekt im Vorfeld Gedanken macht?

Hörakustik: Was möchten Sie mit diesem Film aussagen?

Riedelsheimer: Ich möchte in erster Linie ein sinnliches Erlebnis bieten. Ich möchte weniger etwas sagen als etwas spür- und erfahrbar machen. Wenn man nach diesem Film mit der Straßenbahn nach Hause fährt und bewusst auf das Rattern der Räder achtet oder bewusst den schönen Klingelton des Fahrkartenentwerters genießt – dann ist doch schon viel erreicht. Töne sind was schönes, was geheimnisvolles mit einem großartigen Eigenleben. Vielleicht geht es mir einfach um Bewusstheit. Darum, Dinge bewusster wahrzunehmen.

Hörakustik: Wie gestaltete sich der Prozess, die Musik und die Bilder in Einklang zu bringen?

Riedelsheimer: Das waren reine »Bauchentscheidungen«, die beim Schnitt gefallen sind. Es gab immer Bilder, die ich unbedingt haben wollte, aber in welchen akustischen Kontext ich sie stellen würde, war mir beim Drehen selten klar. Vieles davon ist auch eine optische Improvisation.

Hörakustik: Als ich aus dem Kino kam, habe ich die Klänge der Stadt anders wahrgenommen. Man verschließt, glaube ich, automatisch die Ohren. Wollten Sie dies mit Ihrem Film bezwecken, dass man mit offenen Ohren durch die Welt läuft?

Riedelsheimer: Oh ja.

Autorin: Anja Werner

 

 

Autor: Thomas Keck

Thomas Keck ist durch seinen Beruf als Hörsystemakustiker bestens mit der Präzision und Sorgfalt vertraut, die sowohl für die technische Arbeit als auch für den direkten Kundenkontakt erforderlich sind. Sein Werdegang zeugt von einer kontinuierlichen Entwicklung und einem hohen Maß an Fachwissen, unterstrichen durch den Meisterbrief und die Selbstständigkeit. Er verfolgt seine Interessen mit Leidenschaft und widmet sich einer Vielzahl von Aktivitäten, von Musik über die Beschäftigung mit Oldtimern bis hin zur Werteschätzung der Bibel. Thomas bewundert Menschen, die in ihrem Feld Spitzenleistungen erbringen, wie diverse Musiker und Schauspieler. Dies deutet auf eine hohe Wertschätzung für Expertise und handwerkliches Können hin.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert