Das «Haus der Musik» in Wien (To be Insider in 12 Minute n)

Ein volles Haus ganz Ohr

Eigentlich bin ich auf Urlaub in Wien. Doch wieder einmal drifte ich von meinem Weg ab, der mich in eines der netten Kaffeehäuser der Stadt hätte führen können. Sehenswürdigkeiten warten auf mich, doch ich lande im »Haus der Musik«. »Für die, die schon alles gesehen haben« steht am Eingang.

Wo Hören anfängt…

Das Haus der Musik bietet eine Reise ins Innere des Klangs. In der Sonosphere (von lat. sonus »Laut, Schall, Klang«) betrete ich die geheimnisvolle Welt der Klangphänomene. »Pränatales Sinnesrauschen« verschafft mir eine Idee davon, wie das Hören im Mutterleib beginnt. An der Wand lese ich die Verben »vibrieren – fühlen – schwingen – pulsieren – fließen – einhüllen« auf einem fortlaufenden Band und spüre gleichzeitig über meine Füße die Vibration. Es pulsiert auch über die quaderförmige Bank, auf der ich sitze, und über die Halbkugel in der Mitte des abgedunkelten Raumes, die ich mit meinen Händen betaste. »Luft vibriert, strömt aus der Stille, schafft Raum« steht an der Wand. So kann der Besucher des Hauses durch die Verarbeitung von Originalaufnahmen aus der Pränataldiagnostik noch einmal sein erstes Hörerlebnis wanmehmen – und zwar nicht nur akustisch.

»Das akustische Atom« oder »Verschobene Wahrnehmung«

Nach einer Weile verabschiede ich mich aus dem Embryo-Dasein und der Weg des Schalls vom Außenohr über Mittelohr, Basilarmembran, Cortisches Organ, Innenohr bishin zu den Synapsen führt mich ins Wahrnehmungslabor. Dort erwarten mich die unterschiedlichsten Phänomene des Hörens: Die »Shepard-Skala« will mir die Unendlichkeit der Töne beweisen und schickt mich auf eine kleine Wahrnehmungs-Reise. Während ich mit Kopfhörern an einem der Bildschirme stehe, lasse ich mir nacheinander die Töne der chromatischen Tonleiter vorspielen, bis die letzten das menschliche Hörvermögen übersteigen. Dann wechsle ich zur Shepard-Skala, benannt nach ihrem Erfinder Roger Shepard, einem amerikanischen Psychologen, der dieses psychoakustische Phänomen 1964 entwickelte.

Auf meinem Bildschirm sehe ich eine Spirale, die sich immer weiter nach hinten dreht, so wie die Töne, die ich höre, immer weiter anzusteigen scheinen. Wissend um die Tatsache, dass ich einer akustischen Täuschung aufsitze, höre ich genau hin und entdecke mehrere Töne, die parallel abgespielt werden. Wie sich später herausstellt, sind es vier Tonleitern, die gleichzeitig zu hören sind, allerdings mit unterschiedlichem Gewicht im Gesamtklang. Die jeweils nächste Tonleiter beginnt sehr leise und wird im Verlauf kontinuierlich lauter, bis sie wieder von der nächsten abgelöst wird, sodass ein Gefühl der Unendlichkeit entsteht.

Ein welteres psychoakustisches Phanomen spielt mit der Zeit. Die 4. Dimension kann sehr verwirrend werden, so die Stimme durch den Kopfhörer, wenn »Zeitdehnung dich sprachunfähig macht«. Während ich also in das Mikrophon spreche und mich auf die am Bildschirm aufleuchtenden Zahlen konzentriere, dehne ich mit dem Joystick die Zeit. So verlangert sich die Dauer zwischen dem Aussprechen der Zahlen und dem Hören meiner Stimme bis zu 5 Sekunden.
Auch den Raum kann ich im Wahrnehmungs-Labor erforschen. Mithilfe eines Joysticks werden Distanz und damit Intensität der erzeugten Klänge variert. Sinus, Violine und Kuh stehen dabei als »Instrumente« zur Verfügung.

Wie kommt der Ton aus der Flöte?

Weit größere Exemplare derselben sind im Instrumentarium zu finden. Vier Rieseninstrumente vertreten die 4 Instrumentengruppen: Membran, Resonanzplatte, Saite und Luftsäule. Sie lassen einen trotz ihrer ungewohnten Form und Größe an die altbekannten Musikinstrumente denken, die ihren Klang genau so erzeugen: die Flöte mithilfe der Luftsäule, die Pauke über ihre Membran und den Resonanzkörper und die Gitarre als Saiteninstrument, ebenfalls mit Resonanzkörper. Auch das Klavier ist im Grunde ein Saiteninstrument – eines mit Tasten, dessen Töne mit Hilfe einer Resonanzplatte verstärkt werden. Und um die Frage nach der Flöte zu beantworten: Der Ton entsteht durch den Luftstrom beim Anblasen des Instruments, denn der regt die Luftsäule in der Flöte zu Eigenschwingung an.

Mehr Stimmen im Stimmenmeer

Mit was könnte man besser »Musik machen« als mit der eigenen Stimme? Sie ist unser Ur-Instrument und kann mehr, als man gemeinhin ahnt.
Unsere Sprache setzt sich aus Konsonanten und Vokalen zusammen, wobei man in beiden Fällen je nach Artikulations-Art und -Ort weiter differenziert: So sind Vokale hoch, mittel oder tief, werden vorn, zentral oder hinten gebildet, bei offener oder geschlossener Lippenstellung. Bei den Konsonanten spricht man von Plosiven (p, t, k, b, d, g), Nasalen (m, n), Frikativen (f, v, s, z, etc.), von Affrikata (pf, ts, etc.) und Lateralen (I). Sie können stimmlos oder stimmhaft sein, bilabial, labiodental, alveolar, palatal, velar, laryngal oder uvular gebildet werden. Ich denke, spätestens an diesem Punkt ist es genug mit linguistischen Ausführungen. Aber warum das Ganze? Es ist die große Vielfalt der Stimme, die im Stimmenmeer dargestellt wird. Resonanzräume spielen auch bei der Stimmerzeugung eine wichtige Rolle: Gaumen-, Mund- und Stirnhöhlen fungieren ähnlich wie der Hohlraum einer Pauke oder Gitarre. Wie bei der Flöte ist auch bei unserem ganz persönlichen »Instrument« die Luftzufuhr wichtig für die Klangerzeugung.

Raumklang perfektioniert

Nun weiter in der Sonosphere zum »Erlebnis Raumklang«. Im Polyphonium erlebe ich perfekten Raumklang: 10’000 Watt, 30 Highend-Kevlarspeaker, 2 Subwoofer, 24 Bit / 192 kHz Wiedergabe und 7.1 Surround sorgen für ein vollkommenes Hörerlebnis, wovon so mancher Klang-Fan in seinem Wohnzimmer nur träumen kann…

»Hörst du die Regenwürmer husten..?«

Nicht gerade Regenwürmer wie in dem bekannten Kinderlied, aber Menschen kann man in der »Klanggalerie« husten hören. Und nicht nur das: Sie schnäuzen und räuspern sich, atmen, schlucken, tja… und sie furzen sogar ins Mikrophon – Gott sei Dank nur, wenn man sein Ohr an den entsprechenden Lautsprecher hält, und diesmal ohne multisensorische Wahrnehmung, dem Himmel sei Dank.
Als »Sammelbecken und Kaleidoskop der Klänge« höre ich einen Affen in einer Raumkapsel, künstliche Signale, sogar Jupiter, Neptun und den Schwingungskörper Sonne. Apollo 13 startet, hat ihren Erstkontakt mit dem Mond und kehrt in meinen Ohren zurück. Ich höre Meteoritenschwärme und Lichtstürme. Dann halte ich meinen Kopf in eine der Halbkugeln, die in der Wand versenkt sind. Plötzlich bin ich in einer U-Bahn in Tokyo, andere Halbkugeln bringen mich an den Broadway, in ein türkisches Bergdorf oder auf die Piazza San Marco nach Venedig.

Die Klanggalerie bietet zudem die Möglichkeit, einzelne Geräusche und Klänge der 4 Hörperspektiven mit bekannten Melodien und der eigenen Stimme zu mixen. Die Kreation aus Klängen des Mikro- und Makro-Kosmos sowie aus der Umwelt und dem menschlichen Körper kann dann mit Hilfe der »Evolution Machine« auf einer CD verewigt werden.

Die großen Meister

Bis ich wieder selbst tätig werden darf, folge ich einem Audio-Guide durch die Geschichte der Wiener Musiktradition. Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Strauß, Mahler und die Zweite Wiener Schule mit Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern finden dort ein ehrwürdiges Plätzchen im Rahmen historischer Dokumente, nebst Werken, Bildern, Kostümen, Instrumenten und Filmen.
Dann schlüpfe ich in die Rolle der »Virtuellen Dirigentin«, stehe mit meinem Taktstock vor einer Leinwand und gebe den original Wiener Philharmonikern höchstselbst den Takt an. Sie »gehorchen auf den Schlag« und spielen sowohl den Radetzkymarsch, als auch die Kleine Nachtmusik, die Annen-Polka und »An der schönen blauen Donau« ganz in meinem Tempo. Könnte allerdings passieren, dass einer der Musiker nach einiger Zeit des Machtmissbrauches meinerseits durch beispielsweise seeehr laaangsaaames oder total arrhythmisches Dirigieren verärgert aufsteht, um mich zu fragen, ob ich denn irgendeine Ahnung von meinem Beruf und das Stück schon jemals im Original gehört hätte…

Zurück in die Zukunft

Die »Futuresphere« erlaubt mir einen musikalischen Spaziergang durch den »Mind Forest«. Dort kann jeder Musik machen, denn die Hyperinstrumente werden durch Bewegung und Berührung gespielt, aber auch durch Sprechen, Singen und Gebärden. An einem der Touch-Screens fühle ich den Klang mit meinen Händen, während der »Rhythm tree« nur Töne von sich gibt, wenn ich auf seine »Gummibeulen« schlage. An diesem außergewöhnlichen Schlaginstrument können auch mehrere Besucher gleichzeitig »musizieren«.
Der »Sensor chair« reagiert ebenfalls auf meine Bewegungen. Je nach Lage, Haltung und Bewegung meiner Hände höre ich Tierstimmen, Operngesang und andere Geräusche.

Doch auch angehende Komponisten kommen auf ihre Kosten. Während sie im Eingangsbereich des Hauses per Würfel ihren persönlichen Wiener Walzer komponieren können, zeigt die »Brain Opera« die neuesten Entwicklungen des Massachussetts Institute of Technology (MIT). So werden alle Klänge, die im Mind Forest erzeugt wurden, gespeichert und verschmelzen im »Future Music Blender« zu neuen Klangwelten.

Das »Haus der Musik« in der Musikstadt Wien hat sich auf alle Fälle gelohnt – nicht nur für die Ohren. Und genug Zeit für die Kaffeehäuser blieb dennoch…

Autorin: Katrin Barthel

 

 

Autor: Thomas Keck

Thomas Keck ist durch seinen Beruf als Hörsystemakustiker bestens mit der Präzision und Sorgfalt vertraut, die sowohl für die technische Arbeit als auch für den direkten Kundenkontakt erforderlich sind. Sein Werdegang zeugt von einer kontinuierlichen Entwicklung und einem hohen Maß an Fachwissen, unterstrichen durch den Meisterbrief und die Selbstständigkeit. Er verfolgt seine Interessen mit Leidenschaft und widmet sich einer Vielzahl von Aktivitäten, von Musik über die Beschäftigung mit Oldtimern bis hin zur Werteschätzung der Bibel. Thomas bewundert Menschen, die in ihrem Feld Spitzenleistungen erbringen, wie diverse Musiker und Schauspieler. Dies deutet auf eine hohe Wertschätzung für Expertise und handwerkliches Können hin.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert