Vom Rauschen der Banknoten und gefühlvollen Opern-Arien
Hamburg, im November 2004 – Kleine Gala in der Laeiszhalle, dem einzigen Hamburger Konzerthaus am Johannes-Brahms-Platz: Zum dritten Mal verlieh nach 2002 und 2003 das Forum Besser Hören hinter der Neobarock-Fassade im [früheren] Brahms-Foyer seinen »Helix 2004«. Nach Udo Jürgens und Mario Adorf erhielt mit Anna Maria Kaufmann zum ersten Mal eine Frau die Auszeichnung für außergewöhnliche Verdienste um das »Erlebnis Hören«. »Die Musik der Opern- und Musical-Sängerin macht das Zu-hören zu einem intensiven akustischen Erlebnis besonderer Art.« Mit diesen Worten begründete das Forum Besser Hören seine Entscheidung. Stefan Paurat, Geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes der Hörsysteme-Industrie:
»Die Stimme von Anna Maria Kaufmann ist unverwechselbar und lässt niemanden unberührt. Außerdem hat es die Künstlerin in seltener Weise geschafft, sich ein Publikum aufzubauen, das die Altersgrenzen überwindet.«
Der Helix (griech. Helikon, hélios = Windung, Spirale), das goldglänzende Objekt im Statuetten-Format (ca. 60 cm hoch), führt symbolische Hörströme in einzelnen Strängen aus einer (Hör-)Quelle zu einem (Hör-)Punkt zusammen. Der Helix symbolisiert so, dass Hören nicht nur die Aufnahme einzelner Geräusche ist, sondern die Zusammenführung vieler Ton-Details zu einem Hörerlebnis. Natürlich ist (Branchen-)Insidern klar, dass das Erlebnis, das Erleben, ein »im Bewusstsein ablaufender, unmittelbarer Vorgang ist, der letztlich die Grundbestandteile des Bewusstseins liefert und so konstitutiv zum Ich wird«. Für die meisten Menschen aber ist das Hören immer noch eine allzu selbstverständliche Angelegenheit. Darum soll die Verleihung des Helix nach »draußen« wirken, auf die Bedeutung guten Hörens hinweisen und schlecht Hörende dazu anregen, gegebenenfalls mit Hörgeräten etwas für ihr Wohlbefinden zu tun.
So war es denn auch nicht weiter erstaunlich, dass es sich Entscheider der Branche nicht nehmen ließen, der Verleihung beizuwohnen. Gesichtet wurden u.a. Marianne Frickel, Inge Steinl, Hannelore Hartmann, Volker Burmeister und Andreas Blöß von der Akademie der Hörakustik, Stefan Paurat, Gerhard Hillig, Peter David Schaade (Phonak), Torben Lindø (Oticon), Klaus-Peter Lipfert (Bernafon), Ulrike Buchweitz (Starkey), Wilhelm Evers (SIEMENS Audiologische Technik), Uwe Fischer (Hansaton), Jürgen und Ute Rombkowsky, Rainer Hüls, Heike Nörenberg und Jürgen Matthies. (Die Reihenfolge der genannten Gäste stellt keine Rangfolge dar, sondern floss dem Chronisten so aus der Feder.) Dazu wurden Presse– und Rundfunk-Vertreter, ein mit Hörgeräten versorgter Bundestagsabgeordneter a.D. und diverse Persönlichkeiten der Hamburger Wirtschaft, Dr. Regina Wick und Dr. Günter Höglinger von dem Peter Hofmann – Parkinson-Forschungsprojekt der Philipps-Universität Marburg registriert.
Die bemerkenswerte Laudatio auf Anna Maria Kaufmann (60) aber hielt der Hamburger Mäzen und Kunstförderer Jürgen Hunke:
Anna Maria Kaufmann erhält den Helix 2004 aus Respekt vor den außergewöhnlichen Hörerlebnissen, die sie einem breiten Publikum verschafft hat. Nun lassen sich außergewöhnliche Hörerlebnisse keineswegs nur durch Musik herstellen. Es mag darüber hinaus sicherlich auch Menschen geben, die Musik wenig abgewinnen können und die durch das Ruckeln ihrer Kaffeemaschine oder das Rauschen ihrer Banknoten sehr viel mehr animiert werden. Auch Liebesbeteuerungen oder Lobreden sind akustische Erlebnisse, die mit Musik zu konkurrieren vermögen. Trotzdem glaube ich, dass der Musik eine besondere Magie innewohnt, die uns anders und intensiver hinhören lässt. Dies hat vielleicht damit zu tun, dass sie Gefühle und Stimmungen ausdrücken kann, die sich mit Worten allein nicht sagen lassen. Seit Anna Maria Kaufmann auch im Vorprogramm von Fußball-Länderspielen auftritt und dort unsere Nationalhymne singt, kann man in ihr sogar die Stimme der Nation sehen. Von ihr ist der Ausspruch überliefert, dass sich die Mentalität eines Volkes in seiner Hymne widerspiegelt.
Fazit der Veranstaltung, gezogen von Peter David Schaade: »Es war eine gute idee, den Helix-Preis ins Leben gerufen zu haben. Die weit über die Grenzen hinaus bekannten Sympathie – und Preisträger sind für das Hören gute Leitfiguren, die unser Anliegen in der Gesellschaft direkt und indirekt kommunizieren.«
Autor: Thomas Glaue
Anna Maria Kaufmann im Gespräch
Ein gutes Gehör ist ein großes Geschenk!
A. M. Kaufmann
Auf über 20 Jahre Karriere blickt sie zurück: Anna Maria Kaufmann. Das hochbegabte Mädchen mit Cinderella– Träumen wandelte sich zu einer der vielseitigsten Sopranstimmen unserer Zeit: Musical-Star, Opern-Sängerin und viel beachtete Crossover-Interpretin. In Kanada geboren, begann ihre musikalische Ausbildung an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf. Parallel dazu kam eine Ballettausbildung sowie Schauspiel-Unterricht. Mit der weiblichen Hauptrolle der »Christine [Daaé]« im Musical-Hit »Phantom der Oper« gelang ihr 1990 in Hamburg an der Seite von Peter Hofmann der Karrieredurchbruch. In über 500 Vorstellungen eroberte sie sich ein Millionenpublikum. Sie erhielt die »Goldene Europa« der ARD und den »Goldenen Löwen« von Radio Luxembourg (RTL-Gruppe). 2002 wurde ihr der Classic Award von Radio Regenbogen verliehen, ein Preis, den u.a. auch Montserrat Caballé erhielt und der zu den höchsten Auszeichnungen im Bereich Klassik zählt.
Hörakustik: Das Publikum möchte in den von ihm verehrten und bewunderten Stars nicht nur die Bühnenfiguren sehen, sondern auch die Menschen dahinter. In Ihren offiziellen Biografien aber kann man kaum etwas Persönliches entdecken…
Anna Maria Kaufmann: Das können wir gerne nachholen. Ich bin in Edmonton in der kanadischen Provinz Alberta geboren, der Erdöl-Hauptstadt Kanadas. Darum ist Alberta eine reiche Provinz ohne Schulden. In der Nachbarstadt Calgary mit der berühmten Stampede und den kleineren Rodeos überall hat Alberta so eine Western-Atmosphäre wie Texas oder die argentinische Pampa, wo die Evita herkommt, die ich gerade in Bremen spiele. Da habe ich gute Vergleichsmöglichkeiten.
Hörakustik: Woher kamen Ihre Eltern?
Anna Maria Kaufmann: Mein Vater ist deutscher Abstammung, aber auch schon in Kanada geboren. Er hatte zwölf Geschwister – ich nur drei – er wurde Offizier im Zweiten Weltkrieg, geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft, danach hat er in den U.S.A. Landwirtschaft studiert und in Wisconsin promoviert, wo er auch meine Mutter kennen lernte.
Hörakustik: Was kam bei Ihnen nach Edmonton?
Anna Maria Kaufmann: Aufgewachsen bin ich in dem Dorf Lacombe – das liegt zwischen Edmonton und Calgary – genannt nach einem Priester, der sich um die Trans Canada – Eisenbahn verdient gemacht hat. Nach der Highschool dort bin ich nach Montreal gegangen, auf ein französisches College. Da wollte ich Sprachen lernen. Ich war etwas unsicher, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Aber schon in meinem Dorf habe ich immer Gitarre gespielt, um dazu singen zu können. Wenn es in der Schule eine Veranstaltung gab, wollte ich auf der Bühne stehen und die Leute unterhalten. Aber in Lacombe war mir nicht klar, dass ich das auch als Beruf wählen könnte. Niemand hat dort jemals so etwas gemacht. Ich musste erst nach Deutschland kommen (1982), um meinen Beruf und mich zu finden. Ich bin also über einen Umweg dazu gekommen. Es ist ein wenig wie die Geschichte von Cinderella. Die einzige Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen, war als Au Pair – Mädchen, da ich kein Geld hatte. Ich arbeitete dann ein halbes Jahr in einer Familie, dann empfahl man mir, in eine Hotelfachschule zu gehen.
Hörakustik: Von Ihren Eltern kam keine Unterstützung?
Anna Maria Kaufmann: Sie haben mir geholfen, soweit sie konnten. Aber ich wollte meinen Weg alleine gehen, und ich wollte ganz sicher nicht zurück nach Lacombe. Die Hotelfachschule hatte eine Band, in der ich dann als »Star aus Kanada« auftrat. Der Lehrer, der die Band leitete, meinte, ich müsste meine Stimme ausbilden lassen. Dann ging es weiter, ich wurde in Düsseldorf in die Musik-Hochschule aufgenommen.
Hörakustik: War es also eher ein Zufall, dass Sie zur Musik kamen?
Anna Maria Kaufmann: Ja und nein, mein heutiger Beruf ist sicher kein Zufall, aber der Weg dorthin lief über zufällige Pfade. Und ich habe den Weg gefunden. Das ist auch das Wichtigste, was ich immer wieder sage: Wenn man einen Traum hat, dann muss man auch versuchen, ihn zu realisieren.
Hörakustik: Etwas ganz anderes: Wie wichtig ist für Sie das Hören und: Haben Sie das absolute Gehör?
Anna Maria Kaufmann: Manche sagen, ich hätte es. Ich kann das nicht nachempfinden. Das Hören ist für mich außerordentlich wichtig. Könnte ich nicht hören, könnte ich auch nicht singen. Ich weiß, ein gutes Gehör ist ein großes Geschenk. Ich habe eine 18-jährige Nichte, die nach einer Krankheit ertaubte. Ich weiß also beim Stichwort Schwerhörigkeit, worum es geht.
Hörakustik: Warum wollen Sie Ihr Helix-Preisgeld einem Parkinson-Forschungsprojekt stiften?
Anna Maria Kaufmann: Ich bekomme den Preis in Hamburg, und mein Bezug zu Hamburg ist das »Phantom der Oper«. In diesem Musical habe ich nicht weit von hier mit Peter Hofmann gespielt und gesungen Ihn haben viele, viele Menschen gehört. Und ich habe ihm einen Großteil meiner Karriere zu verdanken. Aber Peter Hofmann ist erkrankt, an dieser schrecklichen Parkinson-Krankheit. So habe ich die Möglichkeit, ihm und anderen zu helfen.
Hörakustik: Betrachten Sie sich eher als Sängerin oder als Schauspielerin?
Anna Maria Kaufmann: Ich bin eine Sängerin, die als Grundlage auch das Schauspiel hat. Das Wichtige ist, dass ich, wenn ich singe, auch mit schauspielerischen Mitteln zusätzlich etwas ausdrücken kann.
Hörakustik: Ist so auch Ihre Show »Private Moments« zu verstehen, mit der Sie durch Deutschland ziehen? Die musikalische Reise durch Ihr Leben basiert ja auf einem klassischen Konzertformat, das einer modernen Inszenierung folgt…
Anna Maria Kaufmann: Ja, da wechseln schauspielerische Elemente mit Bild-Projektionen ab, die Lichtregie unterstützt meinen Auftritt, ich stelle vergangene Bühnenrollen dar und bin auf den Brettern auch wieder die Privatperson. Ich singe Opern-Arien, Musicalhits und meine Lieblingslieder. Übrigens: Im April 2005 gastiere ich mit dieser Show auch in Hamburg in der Musikhalle.
Hörakustik: Ihre liebste Rolle?
Anna Maria Kaufmann: Ich finde es toll, wenn ich eine starke Persönlichkeit verkörpern kann, wie z.B. die Evita. Die Proben dazu finden ja gerade in Bremen statt. Ich kann da viele Parallelen zu meinem Leben entdecken.
Hörakustik: Sind Sie gerne in Deutschland?
Anna Maria Kaufmann: Ich habe mich in Deutschland gefunden. Das was ich bin, bin ich in Deutschland geworden. Ich bin auch gerne in meiner Heimat in Kanada. Aber was ich an Deutschland liebe, ist die Kultur. Für mich ist die Geschichte mit Hitler Vergangenheit. Man darf sie nicht vergessen. Jetzt soll man daran denken, was vor Hitler war und was danach kam, wie sich das Land an den eigenen Haaren aus dem Chaos zog und jetzt die Wiedervereinigung bewältigte. Das alles ist schon wundersam.
Hörakustik: Eine letzte Frage: Mein Chefredakteur, der ein passionierter Opernliebhaber und professioneller Kritiker ist, meinte, ich sollte Sie fragen, warum Sie zum Teufel mit Ihrer Stimme nicht mehr Opern singen…
Anna Maria Kaufmann: Dann möge er doch Ende Februar 2005 ins Staatstheater nach Darmstadt kommen. Da singe ich in La Traviata…
Hörakustik: Viel Glück und Erfolg und vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Thomas Glaue