»Lerne klagen, ohne zu leiden…«
Rüdiger Nehberg, vielen bekannt als »SIR VIVAL®«, d e r Survival-Trainer Deutschlands, kam im Dezember 2003 […] ins DAI Heidelberg – Deutsch-Amerikanisches-Institut. Sein Dia-Vortrag mit dem Thema »Querschnitt durch ein aufregendes Leben!« versprach schon viel, aber das Programm, das er absolvierte, war dann, vor allem für eine junge Journalistin mit gehöriger Wissbegier, ein einmaliges Erlebnis.
Ein Eigenbrödler?
Rüdiger Nehberg ist ein Mann, bei dem man angesichts seiner Vita vermuten könnte, er sei vielleicht ein menschenscheuer Einzelgänger, ja ein Eigenbrödler, der die Menschen en masse zu meiden sucht. Doch weit gefehlt – er ist schon vor Beginn seines Vortrages umringt von vielen Besuchern. So bedient er den Büchertisch, der neben der Bühne aufgebaut ist, selbst. Man findet auf ihm zum Verkauf eine Auswahl seiner selbst verfassten Bücher. Jeder stellt sich geduldig in der Reihe auf, um mit ihm persönlich zu reden und ihm Fragen stellen zu können. Er signiert fleißig und schreibt auf Wunsch auch individuelle Widmungen in seine Werke.
Kurz vor Beginn seines Vortrages betritt Nehberg die Bühne und weist darauf hin, dass der Vortrag ausverkauft sei, aber etliche Zuhörer hinter der Glaswand zuschauen werden. Und tatsächlich: Die Vorhänge im Saal-Hintergrund werden zurückgezogen und der Blick auf eine gehörige Anzahl weiterer Besucher hinter den gläsernen Raumtrennern wird frei (insgesamt wurden 330 Karten verkauft! Anm. d. [Heidelberger] Red.). Wie kommt es, dass ein einzelner Mann mit einem vermeintlich absonderlichen Thema so viele Zuschauer anlockt? Vor allem aus so verschiedenen Altersklassen, denn von 5 bis 80 Jahren ist alles vertreten. Nach Nehberg´s Referat wundert man sich nicht mehr. Er schafft es, einen von der ersten Sekunde an in seinen Bann zu ziehen! Hier eine kleine Zusammenfassung seiner 90 Minuten – »Lebensgeschichte«, illustriert durch zahlreiche Dias.
»Querschnitt durch ein aufregendes Leben«
So der Titel seines Vortrages, den er mit seiner Ausbildung zum Konditor beginnt, untermalt mit eher komisch wirkenden Bildern, die ihn, mit Seilen an der Decke hängend, zeigen. Dazu fehlt nicht die hinlänglich bekannte Anmerkung, dass es in Hamburg nun mal leider keine Alpen gebe und er doch trainieren musste. Damit hatte er die Besucher in seinen Bann gezogen.
Und schockierte einige Besucherinnen sogleich, als er Bilder von Schmalzfliegen zeigte, die sich in einem verletzten Bein eingenistet hatten. Dazu seine lapidare Erklärung, dass es von Vorteil sei, bei einer Survival-Tour einen derart geplagten Begleiter dabei zu haben, weil man dann – mit Hilfe eines rostigen Nagels – immer etwas zu essen dabei habe!
Nach den diversen »Ihh«´s aus Zuhörerkreisen erzählt er von seinem 1’000 Kilometer – Lauf von Hamburg nach Oberstdorf, wohlgemerkt ohne irgendwelche Nahrung mitzunehmen, nur zu essen, was er findet, ohne zu betteln oder zu stehlen. Dementsprechend purzelten seine Kilos, aber er merkte an, dass dieser Lauf für seine späteren Dschungelerfahrungen und die notwendige Selbstdisziplin noch sehr wichtig wurde.
»Lerne leiden, ohne zu klagen!«
Diesen Spruch lernt er bei den Kampfschwimmer:innen der Bundeswehr kennen. Er meldet sich bei ihnen, um die Gefahren, die ihm auf See widerfahren könnten, einschätzen zu lernen und um sich bei Seenot richtig zu verhalten. Mit viel Witz berichtet er über diese Zeit und dass er sich beim Abschied seinen eigenen Leitspruch „Lerne Klagen, ohne zu leiden« ausdachte.
Nun war er soweit, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen: per Tretboot über den Atlantik. Nur mit Übelkeit hatte er nun zu kämpfen und so kaufte er sich ein Pflaster, das er hinter das Ohr, direkt auf das Gleichgewichts-Organ, kleben musste. Es hat funktioniert.
Riten und Bräuche
Auf seinen Reisen lernt Nehberg die Bräuche und Riten der Eingeborenen kennen. So auch im Inneren Äthiopiens. Doch bis der erste Kontakt stattfindet dauert es Tage. Er ging unbekleidet in den Dschungel und wartete darauf, dass man ihn aufforderte, ins Dorf mitzukommen. Er hat eine Mundharmonika dabei, um auf ihr sanfte, beruhigende Melodien zu spielen. Damit möchte er die scheuen Ureinwohner anlocken und sie wohlgesonnen stimmen. Es funktioniert. Als ein Eingeborener kommt, sagt Nehberg in dessen Sprache die einzigen zwei Sätze, die er bis dahin gelernt hat: »Bitte nicht schießen. Ich bin ein Freund.« Wie er es sich erhofft hatte, lud man ihn ins Dorf ein.
Nehberg zeigte nun per Dia die verschiedenen »Verschönerungen« bei den einzelnen Stämmen. So sieht man die berühmten Frauen mit den »Tellern in der Unterlippe«. Er erklärt, wie der Medizinmann diese Prozedur vollführt. Man lockert die vorderen 4 Zähne aus dem Unterkiefer mit einem Stein, um diese anschließend mit der Hand herauszuziehen. Dann durchbohrt man die Lippe so, dass ein Pflock hindurchpasst. Weitere Beispiele folgten, wobei der kritische Besucher an manche folterartigen Mode-Torheiten unserer Breiten erinnert wurde…
Als nächstes lenkte Nehberg die Aufmerksamkeit auf sein Haupt-Augenmerk: die Yanomami-Indianer. Ein ganzes Volk wird in seiner Existenz bedroht durch Goldsucher, die den Urwald abroden in der Hoffnung, Gold zu finden. Man sieht auf seinen Bildern das erschreckende Ausmaß dieser Zerstörung. Um diesen Kampf, der um Leben und Tod geht zu demonstrieren, zeigte er auch schonungslos die Leichen der Indianer. Wie er aber anmerkte, werden diese Toten selten gefunden. Die Angehörigen verbrennen sie und die Asche wird in Bananensauce gegeben, die die Indianer dann essen. Anschließend wird nicht mehr von den Toten gesprochen. Nehberg erklärt, die Goldsucher versuchten, die Indianer auszurotten, um deren Gebiet offiziell kaufen zu können. Als die Öffentlichkeit sensibilisiert war und die Goldsucher endlich das Land verlassen mussten, hinterließen sie Zerstörung, die weit über jede Abholzung hinaus gingen. Denn die Indianer litten plötzlich an Krankheiten, die vorher nie in diesen Gebieten bekannt waren, wie z.B. Grippe, Malaria etc. Aus diesem Grund baute Nehberg mit Hilfe von Spenden ein Krankenhaus, in dem sich die Ureinwohner Rat sowie Medizin besorgen können. Aber auch eine Schule wird gebaut. In dieser Schule lernen sie erstmals ihre eigene Sprache als Schriftsprache kennen.
So lautet der Name seines Bootes, mit welchem Nehberg im Jahre 2000 in See sticht. Zum 500. Geburtstag Brasiliens möchte er nochmals seine Aufmerksamkeit auf die Yanomami-Indianer lenken. Das Boot wird aus einer Weißtanne – aus der Schweiz – gebaut. Die Fahrt dauert 43 Tage und er ist mutterseelenallein auf dieser Tour. Doch das stört ihn nicht weiter, denn in dieser Zeit bringt er sein neuestes Werk zu Stande, sein Buch »Echt verrückt«. In ihm kann man außergewöhnliche Geschichten finden, die ihm in den letzten Jahren passiert sind.
Hilfsorganisation TARGET e.V.
Unter anderem, um der schauderhaften rituellen Beschneidung junger Frauen in vielen Ländern ein Ende zu setzen, hat Nehberg für Aufklärungs- Zwecke die Hilfsorganisation TARGET gegründet. Auf die Frage aus dem Auditorium, wie man Mitglied werden könne, erklärt Nehberg, dass er keine Mitglieder möchte, weil man ohne bürokratische Prozeduren schneller, unkonventioneller, flexibler und unabhängig von Endlos-Diskussionen sei. Aber man kann Förderer werden. Er merkt an, dass man einen Jahresbeitrag von 15 € zahlen, aber selbstverständlich auch eine einmalige Spende überweisen könne. Alle Informationen hierzu finden Sie auf der Internet Seite www.target-human-rights.com
Auch Nehberg selbst hat eine eigene Homepage unter www.ruediger-nehberg.de Hier lesen Sie unter anderem seinen Lebenslauf, können seine Bücher bestellen und finden ebenso weitere Veranstaltungstermine.
Ansturm
Nehberg bedankte sich für die Aufmerksamkeit und das gezeigte Interesse. Der Raum tobt. Die Zuhörer klatschen stehend Beifall angesichts seines Engagements. Als er die Bühne verlässt, beginnt erneut der Ansturm auf seine ausgestellten Bücher. Jeder, der am Anfang kein Autogramm bekam oder noch kein gemeinsames Bild mit Nehberg hat, kann dies nun nachholen. Und alles passiert mit einer derartigen Unaufgeregtheit, Ausgeglichenheit, dass es wirklich Spaß macht dies zu beobachten.
Als der letzte Gast gegangen ist, hat er sogar noch Zeit für uns, sich ein paar Fragen zum Thema Hörgerät zu stellen:
4 Fragen an Rüdiger Nehberg
Hörakustik: Wie kam es, dass Sie Hörgeräte brauchen? Hatten Sie einen Hörsturz?
Nehberg: Nein. Mein Vater benutzte auch schon Hörgeräte. Vielleicht habe ich die Schwerhörigkeit geerbt. Der Hörverlust kam schleichend. Ich habe immer schlechter gehört. Am Anfang war es mir nicht so bewusst, bis ich merkte, die anderen hören mehr als ich. Nun benutze ich schon seit 15 Jahren Hörhilfen. Ich brauche jetzt Hinter-dem-Ohr – Geräte, da Im-Ohr – Geräte nicht mehr ausreichen.
Hörakustik: Haben die Hörgeräte Sie jemals im Urwald im Stich gelassen?
Nehberg: Nein. Sie haben mich nie im Stich gelassen. Ich habe Sie herausgenommen, da ich Angst hatte, wenn ich kentere, dass ich sie dann verliere oder dass sie ruiniert werden, und da ich sie in der Zivilisation brauche, sollten sie mir im Wasser nicht kaputt gehen. Ich habe mich dadurch noch mehr auf meine Augen verlassen müssen. Ich habe die Hörgeräte in der Zeit auch nicht sehr vermisst, da niemand bei mir war, mit dem ich hätte sprechen können.
Hörakustik: Wie reinigen Sie die Hörgeräte bei Ihren Reisen?
Nehberg: Ich hatte nur die Öse mitgenommen, um Cerumen zu entfernen. Ich hatte aber keine Cerumen-Probleme. Wenn ich zu Hause bin, reinige ich Sie mit Alkohol oder gehe zwecks Wartung zu meinem Hörakustiker.
Hörakustik: Wie reagierten die Indianerstämme auf Ihre Hörgeräte?
Nehberg: Dadurch, dass ich keine Haare über den Ohren habe, fiel ihnen sofort auf, dass ich etwas im Ohr habe. Sie kennen Hörgeräte nicht, haben diese auch noch nie gesehen, ich erklärte ihnen dann, es sei wie eine Brille, ein Hilfsmittel, denn Brillen kannten manche schon oder hatten zumindest von ihnen irgendwann mal gehört.
Die Kinder haben schnell entdeckt, dass es, wenn man mit den Händen die Ohren umschließt und dann ganz langsam wieder mit der Hand weggeht, ein Pfeifen ergibt. Somit war ich deren Musikinstrument.
Hörakustik: Vielen lieben Dank, Herr Nehberg, für das Interview und die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben.
Autorin: Anja Werner