»Die ideale Anpassung« lautete das Motto eines Weiterbildungsseminars, zu dem der Schweizer Hörgeräte-Akustikerverband »Akustika« Ende März nach Bern eingeladen hatte. Mit der Digitalisierung der Hörgeräte hat sich auch deren Anpassung verändert. Über die Feinheiten bei der Anpassung sprachen namhafte Fachleute vor einem interessierten Publikum.
Auf der Fahrt nach Bern grüßten Eiger, Mönch und Jungfrau, das imposante Trio der Berner Alpen, und lockten zu einer Fahrt in die Berge.
Anpassung digitaler Hörgeräte
Nach einer kurzen Begrüßung durch »Akustika«-Geschäftsführer Christof Schönenberger ging es im schönen, aber unterirdischen Kongresssaal des Sorell Hotels Ador in Bern gleich zur Sache mit dem ersten Referat von Hörgeräte-Akustiker – Meister Harald Bonsel (Reinheim) zum Thema »Anpassung digitaler Hörgeräte mit Hilfe multimedialer Systeme«.
Bonsel gliederte seine Ausführungen in
»Gegenwärtige Mess- und Anpassungs-Strategien«,
»Signale und Messgrößen«,
»Anforderungen an ein modernes Messsystem« und
»Der spektrale Ausgleich und neue Messverfahren«.
Beim heutigen Messverfahren stamme die Norm aus den 50er Jahren, doch die Messsignale seien für digitale Systeme unbrauchbar. Weiter seien die Algorithmen nicht überprüfbar und der Klang eines Hörsystems werde messtechnisch nicht erfasst. Heute sei ein möglichst angenehmer Klang wichtig, auch wenn es ab und zu zu Lasten der Diskrimination gehe. Bei den Signalen und Messgrößen seien anstelle des Sinustones komplexe Signale getreten. Entscheidend sei das dynamische Verhalten der AGC´s. Der Klang eines Hörsystems bestimme die Akzeptanz. Weiter schilderte er die Eigenschaften von Sinuston, ICRA-Signal, Sprache (bezüglich Verhaltens des Hörgerätes sei diese ideal), Burst, Chirp, Chirprich und Multi-Delayed Chirprich.
Bei den Mess- und Auswert-Verfahren sei zu beachten, dass das RMS-Verfahren (Root Mean Square) bei Messungen nach IEC 118 vorgeschrieben sei. Nach dem FFT-Verfahren (Fast Fourier Transformation) sei ein komplexes Auswerten des Signals möglich.
Bei der Frage nach dem Signal bestimme die Messaufgabe die Mittel. Der Sinuston eigne sich nur noch zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit. Dagegen seien Chirp, Chirprich und Multi-Delayed Chirp hervorragend geeignet. Burst sei gut, um z.B. Verarbeitungs-Zeiten zu messen, FFT sei stets anzuwenden, wenn es um die Erfassung von komplexen Vorgängen gehe. Bei der Anpassmessung (Zielvorgaben) lohne sich die Frequenzanpassung.
Bei den heutigen Anpassstrategien nannte Harald Bonsel als wesentliche Punkte die Vorgaben der Hörgeräte-Hersteller, bemängelte jedoch, dass nicht alle verfügbaren Daten berücksichtigt, die Otoplastiken kaum einbezogen würden und auf die angegebenen Kurven nicht immer Verlass sei. Unterschiedlich seien sowohl Fittingmodule als auch die Regeln für die multimediale Anpassunterstützung. Die Spannweite der Anpassunterstützung gehe von »lächerlich« bis »effizient«. Die Möglichkeiten würden bei der Anpassung nicht oder zu wenig genutzt. Bonsel ermutigte die Anwesenden zum Ausprobieren, sonst gehe die Kompetenz des Berufsstandes verloren. Diese sei jedoch nötig, denn die Hersteller-Unterstützung drohe zum Wettbewerb der Softwaremodule zu verkommen.
Zu den Anforderungen an ein modernes Messsystem gehörten zeitgemäße Messtechniken und Geräte, der Einsatz von modernen Messsignalen, der Einbezug der dynamischen Eigenschaften der Geräte, die messtechnische Erfassung, der Gerätevergleich und die Verfügbarkeit von audiovisuellen Funktionen. Zudem sollte das Messsystem reproduzierbar sein. Beim Begriff »Sound Design« zählte der Referent verschiedene Möglichkeiten auf, um schließlich zu Aussagen über Qualität und Wohlklang zu gelangen. Der direkte Vergleich von Hörgeräte-Ausgang mit Hörgeräte-Eingang hinke, die Lösung sei der spektrale Ausgleich. Anhand von Sonogrammen würden Übertragungsfehler (Artefakte) eruierbar.
Zusammenfassend hielt Harald Bonsel fest, dass eine neue Norm notwendig wäre und dass mit neuen Signalen in der Messtechnik gute Ergebnisse möglich würden. Ein Fortschritt sei auch mit dem spektralen Ausgleich anzustreben. Die Anpassung und die Messtechnik müssen eine Einheit bilden.
Schubladengeräte & Co.
Das Auditorium fragte sich, welches Rezept Ass. jur. Ralph Warnke, Jurist, Germanist, Politologe und Geschäftsmann aus Wedemark, zum Dauerbrenner-Thema »Vom Geheimnis der Schubladen-Hörgeräte und wie man ihnen begegnet« anzubieten habe.
Der Einstieg erfolgte mit einem Zitat:
50 % aller Hörgeräte liegen in der Schublade und zwar nicht wegen schlechter Anpassung durch den Hörgeräte-Akustiker, sondern weil die Geräte um bis zu 10 Jahre zu spät angeschafft werden. In diesen zehn Jahren sinkt die zentrale Computerleistung stetig ab. Das Hörgerät bedient ein nur noch beschränkt funktionsfähiges zentrales Hörvermögen.
Prof. Dr. Dipl.-Ing. Hasso von Wedel (Köln)
Um die Stufen der sprachlichen Kompetenz darzustellen bezog sich der Referent auf eine Publikation von Prof. Martin Ptok (Hannover) im Hessischen Ärzteblatt 2/2000. Ptok beschreibe darin die »Low-Level – Funktionen«, d.h. das automatische Extrahieren basaler akustischer Merkmale. Dazu gehörten die Frequenzauflösung, die phonetische Ebene und die phonologische, die lexikalisch-semantische sowie die morphologisch-syntaktischen Stufen. Jeder Stufe seien bestimmte Fortschritte zugeordnet. Falls auf einer Stufe Defizite entstünden, habe dies für die nächste negative Folgen, z.B. Lese-/ Rechtschreib-Probleme. Als weitere Studien nannte Warnke »Normen für 7 Low-Level – Funktionen« (mit 382 Probanden im Alter von 5 bis 12 Jahren in den Modalitäten Sehen, Hören und Motorik) sowie den »auditiven Hirntakt« (100 Probanden im Alter von 20 bis 70 Jahren). Es habe sich gezeigt, dass die Werte mit zunehmendem Alter wieder schlechter würden. Mit gezieltem Training könne dies jedoch vermieden werden. Trainiert werde die Ordnungsschwelle, das Richtungshören, die Tonhöhen-Unterscheidung und das synchrone Finger-Tapping. Zurückkommend zum Titel meinte der Referent, dass bei Erwachsenen mit peripheren Hörstörungen die folgenden Merkmale gegeben seien:
- der Entschluss zur Hörgeräte-Versorgung wird allzu lange aufgeschoben,
- die Anpassung erfolgt bis zu 10 Jahre zu spät,
- Low-Level – Funktionen gehen wachsend verloren, werden durch die Hörgeräte-Versorgung oftmals massiv überfordert und die meisten würden darum ein Low-Level – Training benötigen und bald ein solches von ihrem Hörgeräte-Akustiker erwarten.
Das Trainingsangebot setze sich zusammen aus:
Auditiver Hirntakt,
Richtungshören,
Tonhöhe,
Tonlänge,
Reaktion und
Tonfolge.
Eine Altersbegrenzung für dieses Training gebe es nicht. Am Anfang sollte es täglich erfolgen, später genüge einmal wöchentlich. Nach soviel Theorie folgte eine praktische Übung, Alle Anwesenden hatten die Möglichkeit, ihre (noch) vorhandenen diesbezüglichen Fähigkeiten zu testen.
»Die zentrale Hörfunktion lässt sich optimieren und das Hörgerät kann getragen werden« äußerte sich Ralph Warnke zuversichtlich zum Abschluss der anschaulichen Präsentation. Es sei Hilfe zur Selbsthilfe, zudem sei es leichter, eine ehemalige Fähigkeit wieder zu trainieren. Das Ziel sei die Aufrechterhaltung der Sozialkompetenz. (Weiteres dazu im Internet unter der Adresse www.meditech.de).
Intelligente Anpassalgorithmen
Dr. Bernhard Dannhof (Münster) bezeichnete in seinem Vortrag über »Neue intelligente Anpassalgorithmen« die Algorithmen als eine Folge von Anweisungen. In der Mathematik seien es systematische Rechenverfahren, die nach endlich vielen Schritten ein Ergebnis lieferten. Die Informatik sehe die Algorithmen als Folge von Anweisungen, die eine eindeutige Beschreibung von Arbeitsschritten zur Lösung eines Problems darstellten. Unser Problem sei das schlechte Hören. Die Lösung sei eine gute Hörversorgung mit einem digitalen Hörsystem, das seinen Träger gutes Sprachverstehen und guten Hörkomfort sichere.
Im Prinzip gehe es um 2 Strategien zur Verbesserung des Sprachverstehens, nämlich die Sprache hervorzuheben und die Nichtsprache zu beseitigen. Das Letztere verglich Dr. Dannhof mit der Kunst des Bildhauers, der Alles von einem Steinblock entferne um zuletzt nur noch seine Skulptur, z.B. einen Löwen zu haben.
Durch die Schädigung der Haarsinneszellen des Innenohres gingen die Sensivität und die Kompression verloren. Dagegen würden Verstärkung und Kompression eingesetzt. Die Verstärkungs- und Kompressions-Systeme sollen die individuell gerade richtige Menge an Verstärkung für ein entsprechendes Signal liefern. Weiter sei es heute möglich, zusätzliche Informationen über die Unbehaglichkeits-Schwelle, das Alter und die Hörerfahrung des Hörgeräteträger:in in die Berechnung einzubeziehen. Damit könne eine Kompensation des Hörverlustes und des Recruitments in den meisten Fällen erreicht werden. Die Mehr-Mikrofon – Technologie verbessere den Signal-Rausch – Abstand (SNR) und damit das Sprachverstehen. Zusätzlich erfolge die Kombination mit einer »dynamischen Direktionalität« und einem »aktiven Mikrofonabgleich«.
Die Störgeräusch-Unterdrückung sei richtungsunabhängig und beeinträchtige den Klang der Sprache nicht. Die Tendenz gehe heute Richtung Hörkomfort. Durch die Verminderung der lästigen Störgeräusche könne man sich leichter und länger auf die eigentliche Kommunikation konzentrieren. Die spektrale Kontrastverschärfung (SE) basiere im Ansatz auf der Fähigkeit des Hörsystems, das Sprachmuster zu erkennen und auszuwerten. Leider dürften nicht alle einen Nutzen erwarten, die Forschung stehe erst am Anfang. Bei der Expansion leiser Eingangspegel handle es sich um eine umgekehrte Strategie zur Dynamikbereich-Kompression. Damit könnten für die Hörgeschädigten nicht hörbare Sprachanteile ab ca. 45 dB hörbar gemacht werden. In Kombination mit der Störschall-Unterdrückung sei eine Absenkung des Mikrofonrauschens um ca. 10 dB möglich. Bei der digitalen Rückkopplungs-Unterdrückung handle es sich um einen der rechenaufwändigsten Prozesse. Zu den Fortschritten zählten die größeren Möglichkeiten bei der offenen Versorgung, der hohe Hörkomfort sowie eine gute Spontanakzeptanz.
Abschließend bezeichnete Dr. Dannhof die offenen Anpassungen als nächsten Schritt. Gemäß den Ergebnissen von Studien könnten neben den leichten auch mittlere und starke Hörverluste so versorgt werden. Dank den digitalen Hörgeräten habe es in den letzten 10 Jahren wesentliche Verbesserungen gegeben.
Probleme – hörbar und erlebbar
Mit dem Thema »Probleme – hörbar und erlebbar gemacht« schloss Dipl.-Ing. Jens Ulrich (Neu-Isenburg) den Reigen der deutschen Referenten.
Auf die Frage nach den Wünschen der Kunden formulierte er diese gleich selbst. Dazu gehörten gutes Sprachverstehen in Ruhe und im Störgeräusch sowie das Hören von Musik. Der Wunsch sei ein optimales Verhalten der Hörgeräte in unterschiedlichen Hörsituationen. Um die Kund:innen zufrieden zu stellen, brauche es darum die multimediale Anpassung. Damit sei eine Kombination verschiedener Medien – in erster Linie Töne, Bilder und andere optische Reize, z.B. Filme – gemeint. Beim heutigen Anpassverfahren drängten sich Anpassungen auf. Doch welche? Es bestehe kein einheitliches Verfahren, die Zielkonstruktionen seien firmenabhängig und die Software bestimme die Anpassung. Die Otoplastik werde vernachlässigt, Vergleiche seien kaum durchführbar. Im Vordergrund stehe die Simulation, der Hörakustiker werde entbehrlich. Jens Ulrich warnt davor, nur Fittingmodule zu verwenden, da diesen manchmal der Bezug zur Realität fehle. Ein wichtiger Maßstab sei der Höreindruck der hörgeschädigten Person. Wichtig sei die Nutzung aller vorhandenen Daten zur Erreichung des Diskriminations-Optimums und der Dynamisierung des Hörens. Es sei in allen Hörsituationen das Optimum herauszuholen.
Beim heutigen Stand der Gerätetechnik verfügten die Geräte über viele Kanäle, böten mehrere Programme, hätten zahlreiche Regelsysteme und es gebe viele Verfahren zur Vermeidung der Rückkopplung. Weiter stünden Mikrofonanlagen mit Beamformung, Signalverarbeitung im Zeit- oder Frequenz-Bereich sowie unterschiedliche Algorithmen zur Störschall-Minimierung zur Verfügung. Der Gerätevergleich sei wegen unterschiedlicher Zielvorgaben schwer und die Normen zur Messung von Hörsystemen seien veraltet. Die Vergleiche würden sich oft auf das Empfinden der Kunden und Kundinnen reduzieren. Zu den Forderungen an ein modernes zählt Jens Ulrich:
- Orientierung am aktuellen Stand der Hörgerätetechnik,
- Herstellerneutralität,
- Gerätevergleiche,
- Beachtung der dynamischen Eigenschaften von Ohr und Gerät,
- Optimierung des Sprachverständnisses und des Klanges,
- Berücksichtigung der audiovisuellen Hörsituation (nach Prof. Hugo Fastl).
Das Verfahren müsse messtechnisch überprüfbar und einfach in der Durchführung sein. Das dynamische Anpassverfahren erfolge in 4 abgestimmten Schritten. Die herkömmliche Audiometrie sei integriert, das Verfahren könne individuell gestaltet werden und führe zu einer raschen Erkennung des Nutzens durch den Kunden. Es sei bei allen Hörsystemen anwendbar. Die Schritte seien
die Zielkonstruktion,
das Sprachmaterial,
die Situations-Audiometrie und
der spektrale Ausgleich. Zu vermeiden sei, dass es durch Datenreduktionen zu einer verminderten Sprachverständlichkeit komme. Zum Schluss appellierte Jens Ulrich an die anwesenden Fachleute, die modernen Methoden einzusetzen und Kompetenz zurückzugewinnen.
Implantierbare Hörgeräte
Die ideale Anpassung könnte auch ein implantiertes Hörgerät sein. Prof. Dr. med. Daniel F. à Wengen (Binningen) merkte gleich zu Beginn seines Referates über »Implantierbare Hörgeräte: heutiger Stand« an, dass das implantierbare Hörgerät keine Konkurrenz zum herkömmlichen Hörgerät darstelle. Eine Indikation könne gegeben sein bei Schallleitungs-Störungen jeglicher Art, bei einseitiger Gehörlosigkeit oder nach einem Schädel-Hirn – Trauma. Auch kosmetische Aspekte könnten eine Rolle spielen. Bei CROS- Versorgungen habe das BAHA-System zu erstaunlichen Resultaten geführt. Es sei ein ausgereiftes System, Patient:innen seien damit sehr zufrieden. Er warb weiter mit der hohen Akzeptanz, dieses System sei günstiger für die Patienten und bringe weniger Aufwand für den Akustiker. Zum Einsatz kämen implantierbare Hörsysteme bei Problemen mit akustischen Hörgeräten, z.B. Okklusionseffekte, Gehörgangsinfekte, akustischem Feedback, Hören im Lärm und Resonanzen beim Singen.
Weiter stellte Prof. à Wengen die geschichtliche Entwicklung und die vorhandenen Systeme vor. Die Dauer der Operation betrage 1 – 2 Stunden und sei bisher bei Personen im Alter von 40 bis 80 Jahren vorgenommen worden. Die Kosten teilten sich die Krankenkassen (Behandlung und Operation) und – in der Schweiz – die AHV/IV (Gerät). Die Tragezeit werde auf 20 bis 30 Jahre geschätzt. Weltweit gebe es heute ca. 1’200 Patienten, davon 55 in der Schweiz. Weitere Intormationen: www.swissear.ch
Autor: Werner Bütikofer